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von Gunnar Rosendal |
Das Gebet ward stumm Wir haben es erlebt: Das Gebet in der Kirche ward stumm. In tiefster Sorge horchten wir und vernahmen nichts. Die Kirchentüren waren verschlossen und kein Beter konnte eintreten, um niederzuknien und zu beten. Die Kerzen des Altars waren erloschen, ein echtes Sinnbild dafür, daß die Kirche nicht mehr ein Ort des Gebets war. Zwei oder drei Stunden in der Woche waren die Kirchen offen. Da kam der Pastor - vielleicht um mit der Gemeinde zu beten? Nein, um zu predigen, um zu „reden”. Die Gemeinde war auch da, aber um zu hören. Mau suchte im Gottesdienst eine geistige Belehrung und Erbauung, man wollte einen Prediger hören; aber man kam nicht von dem eifrigen Wunsche getrieben, in der Gemeinschaft der Gemeinde zu beten, man kam nicht um Gott die Ehre zu geben. Und der Pastor, ja, vielleicht hatte et im Pfarrhaus schon gebetet, daß er eine gute Predigt halten möchte; aber in die Kirche kam er um zu predigen, nicht um zu beten. Die Liturgie war ihm tot. Der Pastor las Zeitungen, studierte - vielleicht sehr viel, vielleicht nur sehr wenig - disputierte, politisierte oder lebte im Idyll des Familienkreises, aber er lebte nicht das Leben des Gebets. Predigt ist not und Predigthören ist not, aber kann man recht reden und recht hören, wenn man nicht aus dem Beten kommt und zum Beten unterwegs ist? Die Kirchentüren sind wieder offen. Nicht überall freilich, aber doch sehr oft und immer öfter. Still und unbeachtet tritt dann und wann ein Mensch über die Schwelle, aus der Sonne in das kühle Dunkel hinein, um in der Stille des Tempels vor dem Altar des Herrn zu beten. Gewiß, wir sind es noch nicht, aber vielleicht werden wir es: eine betende Kirche. Wieder hören wir gregorianischen Gesang, liturgischen Wechselgesang im Chor aufsteigen, beim stillen Schimmer der Altarkerzen. In „Stillen Tagen” werden die alten Gebetszeiten wieder beachtet. Das Meßgewand wird wieder getragen, um Gott die Ehre zu geben und der Gemeinde ein Bild von der Herrlichkeit des Himmels vor Augen zu stellen, daß sie Gott, den Herrn, anbetet. Und die Pastoren beten wieder. Nicht daß wir gut beten. Wir stammeln und stottern; aber der Geist Gottes nötigt uns. Wir beten: „Herr, lehre Du uns beten!” Der Schlaf der Sicherheit ist zu Ende, der Tag bricht an. Ein guter Tag? Ganz gewiß, denn es ist ein Tag des Gebets in der Kirche. Wir beginnen zu verstehen, Pastoren und Laien: Gottesdienst ist Gebet, ist Anbetung. Im Gottesdienst begegnen wir nicht dem Pastor, dem Redner, wir begegnen Gott. Und da, wo man verstanden hat: Gott ist nahe, da betet man. Es gibt in Wahrheit keine Konkurrenz zwischen Predigt und Liturgie: Die rechte Predigt ist immer das Wort Gottes: aber wo Gott spricht, da ist er gegenwärtig, und da, wo Gott gegenwärtig ist, da betet man; da ist Liturgie von Nöten. Die Kirche ist in der Zeit immer die kämpfende Kirche. Sie kann streiten mit den Waffen der Wissenschaft, der Diplomatie, der Politik und der Beredsamkeit. Vielleicht scheint es bisweilen, als ob sie dabei einen schönen Sieg gewonnen hätte. Aber der einzige wirkliche Sieg der Kirche wird immer durch die Waffen des Gebets gewonnen. Die im Gebet kämpfende Kirche ist immer die siegende. Aber da, wo der Geist des Gebets wirkt, wirkt er immer Fürbitte; denn er ist der Geist der Liebe. Fürbitte für die, die noch nicht beten können, damit die kranken Glieder am Leibe Christi stark werden; Fürbitte für die anderen Gemeinschaften in der Kirche, daß sie alle eins werden. Ein Wille waltet, der Wille der Liebe, der Wille Christi. Durch die Fürbitte wird die unsichtbare Einheit der Kirche immer mehr sichtbar und gibt so neue Tapferkeit und Siegesgewißheit im Kampf der Kirche. Wo diese Liebesgemeinschaft durch Christum Jesum vorhanden ist, da wird das hochheilige Sakrament des Abendmahls geehrt und begehrt. Das heilige Abendmahl ist die größte Gebetsform der Kirche: in innerlichster Gemeinschaft betet die Gemeinde ihren gegenwärtigen Herrn an. In diesem heiligen Abendmahl wird die Gemeinschaft mit dem Herrn und mit den Brüdern vollendet; darum ist das Abendmahl Erhörung des Gebets. Es ist Gebet und Gebetserhörung zugleich. Wo aber Gebetserhörung ist, da ist der Sieg der Kirche. Und da, wo das hochheilige Sakrament des Abendmahls gefeiert wird, da finden wir mitten in dem Kampf die siegende Kirche. Das Gottesjahr 1935, S. 62-63 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-07 |