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Das Wort Mystik ist vieldeutig, daher vielen Mißverständnissen und Mißdeutungen ausgesetzt. Für einen sehr verbreiteten Sprachgebrauch gilt alles liefere religiöse Erleben überhaupt als mystisch; das heißt: Menschen, die alles nach den Grenzen ihres Fassungsvermögens beurteilen, bezeichnen als mystisch alle religiösen Erfahrungen, deren Tiefe und Glut ihnen selbst unzugänglich ist. Im strengeren Sinn verstehen wir unter „Mystik” eine in allen Religionen, auch in den verschiedenen Ausprägungen des Christentums wirksame Richtung der Frömmigkeit, die auf Vereinigung mit der Gottheit und auf Durchdringung des personhaften Lebens mit den göttlichen Kräften zielt. In diesem Sinn gab und gibt es (schon bei Paulus und Johannes.) eine echte christliche Mystik und eine unio mystica (mystisches Einswerden mit Christus) als eine Frucht der Wiedergeburt; in diesem Sinn gehören das Sakrament und die darin geschehende Kommunion zu den „mystischen” Geheimnissen des Glaubens und die Lieder unserer „Mystiker” (wie G. Tersteegen) zu den tiefsinnigsten Liedern der Kirche. Im engsten Sinn ist Mystik der Sammelname für alle diejenigen Tendenzen des religiösen Lebens, bei denen nicht nur die Vereinigung des Menschen mit Gott, sondern das vollkommene Eingehen in die Gottheit, das Ent-werden und das Auslöschen des menschlichen Ich in dem Meer der Gottheit gepriesen und erstrebt wird, wenn gleich die Grenzen keineswegs scharf zu ziehen sind, so wird doch hier eine Gefahr sichtbar, die ebenso die geschichtliche Offenbarung, wie die personhafte Begegnung des Menschen mit dem Wort Gottes bedroht; darum eine solche Mystik nicht mehr zu den Formen christlichen Glaubens zu zählen ist. Das Gottesjahr 1941, S. 85-86 © Johannes Stauda-Verlag Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-04 |