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Die Ämter in der Gemeinde
von Wilhelm Wibbeling

LeerDie Ämter in der Gemeinde sind in Unordnung. Wer es noch nicht wußte, dem hat es die Kirchengeschichte von 1933 und 1934 erschreckend deutlich gemacht.

LeerAus dem Urbild jeglichen kirchlichen Amtes, dem Apostelamt (von seinem Inhalt ist Matth. 10, 16, 18 und 28 die Rede) hat sich das vielfache Amt der urchristlichen Gemeinde entwickelt. Das Neue Testament nennt die Diakonen, d. h. Armenpfleger (Apg. 6), Apostel, Propheten, Lehrer, Wundertäter, Helfer, Regierer und Sprachkundige (1. Kor. 12, 28), oder auch Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer (Eph. 4, 11), Älteste (Apg. 14, 23; 15, 2 und 20, 17 und viele andere Stellen namentlich in den Briefen) und endlich auch Bischöfe (Apg. 20, 28, Phil. 1, 1; 1. Tim. 3, vgl. aber auch 1. Petr. 2, 25), sowie die Witwen (1. Tim. 5, 9f, vgl. Röm. 16).

LeerIn der katholischen Kirche bildete sich aus diesen Ansätzen wieder ein einziges Amt, das priesterliche Amt, das in sich reich gegliedert ist, aber kein anders Amt neben sich duldet. Immerhin sei nicht vergessen das „Laienapostolat”. Luther überwindet sowohl die Hierarchie wie die Lehre von dem besonderen geistlichen Stand; aber das Amt in der Gemeinde, das der Ordnung halber bestehen bleibt (Betonung des rite vocatus, des „rechtmäßig berufenen”), wird beschränkt auf den Pfarrherrn, den Theologen.

LeerEs ist Calvins Verdienst, daß er grundsätzlich zu den Ämtern der urchristlichen Gemeinden den Blick gelenkt und von daher das vierfache geistliche Amt der Prediger, Lehrer, Ältesten und Diakonen für die reformierte Kirche geschaffen hat. In jeder reformierten Gemeinde gab es diese Ämter, die dem Aufbau und dem Leben der Gemeinde dienten und untereinander in mancherlei Verbindung standen. Die Hugenotten in Frankreich und später die Flüchtlingsgemeinden fügten hinzu das Amt des Synodalen, d. h. des von seiner Gemeinde beauftragten Mitglieds der die Gemeinden zur Kirche zusammenfassenden Synoden. Auch die Synoden schufen sich ihre entsprechenden Ämter, den Präses und den Scriba, den Schriftführer.

LeerDie Kirchenverfassungen des vorigen Jahrhunderts machten den Versuch, diese reformierte, presbyterial-synodale Ordnung zu verbinden mit der in den lutherischen Kirchen zur Herrschaft gekommenen staatlichen Kirchenverwaltung. Das Ergebnis war, daß in den Gebieten, denen reformierte Überlieferung fehlte, die neue Ordnung nicht als eine Aufrichtung von „Ämtern in der Gemeinde”, sondern als eine den bisherigen Zustand komplizierende Verwaltungsänderung wirkte, daß umgekehrt in den reformierten Gegenden die garnicht in erster Linie als Verwaltungsapparat, sondern als geistliche Leitung der Gemeinde tätigen Ämter viel zu stark in die Verwaltungsmaschine hineingezogen wurden.

