|
Kirche und Religionen von Kurt Reuber |
Rechts und links über dem Fürstenportal am Bamberger Dom stehen die fürstlichen Gestalten der Synagoge und der Ekklesia. Germanischer Geist hat sie gestaltet. In der linken Hand trug die Synagoge die Gesetzestafeln. Nun hängt der linke Arm schlaff herab, und die Gesetzestafeln sind zerbrochen. Die rechte Hand trägt noch den Stab der Siegesfahne. Aber der rechte Arm hängt schlaff herab und die Siegesfahne ist zerbrochen. Die Synagoge ist blind. Eine Binde trägt sie vor den Augen. An der Lichtseite des Portals steht die Ekklesia, ruhig, groß und gelassen, thronend als gekrönte Herrscherin. Die linke Hand trug den Kelch, die rechte die Kreuzesfahne des Sieges. Aber die Zeit hat der Gestalt beide Hände genommen, Kelch und Kreuzesfahne. Zwischen diesen beiden geschwisterlichen Frauengestalten klafft unüberbrückbar das Tor des Gerichtes. In dem Rundbogen oben erscheint schon das Bild des Jüngsten Gerichtes, dem beide unterstellt sind...(1) . Die Welt, in die die Kirche eingegangen ist, hat zunächst einmal dieses Selbstbewußtsein hinzunehmen und die ihm zugrunde liegenden Tatsachen zu sehen, daß das Christentum das Judentum, dem es zum großen Teil entstammt, religiös überwunden hat und in vieler Hinsicht die Radikalisierung des echten Judentums in seinem ethischen Wollen und in seiner heilsgeschichtlichen Ideologie ist; hat ferner die Tatsache zu sehen, daß die christliche Kirche in der Tat durch ihr Dasein und Wirken echtes Heidentum entmächtigt oder gewandelt hat, und zwar so, daß jenes die Erfüllung tiefster Sehnsucht und Erlösung in ihr erfahren zu haben glaubt. Dabei handelt es sich natürlich nur um die Christianisierung, die auf völlig friedfertigem Weg vor sich ging, in rein geistiger Weise des Zeugens und Überzeugtwerdens aus Freiheit. Die Erfolge gewaltsamer Bekehrung durch Feuer und Schwert, durch Staatsgewalt und Gewissensbedränguug scheiden hier aus. - Welches im einzelnen die psychologischen und religionsgeschichtlichen Ursachen für die innere Entmächtigung und Wandlung der Religionen durch die christliche Kirche waren, sei dahingestellt; dahingestellt auch die Frage, inwieweit immanente Vorbereitungen auf die Religion der christlichen Kirche in ihnen waren. - Auf der andern Seite kann aber die christliche Kirche in ihrem Triumph die Tatsache nicht verkennen, daß die Religionen im Akt ihrer Wandlung ihrerseits mit ihrem arteigenen Geist die Gestalt der Kirche mitbestimmt haben, etwa in Fassung der Lehre, des Dogmas, in Gestaltung des Kultus, der Organisation, der Ämter, in Schaffung des äußerlich- künstlerischen Ausdruckes, wovon z. B. der Bamberger Dom als Schöpfung germanischen Geistes lebendiger Ausdruck ist. Und sie hat Fragen mitgebracht, die die Kirche weitertreibt, um deren Lösung sie schwer zu ringen hat. Noch mehr: Die Kirche erlebt in ihrem universalen Bereich im Laufe ihrer Geschichte hin und wieder ein spontanes Aufbrechen der fremden Geister, die in ihren Schoß eingegangen sind. Nun werden sie sich in Eigenwilligkeit ihres Eigenwesens bewußt und treten fordernd vor die Kirche hin. Ihre Entmächtigung war so zu sagen nur die Verdrängung von eigenwilligen Komplexen, die latent im Unterbewußtsein der Kirche in ihrer Kulturgeschichte vorhanden waren, sich hier und da manifestierten, bis sie dann in einer Schicksalsstunde ihre entscheidungsvolle Bewußtwerdung erfahren. Und schließlich: Die triumphierende Ekklesia, die vor ihren Toren das Judentum mit Blindheit geschlagen sieht, die unter sich echtes Heidentum, das Heiligtum der unbesiegbaren Sonne begraben glaubt, sieht in illusionsloser