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von Rudolf Spieker |
Der Altar ist nicht zufällig der Ort, an welchem die Kirche das Herrenmahl feiert. Gewiß, Jesus hat das letzte Mahl nicht am Altar einer Kirche, sondern am Tisch eines befreundeten Hauses gefeiert. Aber indem die Kirche dies Mahl wiederholt, folgt sie der ausdrücklichen Weisung ihres Herrn; indem sie seinen Inhalt entfaltet im Reichtum liturgischer Gestaltung, entstellt sie nicht eigenmächtig die Schlichtheit der ursprünglichen Feier, sondern handelt ans Gehorsam des Geistes ihres Herrn, der sie in alle Wahrheit leitet. So können wir auch in der Begehung des Herrenmahls am Altar der Kirche keine Willkür erblicken. Der Altar ist seit alters die Stätte des Opfers. Der christliche Altar ist ursprünglich das Märtyrergrab der Katakomben. Auf die Steinplatte, welche das Troggrab des Märtyrers horizontal bedeckt, werden die Gaben des Brotes und Weines - nebst Lichtern - aufgestellt, damit sie von dort ausgeteilt werden an die Gemeinde. Eindringlicher als an diesem Ort kann der Gemeinde nicht vor Augen geführt werden, daß das Herrenmahl die stete Wiedervergegenwärtigung des Opfers Christi ist. Dies Opfer wird keineswegs erneuert durch das Machtwort eines Priesters, das Opfer Christi ist, wie der Hebräerbrief mit Recht betont, einmalig und endgültig. Aber dies Opfer senkt sich auf die an dieser Stätte Versammelten herab und ist unter ihnen gegenwärtig. Der Auferstandene selber spricht zu uns am Altar die Worte Seines Testaments, Er handelt mit uns durch die Gaben des Brotes und Weines, Er vergegenwärtigt in ihnen Sein Opfer. Wir bekennen uns zu der Überzeugung, daß Christus gegenwärtig ist in allen Handlungen Seiner Kirche. Wenn in der Ostkirche beim sogenannten „kleinen Eingang” das Evangelienbuch in die Gemeinde hineingetragen wird, so erlebt die Gemeinde hier aufs neue den Einzug Christi am Palmsonntag, und das Gebet nach der Niederlegung des Evangelienbuches auf dem Altar läßt deutlich erkennen, daß hier der Auferstandene als in Seinem Evangelium und in Seinen „Heiligen” gegenwärtig gefeiert wird; eine letzte Erinnerung daran steckt noch im Aufstehn lutherischer Gemeinden bei der Lesung aus der Heiligen Schrift. Wir bekennen uns ebenso zu der Überzeugung, daß - in einem tiefen und wunderbaren Sinn - Christus gegenwärtig ist in den Gaben der Schöpfung. Er ist das lebendig machende Wort, durch welches alle Kreatur ihr Leben hat. „Er ist vor allem, und es besteht alles in Ihm.” - Die Schöpfung trägt von Anfang her das Leben Christi verborgen in sich, das bringt Meister Bertram bei der herrlichen Schöpfungsdarstellung des Grabower Altars (Hamburger Kunsthalle) darin zum Ausdruck, daß er auf dem Tafelbild des ersten Schöpfungstages das Angesicht Christi zum Mittelpunkt des Lichtes macht, von welchem die Finsternis geschieden wird. - Die gefallene Schöpfung trägt in sich Christi Kreuz: der Apostel, der von der seufzenden Kreatur geschrieben hat, hat „mit seinen scharfen apostolischen Augen ersehen das liebe heilige Kreuz in allen Kreaturen”; alle Natur ist unter die Notwendigkeit des Sterbens gebeugt; ja, ein Kristall, auf den der Altar zu St. Jakob in Compostell gegründet ist, trägt von Natur das Kreuzeszeichen in sich, wie uns Goethe mit frommem Staunen vor dieser sibyllenhaften Weissagung der Natur berichtet (Wilhelm Meister). Schließlich wird für den Gläubigen die irdische Natur zu einem Boten der Auferstehung, sofern sie durchs Sterben hindurch zur Erneuerung drängt. - Die Gaben des irdischen Brotes und Weines, die auf dem Altar dargebracht werden, sind deshalb sichtbare Vergegenwärtigungen des Opfers Christi, welches eindringlich zu uns redet im Opfer des Weizenkorns, das in die Erde fällt und stirbt, im Opfer der reifen Traube, die gekeltert wird, in der Frucht dieses Opfers, die uns dargereicht wird zu Speise und Trank. Der Altar ist die Stätte des Opfers. Darum ist die Begehung des Herrenmahls am Altar nicht abzutrennen von der Opferhandlung Christi, welche die Gemeinde immer aufs neue zum Selbstopfer erweckt. Der Altar ist die Stätte der Wandlung. Das Märtyrergrab in den Katakomben ist der Ort der Verwesung. Eindringlicher als an dieser Stätte kann der Gemeinde nicht gepredigt werden, daß auch der Heilige die Verwesung sieht. Aber an dem Ort des Todes stehen die Lichter, welche die Auferstehung verkündigen, hier stehen die