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von Wilhelm Stählin |
Das Fragezeichen hinter dem Titel hat seinen besonderen Sinn. Diese Frage, verwundert, traurig oder entrüstet vorgetragen, ist die Stimme der Vielen, denen die Zerspaltenheit der christlichen Kirche, die Verschiedenheit und der Streit der Konfessionen ein Anstoß und ein Ärgernis ist. Wir wollen Christen sein, sagen sie; aber wir sind des konfessionellen Haders müde. Eure theologischen Streitfragen interessieren uns nicht. Der rechthaberische Eifer, mit dem ihr eure Unterscheidungslehren vortragt, erscheint uns lächerlich. Die Zerklüftung der einen christlichen Kirche in diese streitbaren Sonderkirchen macht eure ganze christliche Verkündigung unglaubwürdig. Und vollends, der unser Volk seit 4 Jahrhunderten wie in zwei Völker zerreißende Zwiespalt der beiden Konfessionen muß nun, da unser Volk zur Einheit zusammengeschmiedet werden soll, endlich verschwinden und mit anderem unseligen Hader begraben werden. Die Zeit der Konfessionen ist vergangen. Christentum? Ja! Aber Christentum als Konfession? Nein! So sagen die einen, und ihrer sind viele. Zur gleichen Stunde aber ist um die confessio, um das Bekenntnis der Kirche, von neuem der Streit entbrannt. Mitten in einer entarteten und von Ungezählten kaum mehr ernstgenommenen Kirche bricht, für viele höchst unerwünscht und gänzlich unbegreiflich, ein entschlossener Wille aus, das bedrohte „Bekenntnis” der Kirche um jeden Preis - und zwar wirklich um jeden Preis! - zu wahren und nie zu dulden, daß diese confessio unter den Anspruch der mächtigen Welk gebeugt wird. Und wir erleben das erstaunliche Schauspiel, daß um das kaum mehr gekannte, kaum mehr geachtete Bekenntnis der Kirche ein Streit entbrennt, der die Gemüter bis ins Innerste hinein erregt und verpflichtet. Zielt jener Angriff nur auf die erstarrte Front unechter Konfessionen, oder trifft er auf die notwendige Gestalt christlicher Kirche selbst? Bricht da, wo sich heute kämpfende Kirche um das Bekenntnis schart, ein echtes Wissen um den unveräußerlichen Lebensgrund der Kirche auf? oder sind diejenigen im Recht, denen gerade durch diesen Kampf das Bekenntnis zum unleidlichen Sinnbild eines schimpflichen religiösen Haders geworden ist? Auf diese Fragen kann nur antworten, wer gründlich verstanden hat, was Konfession, was Bekenntnis ist. Christentum ist confessio, das heißt Bekenntnis. Ein Christ ist, wer Christum „bekennt”. „Wer Mich bekennet vor den Menschen, den will Ich auch bekennen vor Meinem himmlischen Vater”. In diesem Herrenwort ist an nichts weniger gedacht als an ein lehrhaftes Bekenntnis. Der Herr selbst hat diesen Aufruf zum Bekennen unmißverständlich gedeutet: „Daran wird jedermann erkennen, daß ihr Meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.” und „was ihr getan habt einem unter diesen Meinen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir getan.” Christentum ist Bekenntnis. Das Leben der Kirche, das Leben ihrer Glieder soll in der Welt bekannt machen, was mit Christus in diese Welt eingetreten ist. Die Verkündigung von dem in Christus geoffenbarten Geheimnis, das laut in die Welt hineingerufene Wort von der „Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi”, ist ein unentbehrliches Stück des uns anvertrauten Zeugenamtes. Aber das Bekenntnis des Wortes und das Bekenntnis des Lebens sind nicht voneinander zu trennen; wer ohne Liebe ist, der hat den Herrn verleugnet. Das echte Bekenntnis einer bekennenden Kirche ist aber nicht nur von der Entartung des Inhalts bedroht. Wenn die Sorge um das Bekenntnis sich von der Treue im Bekennen loslöst, wenn das „Dogma” nicht mehr die Rede ist von dem, was jeden Menschen unbedingt angeht, sondern eine Sache für sich, wenn der Eifer um die reine Lehre sich von der Gestalt des Lebens und der Kirche entfernt, dann entsteht jene unechte „confessio”. der es nur noch um die dogmatische Korrektheit, aber nicht mehr um das Zeugnis des Lebens geht. Die Theologie und die theologische Arbeit an der sprachlichen Formung des Bekenntnisses ist eine notwendige Lebensform der Kirche; aber das Zeugnis der Kirche ist nie primär theologische Rede gewesen. Es gibt eine alte und neue „Orthodoxie”, die den Sinn des kirchlichen Bekenntnisses verdunkelt und vor deren unduldsamem Eifer die nach Wahrheit fragenden Menschen ratlos und verzweifelt stehen. Grob gesagt: Wo Konfession Ersatz geworden ist für das