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von Wilhelm Stählin |
Das Geheimnis der christlichen Kirche ist Opfer und Wandlung. Das Herzstück alles geistlichen Lebens ist dies, daß das Opfer vollbracht und die Wandlung erfahren wird. Niemand hat das ersonnen; keine menschliche Willkür hat Opfer und Wandlung in die Mitte des christlichen Kultus gerückt. Sondern eben dies schaut die an Christus gläubige Menschheit an in dem Mysterium von Kreuz und Auferstehung, daß Christus sich selbst hervorgebracht hat als das eine vollkommene Opfer und daß der Vater das Opfer des Sohnes angenommen und ihn verklärt, das heißt ihn gewandelt hat, aus dem Tode zum Leben, aus der Knechtsgestalt zum Bild der Herrlichkeit. Und eben dies bekennt und rühmt die christliche Gemeinschaft durch die Jahrhunderte: Wir sind hineingezogen in das Sterben und Auferstehen Christi; wir haben, indem wir uns an Christus hingeopfert haben, die große entscheidende und befreiende Wandlung unsres Lebens erfahren. Es kann und darf nicht anders sein. Aller christliche Kultus schwingt in diesen beiden Polen: Opferung und Wandlung. Denn Opfer und Wandlung sind das Geheimnis der christlichen Kirche. Selbstverwirklichung und Selbsthingabe sind die beiden Urtriebe alles Lebens. Der Drang, Gott Opfer darzubringen, das Beste und Liebste ihm zu schenken, ist urmächtig in aller Religion. Lebensangst und Lebensschuld, Dank und Überschwang reißt das Leben, das so gern besitzen und behalten möchte, in den Rausch des Opferns hinein. Auch dieses Opfer ist Weissagung und Wegbereitung auf Christus hin. Christus aber ist gekommen, nicht nur das Gesetz, sondern auch das Opfer zu erfüllen und zu vollenden. Christus ist der Hohepriester, der sich selbst als Opfer darbringt, der Priester und das Lamm Gottes zugleich. Er ist das Opfer Gottes an die Welt. In seinem Opfertod vollendet sich die Menschwerdung Gottes. In seinem Opfer bringt Gott sich selber der Welt dar und vollendet in dem vergossenen Blut seine opfernde Hingabe. Das ist die Ur- und Grundsünde des Menschen, daß er sein eigener Herr sein will, daß er sich selbst behaupten, ja sich selber sichern will gegen den Herrn aller Welt. Der Mensch wird Selbstzweck. Er stellt sein eigenes Bild auf den heimlichen Altar seines Lebens und bringt seine Opfer auf diesem Altar seiner Eitelkeit und Ehre. In Christo sein, das heißt mit Christus gestorben, mit Christus geopfert sein. Es heißt: nicht mehr sein eigener Herr sein. Es heißt sich hingeben an die göttliche Lebensmacht der Liebe, statt sich zu behaupten und zu verteidigen. Glauben heißt sich ge-loben. Das Bekenntnis der Kirche ist ihr „Lob-Opfer”. Jedes Gebet ist eine Opferhandlung: Herr, nimm mich mir und gib mich dir. Der Weg der Liebe ist ein Weg des Opfers. Buße, die mehr ist als unfruchtbare Reue, ist der Opfergang, in dem der Mensch sein verkehrtes Wesen, in das er doch selbst verliebt ist, opfert und sich mit allen Kräften des Leibes und der Seele Gott übergibt. Wir kennen die zähen Widerstände, die diesen Opfergang vereiteln. Es ist die ewige List des Teufels die in dem Menschen die Angst um sein Leben erweckt und die ihn um dieser Angst willen zu allen Krämpfen der Selbstbehauptung aufpeitscht. Aber dies Leben-wollen um jeden Preis, das ist der Tod. Unzählige Menschen bleiben verstrickt und gefangen, gleichen dem gefangenen Vogel, dem gestrandeten Schiff; weil sie das Opfer verweigern, weil sie nicht durchbrechen zu der vollkommenen Hingabe. Es ist nicht die Art eines bestimmten Volkes, sondern es ist