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Kirche und Volk
von Axel Werner Kühl

LeerWollte jemand wissen, wo in ein Bild zusammengedrängt etwas vom Wesen des deutschen Volkes angeschaut werden könne, so sollte man den Fragenden in den Westchor des Naumburger Domes führen. In ihm hat unser Volk eine Wallfahrtstätte gewonnen. Da blicken die Gestaltender Stifter auf uns herab. Sie stehen da in all ihrer Eigenart. Sie führen das Schwert oder halten das Gebetbuch. Sie sind zusammengerafft in Trotz oder sie sind Träger eines schweren Schicksals. Sie lächeln in ihrer Siegessicherheit oder sie schlagen in Abwehr den Mantel um das Geheimnis ihres Lebens. In alledem sind sie starke Ausprägungen deutscher Art. Aber sie bilden eben den Kreis um das Heiligtum. Sie gaben dem Bau das Dasein. Sie sind selber eingegliedert in den Bauwillen des Ewigen: Deutsches Volk in der Kirche! So mag der Westchor des Naumburger Doms auf die Frage nach Kirche und Volk Antwort geben.

LeerFür sich betrachtet ist jeder dieser deutschen Menschen durchpulst von Leben, begründet auf diese Erde, aus Boden und Blut stark geworden. Aber ihre Stätte ist eben doch der Westchor. Im Westen geht die Sonne unter. Dem Tode geweiht ist alles, auch das gesundeste irdische Leben. Als Glied der gesamten Schöpfung steht auch das Volk unter dem Todesschicksal dieser Welt.

LeerEs steht im geweihten Raum. All seine Lebenskraft ist Schöpfung, Geschenk aus Gottes Hand. Das erste Anliegen der Kirche in ihrer Predigt über die Frage des Volkes muß sein, daß das Volk sich selber erkennet lerne als gesetzt von höherer Hand. Zu lange hat weithin die Kirche die Predigt von der Gottesordnung des Volkstums vermissen lassen. Glied sein im Volk, wachsen dürfen aus deutscher Art, das gehört zu dem, „des alles ich Ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin”. Jene deutschen Gestalten stehen im Dom. Ganz tief verflochten ineinander ist auch in ihm Leben und Tod. Wer will sagen, daß die Zeiten seines Niederganges ganz ohne Licht waren? Wer will die Wege seines Aufstiegs ohne Schatten zeichnen? Aber über dem dem Tode verfallenen Leben der ersten Schöpfung steht die Verheißung der schlackenreinen zweiten Schöpfung, die Verheißung des „neuen” Lebens in Gottes Reich. Der Raum, in dem auch dem Volk das neue, reine Leben verheißen wird, ist ein anderer als der des natürlichen Lebens. Das Volk bedarf der Kirche, in der zu ihm diese Verheißung dringt. Das Volk lebt in zwei Sphären: Ordnung und Straffung des natürlichen Lebens erfährt es im Staat, die Berufung zum neuen göttlichen Leben soll es hinnehmen im Raum der Kirche. Der adelige Glanz über den Gestalten im Naumburger Westchor stammt aus der andern Welt, rührt daher, daß sie nicht nur Volk, sondern zugleich auch Kirche sind.

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LeerDie Grenze zwischen beiden Welten wird an zwei Punkten besonders sichtbar: die Gestalten bilden den Kreis um den Altar, die Stätte des heiligen Mahls; den Zutritt dorthin gewinnt aber nur, wer durch die Pforten des Lettners hindurch gegangen ist. Und diese Pforten öffnen sich unter den Armen des Gekreuzigten. Das Volk wird geheiligt in seitier Zugehörigkeit zur Kirche unter dem Kreuz und am Tisch des Herrn.

LeerDie Kirche stellt das Kreuz mitten hinein in das Volk. Was will das Kreuz dem Volke sagen? Es erinnert das Volk an den Karfreitag, an dem Menschen von Fleisch und Blut, Glieder eines Volkes, den Gottgesandten aus ihrer Mitte ausstießen.. Es erinnert daran, daß auch noch so starker Weckruf volklicher Kräfte nicht vor der Gefahr schützt, gegen Gottes Willen blind zu werden. Unter dem Kreuz zerbricht die Meinung, als könnte ein Volk sein höheres Leben gewinnen nur aus der Steigerung seiner natürlichen Kräfte. Das Kreuz hält den sonst in sich geschlossenen Ring des Volkes an einer Stelle offen, daß es immer wieder neu frage, was Gottes Wille sei, daß es sich immer wieder stelle dem Gerichte Gottes.

LeerWer mit wachen Sinnen unter den Armen des Gekreuzigten hindurchgegangen ist, wird zum Altar gerufen. Dort kann, nach dem Gericht, ein Volk der Gnade teilhaftig werden. Vom Kreuz her wird das Gebet vernehmbar: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.” Und der, den die Welt ans Kreuz schlägt, ist doch das Geschenk Gottes an eben diese Welt, Brücke Gottes über die Kluft hinweg, Unterpfand der Vergebung. Er ist noch mehr: Aufleuchten der neuen Weltordnung, die wir im Glauben erfassen. Gott zieht die Träger des verkehrten Menschenwesens, die Träger der irdischen, und das heißt: brüchigen Volkesart an Seinen Tisch. Da begründet die Einladung Gottes die Gemeinschaft derer, die von Gottes Gnade leben. Da ist, von Gott her gesehen und von Gott her bewerkstelligt, Zusammenschluß der Gemeinde. Es ist Vorwegnahme der Ordnung, die für die Ewigkeit bestimmt ist, Vorwegnahme des Reiches Gottes. Nun ist nicht mehr das Kreuz allein das sprechende Zeichen. Der Auferstandene ist gegenwärtig. Die Glaubenden, die Geladenen selber sind Glieder an seinem Leibe.

LeerIm Naumburger Westchor steht die Gemeinschaft deutscher Menschen als Gliedschaft der Kirche. Sie sind durch die Wandlung gegangen, denn sie sind nicht nur Träger der deutschen Natur, sondern Träger der Verheißung auch au Deutsche. Weltliche Augen werden von dieser Wandlung nichts sehen. Für sie sind es Menschen knorriger, deutscher Eigenart, Menschen besonderer Bildung und jeder für sich besonderen Schicksals. Aber sie sind zugleich Kirche. Durch die Glieder am Leibe Christi geht der Pulsschlag vom Herzen der neuen Schöpfung. Das verbindet sie untereinander stärker als alles Irdische. Nun verflößen sie, solange Gott es will, in das Leben ihres Volkes Kräfte des Lebens, die Zersetzung und Tod bannen. Sie wissen von den rechten Bindungen, die ein Volk erst zum Volke machen. Ein Volk, in dem Kirche Raum und Leben hat, steht unter dem Widerschein der neuen Schöpfung. Das ist das Geheimnis des Glanzes, des echten Adels, von dem Naumburg Zeugnis gibt.

Das Gottesjahr 1935, S. 111-113
© Bärenreiter-Verlag Kassel (1935)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-10
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