Bekenntnis, da wird das, was Schutz und Halt und Norm des Lebens sein sollte, zu einem Gefängnis, in dem das geistliche Leben verschmachtet. Hier aber droht alsbald die dritte und gefährlichste Entartung der Konfession. Pietismus und Aufklärung sind verbündet in dem Kampf gegen die Herrschaft der Konfession; jener, weil er allein auf die Pflege persönlicher Frömmigkeit gerichtet ist, diese, weil sie nur einen allgemeinen, der menschlichen Vernunft gemäßen Glauben gelten lassen will. Beide sind sich darin einig, daß sie in den einzelnen Bekenntnissen nur sehr bedingte, ja letztlich belanglose Variationen und Verdunkelungen der schlichten Aussagen wahrer Frömmigkeit sehen. Die Aufklärung läßt jeden nach seiner Fasson selig werden, weil sie für all diese Fassons nur das überlegene Lächeln der Skepsis hak. Welchen Sinn hat es um die Ringe zu streiten, wenn alle Ringe unecht sind? Man preist den bekennenden Luther, aber man verzeiht ihm kaum, daß er mit dem Inhalt seines Bekenntnisses noch nicht völlig aus dem Mittelalter zur geistigen Freiheit hindurchgedrungen ist. Man versteht nicht und kann nicht mehr verstehen, daß es bei dem Streit um das Bekenntnis um Entscheidungen geht, denen man nicht ausweichen kann. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß auch heute, wo das Denken der Aufklärung und des Liberalismus angeblich gänzlich und ein für alle mal überwunden ist, diese liberale Erweichung des Bekenntnisses, die Gleichgültigkeit gegenüber allen konkreten und bestimmten Aussagen einer „Konfession” sehr weithin die Gemüter beherrscht. Wäre sie im Recht, dann müßte man in der Tat den christlichen Glaube» und das christliche Leben von dem unnützen Ballast solcher theologischen Sondermeinungen befreien. Niemand dachte daran zu sagen: So lehren wir, ihr möget anders lehren. Wo Verschiedenheit der Predigt ist, da muß Streit sein um die Wahrheit. Denn es kann ja nicht doppelte Wahrheit geben, und dem um seine Seligkeit bangenden Menschen können nicht verschiedene Bekenntnisse zur freien Wahl geboten werden. Darum ist der bittere Streik des 16. Jahrhunderts ein ernsthaftes Bekenntnis zur Einheit der Kirche. Wenn die Kirche zerspalten sein dürfte, dann brauchte man nicht zu streiten. Und erst wenn der andere sich weigert, die Stimme der Wahrheit zu hören, dann muß man auseinandergehen, und dann muß einer den anderen anklagen vor Gott, er habe die Wahrheit verfälscht und sei ein Feind der Christenheit. Auf dem Reichstag in Augsburg bekannten nicht so sehr die Theologen als die christlichen Fürsten und riskierten Leib und Leben dabei. Aber der lebendige Akt des Bekennens erstarrte zur theologischen Bekenntnisschrift. Der Bewegungskrieg in dem Kampf um die christliche Wahrheit kam zum Stehen; die Gegner verschanzten sich in starren Fronten und gruben sich hinter Brustwehr und Drahtverhau ihrer Theologie so tief ein, daß sie weder zu einander kommen noch einander sehen konnten. Diese Konfessionalität mußte zerbrechen, so bald echte Begegnung mit den anderen Kirchen dazu trieb, das Gespräch mit ihnen wieder aufzunehmen. Die ökumenische Bewegung war von Anfang an der Ort dieser Begegnung und dieses Gesprächs. Aber dieses Gespräch bog nicht etwa zurück zu der aufklärerischen Toleranz, der ja gerade an diesem Gespräch nicht gelegen war; noch viel weniger freilich wollte dieses Gespräch der Konfessionen einfach dem Gegner seine Irrtümer vorhalten und ihn zu der eigenen überlegenen Einsicht bekehren. Sondern hier gewann und gewinnt nun „Konfession” einen völlig neuen Sinn. Man kommt zueinander, man hört aufeinander, man redet miteinander in dem Glauben an die Einheit der Kirche, in dem Glauben, daß alle christliche Kirche Sinn und Möglichkeit ihrer Existenz nur hat als Glied der einen „katholischen”, das heißt allumfassenden christlichen Kirche. Man entdeckte, wie eine unerhörte Überraschung, den Epheserbrief, und während Lutheraner und Reformierte, Lutheraner und Anglikaner, Anglikaner und Presbyterianer, Protestanten und Katholiken, Protestanten und Orthodoxe miteinander redeten, klang durch ihr Gespräch immer wieder die eine Voraussetzung ihrer Begegnung: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; eine Hoffnung, ein Geist und ein Leib, nämlich der eine, uns alle in sich begreifende Leib Christi. Nur Träumer und Schwärmer konnten meinen, daß dieser Glaube mit einigen: guten Willen und freundlicher Nachgiebigkeit die konfessionelle