die Art des Menschen schlechthin, die sich gegen die Zumutung des Opfers wehrt. Aber das Gesetz des Lebens ist unerbittlich. Nur wer sein Leben verliert, wird es finden. Alle Verkündigung der Kirche enthält unerbittlich und unausweichlich den Ruf zum Opfer. Aller Kultus der Kirche vollzieht symbolisch und verpflichtend dies eine Opfer. Wir sind getauft, das ist: wir sind in den Christustod hineingetaucht. Wir tragen in der Opferschale unsrer Hände mit den geweihten Gaben uns selbst zum Altar und „verlangen danach, uns selbst Gott darzubringen mit allen Kräften unsres Leibes und unsres Gemütes”. Wie könnten wir irgend etwas empfangen, wie könnte irgend etwas an uns geschehen, wenn wir uns dem Opfergang entzogen, wenn wir die Hingabe unser selbst verweigert haben? Denn es ist ja etwas an uns geschehen, oder vielmehr, es geschieht wirklich etwas an uns, wenn wir uns hineinziehen lassen in Christus und sein Opfer. Was geschah an den Menschen, die an Christus „glaubten”? „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, die Toten stehen auf”. Es geschah an den Menschen, die Wandlung aus der Welt des Todes in die Welt des Lebens. Sie sind „errettet aus der Obrigkeit der Finsternis und mit Christus in das himmlische Wesen gesetzt”. Die Gestalt des Lebens wird gewandelt in das Bild Christi. Wandlung wozu? Alle Religionen reden in ihrer Weise von Wandlung und neuer Geburt. Aber es ist nur wie ein Fragezeichen, wie ein Doppelpunkt; das Geheimnis der christlichen Kirche ist die Wandlung in das Bild des Gottessohnes, die Wandlung in die ewige Kindschaft. Die Wandlung, die das Geheimnis des christlichen Lebens ist, reißt den Menschen aus seinem Für-sich-sein und holt ihn heim in das Haus des Vaters. Wandlung ist Eingliederung, Einverleibung in den Leib Christi, damit der Blutstrom des göttlichen Lebens durch die erstarrten und verhärteten Adern unseres Lebens rinne. Darum geschieht in den Sakramenten der Kirche, die das Geheimnis der Wandlung abbilden, dies, daß der Mensch hineingetaucht wird in ein neues Element und daß ihm Speise und Trank gereicht werden, die als himmlische Speise sein Leben aufbauen sollen mit den Kräften eines neuen Lebens. Die Wandlung geschieht nicht an dem Menschen allein. Auch aus dem Auge des Tieres blickt uns an Angst und Jammer einer verzauberten Welt. Und in hundert Schreckensgestalten dringt das Seufzen der Kreatur zu uns. Christus führt nicht nur eine neue Menschheit herauf; die Offenbarung seines Sieges bedeutet eine neue Erde, eine neue Welt. Die Wandlung der Welt aber geschieht nicht ohne den Menschen. Das Paradies ist zerstört durch den Fall des Menschen; Die Welt wartet auf die Wandlung des Menschen. Der Mensch, der das Opfer vollbracht und die Wandlung erfahren hat, gehört zu dem Volk von Priestern, nach dem sich alle Welt ängstet und sehnt. Alle Wandlung aber, die uns in diesem Leben zuteil wird, ist nur Verheißung und Anbruch. Wir tragen noch die Hülle, in die wir gebannt sind, und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Unsre Zunge ist noch gelähmt, und das Wort der vollkommenen Freiheit ist noch nicht gesprochen. Immer wieder muß das Opfer vollbracht werden, immer wieder muß die Wandlung an uns geschehen. Aber wo ein Mensch in Christus ist, da ist die neue Schöpfung angebrochen. Opfer und Wandlung sind nicht Träume, sondern Wirklichkeit des Lebens, die Wirklichkeit, die allein gilt. Opfer und Wandlung sind das Geheimnis der Kirche. Das Gottesjahr 1935, S. 66-69 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |