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(Jüngstes) Gericht

Der Mensch und die Welt stehen unter dem Gericht und Urteil Gottes. Gott ist nicht blindwaltendes Schicksal, sondern allsehendes und unterscheidendes Auge. Ihm ist nichts verborgen. Es gibt keine Flucht vor Gott. Wir stehen und gehen unablässig vor Seinen Augen. Das ist erschreckend und tröstlich zugleich. Unser Auge ist kurzsichtig; unser Wissen ist unvollständig, unser Erkennen unscharf. Wir kommen nie ganz an die Wirklichkeit der Dinge und der Menschen heran. Wir leben immer in halben oder ganzen Illusionen. Wie anders wäre unser Umgang mit Menschen, wenn wir sie so sähen, wie sie wirklich sind - und wenn wir so von ihnen gesehen würden, ja, wenn wir nur uns sähen, wie wir wirklich sind! Vor Gottes Auge steht alles so, wie es ist. Gott richtet und setzt sein Urteil durch. Auf doppelte Weise. Zunächst schon in dieser Weltzeit durch Christus. Wer sich Gottes Offenbarung in Christus verschließt, der muß alle Folgen der Gottesferne tragen: er bleibt im Dunkel (Joh. 3, 19) und im Tode (Joh. 5, 24), ihm ist Leben aus den letzten Quellen des Lebens, ewiges Leben versagt.

Schöpferisches Leben gewinnen wir nur, wenn wir Gottes Urteil über uns selbst, über die Menschen und die Welt annehmen. Darüber hinaus erinnert die Vorstellung von einem „jüngsten” (letzten) Gericht daran, daß das göttliche Urteil einmal offenbar werden und daß ihm niemand entrinnen wird. Jetzt sieht es so aus, als könnte sich die Welt dem Urteil Gottes ungestraft entziehen. Dieser Wahn wird entlarvt werden; das Gericht Gottes wird endgültige Klarheit, unwiderrufliche Scheidung bedeuten. Diese Scheidung (Ur-teil) hat nach den biblischen Bildern vom Weltgericht (Matth. 25, 31 ff.) keinen anderen Maßstab als die eine Frage, in welchem Maße der Einzelne die Liebe Christi in seinem Leben verwirklicht hat.

Das Bild von Christus als dem König des jüngsten Gerichts schmückt das Portal vieler Dome des Mittelalters: auch die Kirche, und gerade sie, untersteht diesem unerbittlichen und untrüglichen Urteilsspruch. Der Gedanke daran enthält auch für den einzelnen Christen die dringliche Mahnung und den stärksten Antrieb, das eigene Leben unter das göttliche Urteil zu stellen und darin das zu verwirklichen, was im jüngsten Gerichte besteht und „bleibt”.

Das Gottesjahr 1941, S. 44
© Johannes Stauda-Verlag Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-12-06
 

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