Wirklichkeitserkenntnis echtes Judentum, die Welt der Religionen, wurzelechtes Heidentum weiterleben, sieht den Sol Invictus als die unbesiegbare Sonnte aus der Nacht neu aufgehen, - und der Glaube an das Mysterium der ewigen Wiedergeburt der Sonne feiert in anderer Gestalt seinen Sieg neu. Er schaut die Wiedergeburt der Sonne aus langer Nacht in ihrer Unbesiegbarkeit, die Unsterblichkeit der geistigen Kräfte der Erde und des Blutes und erfährt die Bewußtwerdung des innewohnenden religiösen Unterbewußten um sich und in seiner eigenen Gläubigkeit. Und er bejaht muthaft den Kampf, den dieser schicksalhafte Durchbruch mit sich bringt. Er verschließt sich ihm nicht, sondern tritt ein in ein lebendiges Zwiegespräch, hörend und sehend, mit seinen Äußerungen im Bewußtsein dessen, daß hier der verborgene Gott in Chaos und Schöpfung am Werke ist. Er steht in der Haltung der Ehrfurcht, die Goethe andeutet in seinen Worten von der Ehrfurcht vor dem, was über uns ist, vor dem, was uns gleich ist, vor dem, was unter uns ist. In dieser Haltung sieht er in den Anderen in ihrer religiösen Eigenart, in ihrem Sosein und Wirken auch Kinder Gottes, seine Brüder und Schwestern, aber als einer, der ganz stark in seiner eigenen religiösen Geschichte verwurzelt ist. Gerade und trotz der Einsicht in die Relativität, in die Vorläufigkeit aller, auch seiner eigenen Glaubensformen im Erleben, Denken und Begreifen ist dem Glaubenden der Ekklesia die Absolutheit des Glaubens selbst gewiß, nämlich seine Begegnung mit dem Ewig-Wirklichen am innersten Ort seiner Ekklesia. Als Glaubender der Ekklesia hat ihn das ewige Licht erleuchtet, das er in Jesus ansieht, der ihm groß geworden ist, von dein an ihm das wirksam geworden ist, was ihn ergreift und fordernd anspricht. Er sieht die Verschiedenheit der Glaubenserfahrungen in der Ekklesia, aber er weiß, daß es letztlich um denselben Jesus geht, durch dessen Geisteswirkung er in irgend einer Weise seine Lebensheiligung erfährt; er weiß, daß es um den „ewigen Jesus” geht, der über aller rassischen, religionsgeschichtlichen und weltanschaulichen Bedingtheit entscheidungsvolle Menschheitsbedeutung hat, die freilich keine Welterklärung, sondern Lebensheiligung durch ethisch bestimmtes Sein in Gott bedeutet. Wenn der Glaubende in dieser Haltung steht, wird die Wirkung sein, daß er von seinem inneren Besitz mit großer Freiheit zu zeugen vermag und den anderen „im Vorhof” mit mehr Liebe begegnet, daß er sselbst reicher und demütiger wird. Allein durch sein Dasein und Sosein wirkt er. Er geht, wie die Normannen in jenem Bild, suchend und findend seinen Schicksalsweg, der ihn in irgend einer Weise in eine Gemeinschaft mit Jesus führt, und er zeugt wegweisend von ihm. In seinem Sein und Wirken steht der Glaubende da in Demut. Er weiß sich wohnen in ewiger Wirklichkeit, an unerschütterlicher Stätte, am Altar der Gottbegegnung tief drinnen im heiligen Raum. Aber er weiß auch um das große Zeichen draußen vor den Toren, wie es am Fürstenportal des Doms von Bamberg gezeichnet ist: Synagoge und Ekklesia in ihrer menschlichen Gestalt am Tore des Gerichtes, des letzten Gerichtes, dem sie in ihren zeitlichen Erscheinungsweisen b e i d e unterstellt sind. Die Zeit hat der Synagoge Gesetzestafel und Siegesfahne zerbrochen, der Ekklesia beide Hände genommen, die Kelch und Kreuzesfahne hielten. Solches Schicksalszeichen steht heute am Tor des Gerichtes, durch das der Weg vom Vorhof in das Innere der Ekklesia führt. .. (1) Lothar Schreyer: Der Bamberger Reiter S. 65. . . Das Gottesjahr 1935, S. 108-111 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-03 |