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von Karl Bernhard Ritter |
In D. Martin Luthers kleinem Katechismus findet sich ein Abschnitt der in der Praxis der evangelischen Kirche fast völlig in Vergessenheit geraten ist: „Wie man die Einfältigen soll lehren beichten.” Dort ist dem Beichtiger die Frage zugewiesen: „Glaubst Du auch, daß meine Vergebung Gottes Vergebung sei?” Antwort: „Ja lieber Herr”. Darauf soll der Beichtiger sprechen: „Wie Du glaubst, so geschehe Dir. Und ich aus dem Befehl unseres Herrn Jesu Christi vergebe dir deine Sünde im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes!” In dem dritten theologischen Satz, den die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Barmen am 31. Mai dieses Jahres [1934] angenommen hat, heißt es: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.” Die Kirche ist der Ort, wo Christus der Herr durch seine Diener selbst mit uns handelt, uns die Sünde vergibt, uns aufnimmt in die Gemeinschaft seines Lebens, uns durch sein Wort erleuchtet und durch das Sakrament seine leibhaftige Gegenwart schenkt. Die Kirche ist kein Verein, zu dem fromme, christusgläubige Menschen zusammentreten, sie ist nicht gegründet auf die Religiosität, auf die Frömmigkeit ihrer Glieder. Sie ist in ihrem Wesen verkannt, wenn sie von der Weimarer Verfassung als „Religionsgesellschaft” bezeichnet wird. Sie ist eine göttliche Stiftung, gegründet auf einen Auftrag und auf eine Vollmacht, die Jesus Christus, ihr Haupt, den Aposteln gegeben hat. Im Evangelium des Matthäus, im 16. Kapitel, lesen wir, wie der Herr diese Vollmacht dem Petrus übergibt: „Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein”. Am Schluß des Evangeliums nach Matthäus übergibt Jesus Auftrag und Vollmacht den Elfen: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes; und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende”. Wie die eigentümliche Hoheit und Würde des Staates verkannt wird, wenn er im Sinne der Aufklärung aus einem Staatsvertrag hergeleitet wird, den die „von Natur” staatsfreien Menschen unter Preisgabe eines Teils ihrer Freiheit schließen und dadurch allererst einen Staat bilden, wie der Staat vielmehr als von Gott gesetzte Obrigkeit verstanden sein will, die in seinem Auftrag, in der von ihm gegebenen Vollmacht handelt, so hat auch die Kirche ihre eigentümliche Hoheit und Würde durch den ihr von Gott gegebenen Auftrag und in der ihr anvertrauten Vollmacht. Darum kann zwar in der vorchristlichen Zeit die religiöse Gemeinschaft mit der politischen Gemeinschaft zusammenfallen. Mit der Stiftung der Kirche dagegen ist diese Möglichkeit dahin gefallen und die Geschichte ist seitdem bestimmt durch das lebendige polare Verhältnis der beiden Größen Staat und Kirche. Der Vergleich mit dem Staat läßt sich noch weiterführen. Das Amt des Staates verkörpert, wo immer es auftritt, die Einheit des Staates. Ein Landrat z. B., der sich nicht als Repräsentant des ganzen Staates, sondern als ein Amtsträger seines Kreises und der Bewohner dieses Kreises fühlen und dementsprechend handeln wollte, würde die Auflösung des Staates betreiben. So ist auch das Amt der Kirche immer und überall Repräsentant der Gesamtkirche. Nur dadurch wird die einzelne Gemeinde und die einzelne Kirche davor bewahrt, zur Sekte zu werden. Die Kirche Christi setzt sich nicht aus einzelnen Gemeinden zusammen, sondern entfaltet ihr einheitliches Leben in der Fülle der Gemeinden. Jede einzelne Gemeinde ist eine Erscheinungsform der Einen Kirche Christi auf Erden. Der sinnvolle Ausdruck für die Einheit des Amtes in der Mannigfaltigkeit