Zerspaltenheit überwinden und eine allgemeine christliche Union heraufführen könnte. Vielmehr entstand ein echtes Streitgespräch, ein Streitgespräch um die christliche Wahrheit. Denn dies ist der neue und heute allein mögliche Sinn der Konfession: Es ist das bekennende Zeugnis von dem, was der einzelnen Kirche als Wahrheitserkenntnis und Lebensmacht geschenkt worden ist. Dieses Zeugnis kann nur mit dem vollen Ernst und Anspruch, daß hier wirklich Wahrheit gegen den Irrtum stehe, vorgebracht werden. Ohne solches Bekenntnis gibt es keine christliche Kirche. Ohne die Bindung an solches Bekenntnis wird die Kirche zum Tummelplatz der Meinungen, die religiöse Sprache zum expressionistischen Ausbruch ungreifbarer Stimmungen und ihre Verkündigung zum unverbindlichen Gerede. Das Christentum ist nur als konfessionelles, das heißt als bekennendes Christentum möglich. Aber dieses Bekennen geschieht im Raum der Una Sancta, der Einen heiligen Kirche. Die Konfession stellt sich mit dem Anspruch giltiger Wahrheit dem Gespräch mit der anderen Konfession. Jede formulierte confessio stellt Thesen dar für das Streitgespräch um die Wahrheit. Das gilt ebenso für den uns aufgezwungenen Kampf innerhalb der evangelischen Kirche wie für den Gegensatz der Konfessionen. Da der Geist Gottes eingegangen ist in die Geschichte, ging er auch ein in die Völkergeschichte, und die Völker haben verschiedenerlei Art, Gott zu erfahren, und in verschiedenen Brechungen spiegelt sich in ihnen das eine Licht Christi. Niemand wird und niemand soll es aus der Welt schaffen, daß der christliche Glaube, daß das Verständnis der Bibel, die christliche Sprache und die Gestalt des Gottesdienstes von der deutschen Seele anders geprägt wird als von der englischen, der amerikanischen, spanischen oder russischen Seele. Und dennoch, man kann die Verschiedenheit der Konfessionen weder zurückfuhren auf die willkürlichen und heute sinnlos gewordenen Abgrenzungen aller Kleinstaaterei, noch auf die ganz innerlich begründete Verschiedenheit der Volksseelen. Die Glaubensspaltung in unserem Volk ist mit all den Leiden, mit denen sie in vier Jahrhunderten unsere Geschichte belastet hat, der erschütternde Beweis dafür, daß es hier noch um etwas anderes geht, das sich nicht auflösen, nicht relativieren, weder durch Friedfertigkeit noch durch Gewalt aus der Welt schaffen läßt: Es geht um die Wahrheit. Martin Luther war gerade darin ein echter Deutscher, daß er von der erkannten Wahrheit nichts verschweigen und nichts widerrufen wollte. Wenn man von dem deutschen Charakter der Reformation redet, so gehört dazu auch dies, daß Martin Luther und seine Freunde das Bekenntnis der christlichen Wahrheit nicht einmal der Einheit der Nation aufopfern wollten. Die confessio ging ihnen über die nationale Einheit. Christentum als Konfession? Die christliche Kirche ist in ein völlig neues Stadium ihrer Geschichte eingetreten. Wer das nicht begreift, kann nicht mitreden. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrtausend ist die christliche Botschaft zum Kampf gerufen nicht gegen den Unglauben, nicht gegen die Gottlosigkeit, sondern gegen den anderen Glauben, den Glauben an andere Götter. Können wir uns in dieser Stunde noch den Hader der Konfessionen leisten? So ist die Frage falsch gestellt. Wir haben es ja nicht in der Hand, ob wir uns den Widerstreit der Bekenntnisse leisten wollen oder nicht. Er ist da und brennt als eine nicht heilende Wunde im Leib unseres Volkes; ach, und er brennt noch viel mehr in dem Leib der christlichen Kirche. Nur darum kann es sich handeln, daß wir den Kampf recht führen. Der Stellungskrieg erstarrter Fronten ist sinnlos geworden. Wir steigen aus den Gräben und treffen aufeinander, ein jeder mit seinem Bekenntnis, ein jeder mit dem ernsthaften klaren und scharfen Wort, das ihm zu sagen aufgetragen ist. Aber wenn wir mit diesem Wort wirklich einander treffen und nicht „in die Luft streichen”, dann ist die confessio das, was sie allein sein darf: das Streitgespräch um die Wahrheit im Raum der Einen christlichen Kirche, Überwindung der Konfession, damit die Bahn frei sei für ein Christentum, das in Mannigfaltigkeit der Sprache, auch, wo es sein muß im harten Ringen verschiedener Erkenntnis und doch in Einigkeit des Geistes, Ihn als seinen Herrn bekenne vor den Menschen. Das Gottesjahr 1935, S. 119-126 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 16-02-10 |