LeerEs ergab sich im Durchschnitt folgendes Bild: Die Leitung der Kirche war eine staatliche Angelegenheit. In den Gemeinden erschien die Kirche als „Pastorenkirche”. Der Kirchenvorstand, wie man bezeichnenderweise in einigen Landeskirchen trotz anderer guter Vorschläge das Presbyterium umgetauft hatte, war wesentlich eine Verwaltungsinstanz. Die Armenpflege, von jeher ein Ruhm der christlichen Kirche, war Sache des Staates bezw. der Städte und Gemeinden; auch die in „freien Vereinen” und Anstalten organisierte Innere Mission stand neben den Gemeinden. Die Lehrer aller Art, vom Theologieprofessor bis zum Dorfschullehrer, standen in keinerlei organischem Zusammenhang mit der Gemeinde; das Verhältnis war vor allem für die Volksschullehrer vergiftet durch die Einspannung der Pfarrer in die staatliche Schulaufsicht wie durch die zu späte Entbindung des aufsteigenden Standes vom sogenannten niederen Kirchendienst (Küster, Glöckner u. a.). Die Verfassungsreformen nach dem Kriege hatten an alledem grundsätzlich nichts geändert; ein nicht immer gleich erkannter Übelstand war, daß man an Stelle von „Ämtern in der Gemeinde” parlamentarische Vertretungen schuf. Es gab nur zwei Lichtblicke in dieser Unordnung: daß hier und da in lebendiger Erinnerung an die Vergangenheit oder auch im Neuaufbruch wahrhaft kirchlicher Einsicht sich Menschen fanden im schlichten Gemeindedienst wie in den führenden kirchlichen Körperschaften, die über alle Verfassungsdummheiten hinweg wahrhaft ein Amt in der Gemeinde ausübten. Und als zweites nenne ich die Frauenhilfe, die von allen kirchlichen Organisationen zuerst ihre Aufgabe in der Gemeinde begriff und in den Gemeinden, in denen sie lebendig wurde, vielfach geradezu buchstäblich die Aufgaben anpackte, die in alten Kirchenordnungen den Ämtern in der Gemeinde gestellt waren.

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LeerWenn wir uns nun fragen, welche Ämter wir in unserer Kirche, in unseren Gemeinden brauchen, so möchte ich diese Frage beantworten dahin, daß ich keinen Grund sehe, grundsätzlich abzuweichen von der Ordnung der Ämter, wie sie im Bereich der evangelischen Kirche in der Hauptsache von den Reformierten ausgebildet worden ist, aber z. B. auch in der Brüdergemeine, dort in besonderer Ausprägung, sich bewährt hat.

LeerEs wäre dann zu reden von den vier Ämtern der Diener am Wort, der Lehrer, der Ältesten und der Diakonen, wozu als fünftes zu treten hätte das Verwaltungsamt.

Leer„D i e n e r  a m  W o r t ”,
verbi divini minister, abgekürzt v. d. m. (so heute noch in der Schweiz allgemein üblich), ist der alte reformierte Name der Pastoren, Pfarrer, Prediger oder wie sie sonst heißen mögen. Über dieses Amt ist in einem besonderen Beitrag dieses Buches geschrieben. Darum hier nur das: es ist ein Amt neben den anderen Ämtern. Mit das schlimmste Ergebnis der Geschichte der lutherischen Kirchen war die dort vorgenommene Isolierung dieses Amtes, wobei Luthers grundsätzliche Überwindung dieser Isolierung wieder verloren ging. Die Verfechter des Bischofsgedankens sollten hier aufmerken.

LeerDas Amt des L e h r e r s  ist natürlich das Amt dessen, der die christliche Lehre lehrt, aber auch wieder nicht nur das Amt des (akademisch gebildeten) Theologen, sondern jeden Religionslehrers. Hier ist wohl der gegenwärtige Zustand am trostlosesten; immerhin gibt es auch da Ansätze zur Besserung, ich denke an manchen Theologieprofessor, der sich seiner kirchlichen Verantwortung bewußt ist, an manchen Lehrer, der über alle Ressentiments hinweg den Weg zur Arbeitsgemeinschaft mit Pfarrern fand, in der die gemeinsame Verantwortung um die Gemeinde erstarkte. Wir müssen dahin kommen, daß es dabei nicht bleibt, sondern das Lehramt als kirchliches Amt, als Amt in der Gemeinde nicht nur angesehen, sondern auch übertragen wird. Ungeheure Möglichkeiten liegen hier vor uns. Hier wäre der Ort, wo auch das Amt des Kirchenmusikers eingebaut werden könnte, das gewiß nicht nur, aber doch auch ein Lehramt ist. Eine einfache Anstellung auf „Privatdienstvertrag” entspricht nicht der Würde der kirchenmusikalischen Aufgabe, die doch eine geistliche ist.