seines Dienstes und seiner Träger ist die sogenannte apostolische Sukzession, d. h. die Ordnung, daß jeder Träger des Amtes der Kirche in der Ordination seinen Auftrag von denen empfängt, die vor ihm das Amt innehaben und es an ihn weitergeben. Der apostolische Auftrag wird in der Kirche weitergegeben von Geschlecht zu Geschlecht. Das schließt freilich das freie Wirken des Geistes nicht aus, der sich Zeugen der Wahrheit und der Liebe in der Gemeinde und sogar außerhalb der Gemeinde erwecken kann, wie er will. Doch lehrt die Geschichte der Kirche, daß sich solche unmittelbaren Träger eines geistlichen Auftrags selbst immer wieder in die Ordnung der Kirche eingefügt haben, sobald sie erkannten daß das ihnen anvertraute Anliegen in der Kirche aufgenommen wurde. Das große Vorbild für dieses Verhalten ist der Apostel Paulus, der von Christus durch das Damaskuserlebnis unmittelbar in den Dienst berufen, in Damaskus zunächst durch Handauflegung und Taufe in die Gemeinde eingegliedert wird und der nach seinem eigenen Zeugnis im Brief an die Galater die Übereinstimmung suchte mit den „Säulen der Gemeinde” in Jerusalem. Nicht dagegen haben sich die Reformatoren gewandt, daß es in der Kirche das von Gott gestiftete Amt gibt. Wie sehr sie vielmehr das Amt an seiner objektiven Würde und Bedeutung anerkannten, geht u. a. daraus hervor, daß sie sich ausdrücklich der Lehre der alten Kirche anschließen: „Die Sakramente sind kräftig, obschon die Priester, durch die sie gereicht werden, nicht fromm sind”. Denn im Amt der Kirche handelt Christus mit uns durch schwache sündige Menschen, wie der König auch dann durch seine Be-Amteten in seiner Majestät vertreten wird und dem Amte darum die volle Achtung gebührt, wenn der Träger des Amtes persönlich unzulänglich ist. So ist das Amt an das Evangelium, an den Auftrag Christi gebunden und kann Gehorsam verlangen, soweit es selbst diesem Auftrag gehorsam ist. Darum heißt es in dem Augsburgischen Bekenntnis: „Deshalb ist das bischöfliche Amt nach göttlichen Rechten: Das Evangelium predigen, Sünden vergeben, Lehre erteilen und die Lehre, die dem Evangelium entgegen ist, verwerfen und die Gottlosen, deren gottloses Wesen offenbar ist, aus christlicher Gemeinde ausschließen ohne menschliche Gewalt, sondern allein durch Gottes Wort. Und deshalb sind die Pfarrleute und Kirchen schuldig, den Bischöfen gehorsam zu sein, laut dieses Spruches Christi, Luk. 10, V. 16: ‚Wer euch hört, der höret mich. Wo sie aber etwas dem Evangelium entgegen lehren, setzen oder aufrichten, haben wir Gottes Befehl in solchem Fall, daß wir nicht gehorsam sein sollen’”. Ganz diesem Grundgedanken entsprechend heißt es darum in den theologischen Sätzen der Bekenntnissynode: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen seine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst mit besonderen Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen”. Die Einführung des politischen Führerprinzips in die Kirche ist ein typisches Beispiel für die Verweltlichung des Amtes in der Kirche. Die evangelische Kirche Deutschlands, die es bei ihrer Entstehung durch den Kampf, den sie für das Evangelium gegen die alte Kirche und ihre Bischöfe führen mußte, nur zu Notlösungen ihrer Ordnung gebracht hat, ist heute gezwungen, sich um des gleichen Evangeliums willen auf das Wesen dieser Ordnung und auf das Wesen des kirchlichen Amtes zu besinnen und in schweren Kämpfen eine wahrhaft evangelische und wahrhaft kirchliche Ordnung ihres Lebens zu erringen. Das Gottesjahr 1935, S. 74-78 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |