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von Wilhelm Thomas |
Wenn man vom Kirchenjahr spricht, so liegt in diesem Ausdruck sehr leicht etwas von der Auffassung, als habe die Kirche eine Ausschmückung des Jahres durch allerhand Brauchtum geschaffen, durch die eine Nebenform zu dem im übrigen geltenden Jahreslauf entstanden sei. Vielleicht daß das bürgerliche Kalenderjahr als das eigentliche Jahr empfunden wird, vielleicht auch der Ablauf der Jahreszeiten in der freien Natur, abseits von menschlichen Regelungen. Beide Betrachtungsweisen sind aber falsch. Das bürgerliche Kalenderjahr ist eine verstandesmäßige Abstraktion zu Zwecken der Wirtschaft und des Rechtslebens, eine Kette innerlich fremd neben einander stehender Einzelglieder, die einander ablösen, als gingen sie einander nichts an: der erste Tag des Monats folgt auf den letzten des vorangegangenen genau so wie der neunte auf den achten oder der dreizehnte auf den zwölften. Was kontinuierlich hindurchläuft durch die Reihe der Tage, Wochen, Monate, ist nur ein gleichmäßiges Sinken und Steigen jeder Ziffer, die irgendwo in der Ecke des Kalenderblattes steht und die ganze Reihe auf einen Nullpunkt bezieht, etwa Jahresanfang oder Jahresende. Das Jahr, das Himmel und Erde in Wirklichkeit durchleben, ist ungleich reicher, gesättigt von Leben und bewegtester Wirklichkeit. Die Jahreszeiten lösen einander nicht ab wie Infanterieposten in der Garnison, sondern wie die wechselnden Besitzer eines umkämpften Frontabschnitts: da gibt es Rückfälle, stürmische Einbrüche und zäh verteidigte Verzögerungen - mögen auch Sonne, Mond und Sterne im Hintergründe in unbeirrbarer Stetigkeit die Entwicklung beherrschen. Man erlebt etwas von der Dramatik dieses Naturgeschehens schon, wenn man ihm mit dem Auge des Wirtschaftlers folgt, oder auch dem des Ästheten. Ihr ganzes inneres Leben enthüllt sie aber erst dem Auge des Glaubens. Der sieht durch die Oberfläche hindurch und erkennt in der steten Wiederkehr des Gleichen das Gleichnis des einmaligen Heilswerkes Gottes an seiner Menschheit, der großen Entscheidung im Kampf zwischen der Heilsmacht Gottes und der Todesmacht der Hölle. Das Naturjahr, in dieser Schau gesehen als Verkündigung der großen Taten Gottes zwischen Bethlehem und Golgatha und gestaltet als Lebensordnung der Gemeinde - das ist das Jahr der Kirche. Freilich, weil die christliche Kirche verstört ist, weil wir Söhne Luthers noch immer im Einspruch gegen die widergöttliche Erstarrung des kirchlichen Lebens im späten Mittelalter stehen, darum leben wir das Kirchenjahr nur noch als eine dunkle Ahnung, als eine lose Reihe von Volksfesten, an denen sich unverstandene Bräuche und heiliger Glaube in seltsamer Weise mischen: erst die gleichzeitige Rückbesinnung auf die Fundamente unseres Volkslebens und auf die Grundordnung kirchlichen Lebens helfen uns langsam dazu, das Jahr der Kirche als eine lebendige Einheit und Ganzheit wiederzugewinnen, als ein Geschehen, das alle Wirklichkeit der Natur und des Menschenschicksals in sich aufgesogen hat, anders gesagt, das wieder durchsichtig geworden ist für die ewige Wahrheit Gottes in Schöpfung und Geschichte.Das ewig Licht geht da herein, Aber das Naturjahr bringt nicht nur den Neuanfang und das Wachstum des Lichtes der Sonne, sondern auch ihren Niedergang, von der