Gaben des neuen Lebens, das unvergänglich ist. Das irdische Leben bereitet mit seinem Opfer den Boden, aus dem das Leben der neuen Schöpfung erwächst: in der Opferkraft des Gekreuzigten steckt das Geheimnis Seiner Auferstehung; in der Verwandlung des in die Erde gesäten Weizenkorns liegt die Verheißung: „es wird auferstehn unverweslich, in Herrlichkeit, in Kraft”; aus dem Opfer des Märtyrers wächst das Leben der Kirche. Hier haben wir die einzige echte Wandlung vor uns, die es gibt. Weil sie von Gott selber gewirkt wird, darum bedürfen wir beim Sakrament des Altars nicht einer menschlichen Lehre von der Wandlung der Substanzen. Diese ist ein unzulänglicher Versuch, an das Geheimnis der echten Wandlung im Sakrament heranzuführen; in Wahrheit führt sie daran vorbei, weil sie eine unüberschreitbare Grenze verwischt. Es führt kein gradliniger, „ungebrochener” Weg von der irdischen Welt, zu der unser menschlicher Leib und das tägliche Brot gehören, hinüber zur neuen Schöpfung, die Teil hat an Gottes Herrlichkeit. Von dem einzigen Weg, der hinüberführt, redet der Apostel im Gleichnis: „Was du säest, wird nicht lebendig, es sterbe denn” - das ist die conditio sine qua non! Das Weizenkorn muß verwesen, die Traube gekeltert werden, das Brot wird gebrochen: das alles sind eindeutige Zeichen dafür, um was für eine Wandlung allein es sich beim Sakrament des Altars handeln kann. Diese Wandlung aber ist wirklich und real: das Kreuz des Karfreitags ist ihre Voraussetzung, das Ereignis des Ostertags ihr sieghafter Durchbruch, das Sakrament des Altars ihre leibhafte Vergegenwärtigung. Das Abendmahl ist in der lutherischen Kirche im Schatten des Karfreitags geblieben und nicht durchgedrungen zum urchristlichen Jubel der Eucharistie (Apg. 2, 47). Und doch ist die Wirklichkeit der Auferstehung der einzige zureichende Grund für die wirkliche Gegenwart Christi, im Sakrament. In diesen Anbruch einer neuen Schöpfung, der sich unter uns ereignet, werden wir hereingenommen, wir nehmen daran teil durch die Mittel des Brotes und Weines, die wir essen und trinken. Gewiß geschehen - nach Worten E. Brunners - im Heiligtum auch an uns Menschen keine magische Verwandlungen; es ist derselbe schwache, fehlsame, gebrechliche Mensch, der durch diese Tür hereingekommen ist und durch sie wieder hinausgeht. Und doch ist es wirklich ein andrer, denn er ist vor die Wirklichkeit Gottes gestellt, nicht bloß geistig, auch seine leibliche Existenz ist davon angerührt, wird mit ihr gesättigt und getränkt. Dieser unser Leib nimmt nicht bloß irdische Speise auf, sondern empfängt die Frucht aus dem Opfer Christi; in der Stärkung durch irdisches Brot und in der Erquickung mit irdischem Trank hat er zugleich Teil an der Kraft der Auferstehung und den Wundern der zukünftigen Welt. Auch unser irdischer Leib - an welchem das Todesschicksal sich vollenden muß - ist hier und jetzt schon hereingezogen in das wirkliche Geschehen der Wandlung, welche bei unsrer Taufe als die unerläßliche Vorbedingung unsrer Teilnahme an der himmlischen Welt bezeichnet worden ist. Wir lernen in unsern Tagen unter schmerzlichen Erfahrungen wieder begreifen, daß echte Kirche nichts anderes sein kann als Christi Leib. Dann muß das Sakrament des Altars auch in der Kirche der Reformation eine ganz andere Bedeutung wiedererlangen als es in den evangelischen Kirchen heute hat. Denn hier wird das zur Wirklichkeit, wovon sonst nur geredet wird: dies irdische Leben wird hereingezogen in den Lebensstrom Christi, es wird eingetaucht in die Kraft Seines Opfers, es wird gewandelt aus Kraft Seiner Auferstehung, es wird gliedhaft eingefügt Seinem verklärten Leibe. Gewiß muß solches von Christus gewirkte Leben seine Echtheit beweisen draußen in der Welt, im konkreten Einsatz und Bekenntnis; aber die Vollmacht, allen irdischen Mächtigkeiten entgegenzutreten, kann uns nur daher kommen, wo alle irdischen Gewalten ihrer Mächtigkeit entkleidet und „aufgehoben” sind in der Christuswirklichkeit der Auserstehung, welche alle Gewaltigen „ausgezogen”, sie öffentlich „schaugetragen” und „einen Triumph aus ihnen gemacht” hat. Nur wenn das Sakrament des Altars wieder in den Mittelpunkt der Kirchs gestellt wird, wird die Kirche wirklich zu dem Ort in der Welt, wo das Leben der Welt erneuert wird in Opfer und Wandlung. Das Gottesjahr 1935, S. 58-62 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-07 |