LeerDas Ä l t e s t e n a m t  ist wohl das bezeichnendste Amt dieser Ordnung. Es ist kein Verwaltungsamt, sondern es ist das Amt der geistlichen Leitung der Gemeinde. Seelsorge und Kirchenzucht sind seine speziellen Aufgaben. In engster Gemeinschaft mit dem Pfarrer, aber in selbständiger Amtsführung sind die Ältesten der eigentliche Kern der Gemeinde. Man muß Älteste in alten reformierten Gemeinden gekannt haben, um zu verstehen, welche Bedeutung dieses Amt für das Leben der Gemeinde und der Kirche hat. Aus ihren Reihen gehen zumeist hervor die Synodalen, die die Gemeinde neben dem Pfarrer auf den Synoden vertreten, deren Blick hier geweitet wird, die damit anschaulich in der großen Kirchengemeinschaft stehen. Sie allein bildeten zusammen mit den Pfarrern in alter Zeit das „Konsistorium” bezw. Presbyterium, dem die Inhaber aller anderen Ämter für ihre Amtsführung verantwortlich waren. Bei solchem Ältestenrat sollte auch heute die Leitung der Gemeinde liegen.

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LeerDas Amt der D i a k o n i e  ist im heutigen Sprachgebrauch leider ein Beruf im Sinne des Broterwerbs geworben; wir kennen Diakone und Diakonissen. So nötig diese Berufe in dieser Form sind, so wichtig ist es, endlich zur kirchlichen Einordnung der gesamten Wohlfahrtsarbeit zu schreiten. Alle Armenpflege, alle Fürsorge für Kranke, alle Betreuung von Kindern, Einsamen und Alten darf nicht weiterhin Sache „freier” Verbände und Anstalten sein, sondern ist Sache der Gemeinde! Die solche Arbeit leiten und tun, stehen im Amt der Gemeinde in der Diakonie. Hier ist auch der Raum für die Mitarbeit der Frau, wie sie heute schon in der Frauenhilfe geschieht, aber immer noch neben der Ordnung der Gemeinde in ihren Ämtern steht.

LeerAls ein fünftes Amt ist die V e r w a l t u n g  anzusehen. Die Rheinische Kirche hat das Amt der „Kirchmeister”, in Hessen „Kirchenbaumeister” genannt, besonders stark herausgearbeitet. Rechtlich war er der erste der Ältesten. Es erscheint mir richtiger, an dem alten Grundsatz der Trennung der Verwaltung vom Ältestenamt festzuhalten und diesen besonders für die Verwaltung einschließlich der Geldgebahrung verantwortlichen Mann (und eventuell seine Gehilfen) zu verselbständigen sowohl gegenüber dem Pfarramt wie dem Ältestenamt wie dem Ältestenrat. Die Kirchmeister großer wie kleiner rheinischer Gemeinden geben ein treffliches Vorbild ab. Die Einrichtung dieses besonderen Amtes aber könnte die Pfarrer wie die Ältesten wesentlich von allem Verwaltungskram entlasten und sie frei machen für ihre eigentliche Arbeit. Die Führung dieses Amtes als eines Ehrenamtes beseitigte zugleich die Gefahr einer Gemeindebürokratie, wie sie heute in Großstadtgemeinden nicht selten herrscht.

LeerDie Träger der einzelnen Ämter sind verbunden in einem Gesamtgemeinderat, wie auch in einzelnen Kollegien, wie z. B. der Pfarrer und Lehrer (die vénérable compagnie nannte sie Calvin) oder der Pfarrer und der Diakonen, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Aber das alles müßte der Willkür entzogen werden und zu einer festen Ordnung der Ämter in der Gemeinde führen.

LeerAlle Ämter aber stehen in dem einen Dienst an der Gemeinde Jesu Christi, zu dem sie berufen und verpflichtet werden (Ordination für alle geistlichen Ämter).

LeerNoch ein kurzes Wort, wie die Ämter besetzt werden. Wie früher die freie Wahl überschätzt wurde, so wird sie jetzt unterschätzt. Eine alte reformierte Kirchenordnung, die des Weseler Konvents von 1568, der ich unendlich viel verdanke, sieht einen weisen Mittelweg vor: im ersten Falle berufen die Nachbargemeinden durch ihre geordneten Ältesten oder die Synode; für die Ergänzung und für Neuwahlen wird vom Ältestenrat jeweils ein Vorschlag mit der doppelten Namenzahl vorgelegt, aus dem die wahlberechtigten Gemeindeglieder die richtige Zahl auszuwählen haben; die einfache Kooptation wird abgelehnt, weil sie leicht zur Herrschaft eines kleinen Kreises führe. Auf nichts aber achten die alten Ordnungen mehr, als daß alle Herrschaft vermieden werde und alle Ausübung der Ämter brüderlicher Dienst bleibe. Wir sollten es nicht anders halten.

Das Gottesjahr 1935, S. 78-82
© Bärenreiter-Verlag Kassel (1935)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-13
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