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Schweigen

Es heißt in der Heiligen Schrift, daß Gott schweigt, und daß dem Menschen im Angesichte Gottes zuerst und vor allem Schweigen gezieme; aber es wird auch erzählt von einem „Teufel, der stumm war” (Luk. 11, 14) und den von ihm befallenen Menschen stumm machte. Dies weist auf einen tiefen und eigentümlichen Unterschied. Wir bleiben stumm oder verstummen, wenn eine innere Lähmung uns unfähig macht zu sprechen, wenn Trotz, Eigensinn, Lieblosigkeit uns Herz und Mund verschließen, oder wenn wir gänzlich ratlos nicht wissen, was wir sagen sollten; aber wir schweigen in Ehrfurcht, wenn wir uns scheuen, mit unseren Worten die Größe eines Augenblicks, die Größe einer Begegnung zu verletzen; wir schweigen in Liebe, wenn wir wissen, daß wir nur schweigend dem andern wohltun, sein Geheimnis wahren und seine Schuld bedecken können. Darum kann man sich Gott nur nahen durch eine Zone des Schweigens hindurch, in der wir nicht nur die äußere Stille wahren, sondern auch die Unruhe unserer Seele, die lauten Gedanken, die Lüste unseres Herzens zum Schweigen bringen, um in der Stille bereit zu sein für die leise Stimme Gottes; und darum gibt es auch eine heilsame Zone des Schweigens zwischen Menschen, in der wir unsere Gedanken und unsere Worte wägen, sie auf ihre Wahrheit und ihre Liebe prüfen, ehe wir den Mund auftun. „Das Stillschweigen des Mundes ist ein großes Gut, zu dem Frieden des Gerzens zu gelangen.” (Thomas von Kempen)

Darum kennt jede echte geistliche Übung eine Schule des Schweigens, und je mehr wir in Gefahr sind, daß der Lärm um uns her und der Lärm in uns jede Stille zerreißt und unsere schnellen Worte uns und anderen alle Tiefen verbecken, desto nötiger wird solche Übung des Schweigens. Freilich ist Schweigen nie das Letzte. Nicht der schweigende Gottesdienst ist das Höchste, sondern der Lobgesang, der um so schöner zu Gott aufsteigt, je mehr er aus der Stille kommt; wir lernen schweigen, um recht reden zu können.

Das Gottesjahr 1941, S. 103-104
© Johannes Stauda-Verlag Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-19
 

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