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von Nikolaus von Arseniew |
D i e g r o ß e G e m e i n s c h a f t d e r L e b e n d i g e n , das ist die Gemeinschaft der noch auf Erden Lebenden und der schon Dahingeschiedenen, die lebendige Verknüpfung der Vergangenheit und der Gegenwart in einem Sein vor Gottes Angesicht. „Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Gott aber ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Denn ihm leben sie alle.” - Das sind Aussagen über die Wirklichkeit Gottes und über die Wirklichkeit der Kirche zugleich. Die Dahingeschiedenen und die Verklärten gehören auch jetzt zur Kirche. Sie leben in ihr; die vor Gottes Antlitz Stehenden gehören ihr noch in größerem Maße zu als wir. Die Apostel und Propheten sind nicht ein Stück Vergangenheit, ein Stück ehrwürdiger Kirchengeschichte, eine schöne Tradition; sie stehen vielmehr mitten drin in der Kirche als organischer Teil ihrer lebendigen Gegenwart, als Lehrer und Vorbilder und Vorkämpfer und Anleiter auch für die gegenwärtige Generation, als diejenigen, deren Stimme und Lehre auch jetzt noch in der Kirche ertönt und ertönen soll. „Ihr seid nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondein Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn” (Eph. 2, 19-21). Im himmlischen Jerusalem hat die Mauer der Stadt zwölf Grundsteine, und auf ihnen stehen die Namen der zwölf Apostel (Offenbarung 21,19). Die Kirche Gottes ist nicht ein Verein der an einem jeweiligen Orte Lebenden, sondern eine lebendige Gemeinschaft der noch auf Erden Stehenden und der schon Dahingeschiedenen, ein lebendiger Körper, der sie alle organisch vereinigt in einem großem Zusammenhang des Lebens. Es ist e i n e jubelnde Gemeinschaft, e i n e geistige Gemeinde. Es ist eine Gemeinschaft der Liebe, der gegenseitigen Fürsprache ; die Gemeinschaft des Gebets endigt nicht mit dem irdischen Leben; wir beten für einander, auch wenn das Band des irdischen Zusammenseins aufgelöst ist. Die irdische Kirche gedenkt der Heiligen und der Gerechten und betet für die Verstorbenen. Und die vor Gottes Antlitz Stehenden beten für uns, wie sie schon im irdischen Leben für die Brüder gebetet haben. Es ist e i n e große Familie, die die himmlische und die irdische Welt umspannt. „Wir bringen dir diesen Dienst des Wortes” - so lesen wir in der Liturgie des Chrysostomus - „für die im Glauben Dahingeschiedenen - die Vorväter, Väter, Patriarchen, Propheten, Apostel, Prediger, Evangelisten, Märtyrer, Bekenner, Männer der Selbstüberwindung, und für jeden gerechten Geist, der im Glauben dahingeschieden ist.” Der Abgrund des Todes ist überbrückt durch die Macht und die Liebe des auferstandenen Herrn. Mit freudiger Zuversicht ruft die alte Kirche des Ostens in der Osternacht: „Christus ist auferstanden, und von den Toten ist keiner mehr im Grabe!” Und wir ehren den Herrn, indem wir der Gefäße seiner Gnade gedenken und indem wir uns alle, Lebendige und Tote, gegenseitig seiner allmächtigen, väterlichen Hand anvertrauen. Aus diesem Geiste der alten Liturgie ist z. B. auch die schöne Hymne der anglikanischen Kirche entstanden, die von der lebendigen Gemeinschaft der Heiligen spricht, unserer Vorfechter und Vorläufer im großen Kampfe, der Erstlinge, die die Kirche Ihm darbringt, dem Haupt der neuen Menschheit, dem göttlichen Weinstock, aus dem die Reben sprießen: For all the Saints who from their labours rest, Das ist auch der Sinn des Bekenntnisses der Kirche: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen” und der Worte des Herrn: „Daß alle eins werden. Wie ich, Vater, in dir und du in mir, so sollen sie auch in uns eins werden”. Auch über den Abgrund des schon überwundenen Todes hinweg. Das Gottesjahr 1935, S. 89-91 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 16-02-10 |