|
Unter geistlicher Übung sind alle Bemühungen zu verstehen, die den Menschen in das rechte Verhältnis zu Gott, in eine geistliche Haltung bringen, ihm zum Leben aus Gott verhelfen wollen. „Übe dich in der Gottseligkeit.” (1. Tim. 4, 7) Hierher gehören alle Formen des Gemeindegottesdienstes, wobei nur zu bedenken ist, daß der Gottesdienst eine ganze Reihe von Einzelübungen entweder voraussetzt oder zusammenfaßt. Da wir weithin geistliehe Analphabeten sind, müssen wir erst wieder buchstabieren lernen, also beim Einfachsten anfangen. Deshalb ist die Meditation heute besonders wichtig. Aber sie stellt nicht die einzige Möglichkeit dar. Die Verschiedenheit der seelischen Lage und die unausschöpfbare Inhaltsfülle der Gottesbeziehung macht die mannigfaltigsten Übungen nötig: Stehen, Sitzen, Knieen, Schweigen vor Gott, Gebet, Singen, stille Zeit, Gelübde, Fasten, Freizeit, geistliche Tages- und Lebensordnung. Zwei Einwände werden erhoben: einer vom Menschen, der andere von Gott her. Gottesgemeinschaft gibt es nur im unmittelbaren Erleben; geistliche Übung bedroht die innere Freiheit und Echtheit des Erlebens, so sagt man vom Menschen her. „Gottseligkeit” so heißt es von der anderen Seite her, ist reines Gnadengeschenk Gottes; geistliche Übung ist Rückfall in vorreformatorische Werkgerechtigkeit; die Reformation bedeutet das Ende aller geistlichen Übung. Beide Einwände haben den Verfall der geistlichen Übung in der neueren Zeit bewirkt. Dem gegenüber muß betont werden, daß Luther die geistliche Übung nicht beseitigen, sondern reformieren wollte. Mit äußerster Leidenschaft wendete er sich - im Großen Katechismus - gegen die „schändlichen Preßlinge und Bauchdiener, die billiger Sauhirten oder Hundeknechte sein sollten denn Seelwärter und Pfarrherren”, die sich durch seine Botschaft von aller geistlichen Übung entbunden glauben. Immer wieder kommt bei Luther der Begriff der geistlichen Übung in überraschenden Zusammenhängen vor. So ist ihm wie der Katechismus so auch das Gebet „eine sonderliche Übung des Glaubens”. Dasselbe gilt vom Gottesdienst und von der heilsamen Zucht des Fastens. Luther geht es in alledem um den „rechten” Gebrauch. Falsch ist jede Art von Werkgerechtigkeit, also der Wahn, als ob man sich selbst gerecht machen, mit seinem Tun einen Anspruch vor Gott begründen, Gott entmächtigen und zwingen könnte. Das menschliche Tun, auch das geistliche ist nicht schon Reich Gottes, es hat nur die Bedeutung der bittend ausgestreckten Hand, die Gott allein füllen kann. Geistliche Übung ist Einübung in den Organcharakter menschlichen Tuns - und darin ist sie ein Grundproblem der Ethik überhaupt. Es geht darum, daß nicht wir, „sondern Christus in uns lebe, wirke und rede”, „daß unser Werk aufhöre und Gott allein in uns wirke” (Luther). Das aber will geübt sein, und es tut uns allen not, daß wir hier allen Hochmut abtun, „Kinder werden und das ABC anfangen zu lernen” (Luther). Das Gottesjahr 1941, S. 113-114 © Johannes Stauda-Verlag Kassel Stichwort Geistliche Übungen (Artikel aus Gottesjahr und Quatember online lesen) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-19 |