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Der Begriff der Offenbarung setzt voraus, daß es Geheimnisse gibt, in die der Mensch auch mit der höchstgesteigerten Anstrengung seiner beobachtenden Sinne und seines grübelnden Denkens nicht einzudringen vermag. Er entfernt sich aber zugleich entschieden von der skeptischen Meinung, daß was dem menschlichen Verstand unzugänglich bleibt, dem Menschen überhaupt einfürallemal verborgen bleiben müsse (Ignoramus, ignorabimus: wir wissen nichts, und werden nie etwas wissen); dieser Skepsis stellt der Offenbarungsglaube die Gewißheit entgegen, daß Gott selber aus der Verborgenheit hervorgetreten ist und sich dem Menschen zu erkennen gegeben hat. Dabei liegt der dogmatischen Unterscheidung zwischen einer allgemeinen oder Ur-Offenbarung und einer besonderen oder geschichtlichen Offenbarung eine tiefe Wahrheit zu grunde. Die geschaffene Welt ist voll der Spuren der Macht und Weisheit des Schöpfers, und über alle Völker und Religionen ist als ein Rest paradiesischen Urwissens die mannigfaltigste Ahnung göttlicher Geheimnisse ausgestreut. In dieser allgemeinen Offenbarung ist aller Wahrheitsgehalt des Heidentums begründet; aber alle diese Spuren Gottes sind zweideutig, all diese Wahrheitselemente verworren und verdunkelt, sodaß die heidnische Welt ohne wirkliche Erkenntnis Gottes ist. Ihr begegnet der Gott, der sich in der Geschichte offenbart, indem er an Völkern und Menschen handelt und Propheten als Boten und Deuter dieses seines Wortes beruft. Diese Geschichte zielt auf Jesus Christus.Er ist als der Sohn Gottes die vollkommene und endgültige Offenbarung Gottes, sein Tod am Kreuz die entscheidende Selbstmitteilung Gottes; nur von hier aus wird jene vorbereitende Geschichte wirklich verständlich, nur von hier aus werden jene verworrenen und zweideutigen Spuren als Gleichnis der vollkommenen Offenbarung lesbar. „Wer seine Beobachtung einzig Jesus zuwendet, hat auch die Gefahr abzuwehren, daß er die ganze Welt als dunkel und gottlos sieht und sich Gottes Schöpferherrlichkeit verbirgt. Das widerspricht dem Urteil Jesu und seiner Boten, die an allem, was besteht und geschieht, Anlaß hatten, Gottes zu gedenken, und erweckt den Zweifel gegen Jesu Sendung und gegen die Wirklichkeit des Christenstandes.” (A. Schlatter) Doch bleibt auch die Offenbarung Gottes in Christus ein Geheimnis (Mysterium) des Glaubens und weist über sich hinaus auf eine endgültige Enthüllung des jetzt Verborgenen(Apokalypse). Das Gottesjahr 1941, S. 87-88 © Johannes Stauda-Verlag Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-05 |