Sommersonnenwende an. In den Naturmythen des Heidentums spiegelt sich dies Geschehen in dem Leiden und Sterben des göttlichen Helden. Ganz anders im christlichen Bereich: hier ist die sinkende Sonne das Bild der irdischen Kreatur, vor allem des Menschen. Darum ist ein halbes Jahr vor Weihnachten, am 24. Juni, Johannistag. Hier steht der Vorläufer des Herrn und verkündet: ER muß wachsen, ich aber muß abnehmen. Man könnte seine Botschaft auch, in Abänderung des bekannten Abendliedes, so aussprechen: Wo wirst du, Sonne, bleiben? Oder, wenn man so will: für die zweite Jahreshälfte bleibt der Naturmythus in Geltung - sinkendes Licht und der Untergang der sommerlichen Lebensfülle ist Symbol der kreatürlichen Vergänglichkeit schlechthin. Nur daß diese kreatürliche Vergänglichkeit beim Menschen zusammenfällt mit der Verstrickung in Sünde und Schuld, so daß eben der Täuferruf notwendig wird: Tut Buße! Noch deutlicher wird diese Sprengung des Naturjahres, wenn wir den andern Ansatzpunkt der christlichen Jahresgestaltung betrachten, das Osterfest. Ostern als Frühlingsfest ist eine freudige Begehung der jährlichen Erneuerung des Lebens. Ostern als Fest der Auferstehung Christi verkündigt: der Kreislauf hat ein Ende, der jüngste Tag bricht berein; jenes Leben, das immer wieder in den Tod sinkt und aus ihm sich immer wieder erneut, ist überwunden durch ein Leben, das aus dem Tode endgültig triumphierend sich erhebt zu ewigem Bestande. Das Auferstehungsfest schwingt darum in erster Linie gar nicht im Rhythmus des Jahres, sondern läuft von dem ersten Ostern an in unbeirrbaren Oktaven durch die Zeit, ohne Rücksicht auf Sommer und Winter, jede Woche eröffnend und zu tiefst wandelnd zu einem Vorspiel auf das Ende aller Dinge. Und wenn dieser Auferstehungstag, dieser Sonn-Tag alljährlich im Frühling aus dem Naturgeschehen der Osterzeit in sich aufnimmt die Gleichniskraft, die Gott in das natürliche Geschehen gelegt hat, so sprengt er doch zugleich spürbar die Rundung des Jahres dadurch, daß er an seinem, des Jahres, Höhepunkt den Blick hinausrichtet in die Ewigkeit, wie eine Tangente, die wesensnotwendig den Kreis an einem Punkte berührt, aber von ihm hinausführt ins Unendliche. Freilich, diese tiefste Dynamik des christlichen Jahreserlebens, sie bleibt dem Blick der meisten Feiernden verborgen. Sie sind vielmehr ergriffen von der engen Verbindung, die Naturjahr und geistliche Botschaft eingehen, dadurch daß das blendende Weiß des allwöchentlichen Auferstehungstages die bunten Farben der Jahres-Festzeiten annimmt, jeder eine neue Stufe zwischen Advent und Totensonntag, jeder eben beides zugleich: Bote aus dem schlechthin Jenseitigen und Spiegel-Stücklein ans dem bunten Bande irdischer Gleichniswelt. Aber diese Verborgenheit des Zwiespaltes zwischen Schöpfungs- und Erlösungsreich ändert nichts an der Tatsache. Wie nach der frommen Legende das Rad zersprang, auf dem die heilige Katharina zu Tode gemartert werden sollte, so hebt die Heilsbotschaft von Christus die Geschlossenheit des Jahres auf und damit den Bann, unter dem die Kreatur im „Rad der Wiedergeburt” steht, und macht aus ihr das bei aller Buntheit klare und befreiende Zeugnis von der Erlösung der Kreatur vom Banne der Sünde. Das Gottesjahr 1935, S. 104-108 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 16-02-10 |