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von Walter Künneth |
In der Öffentlichkeit von Dogma zu reden, bedeutet ein Wagnis. Das Wort „Dogma” löst bei vielen Menschen unangenehme Gefühle und eine abwehrende Bewegung aus. Diese Feindseligkeit ist verständlich im Zeitalter der Aufklärung. Das rationalistische Denken konnte sich erheben über die unlogischen, irrationalen Aussagen des Dogmas, die psychologisierende historisch kritische Methode sich entrüsten über seinen unbedingten Gültigkeitsanspruch, der individualistische Liberalismus für die Freiheit des subjektiven Gewissens gegen die dogmatische Bindung kämpfen und der Pietismus die lebensfremde erstarrte Dogmatik der Orthodoxie verachten. Verständlich ist, daß Gott wie Ernst Wiechert sagt, „viele Namen, viele Kleider, viel Wohnungen” hat, daß sein Leben in tausendfachen Farben in dieser Welt aufstrahlt; ärgerniserregend aber ist die Behauptung, im Dogma die religiöse Wahrheit einfangen zu können. Was ist der tiefste Grund für solchen Widerspruch? Es ist der fundamentale Gegensatz zwischen Mystik und Wort Gottes, zwischen dem Erlebnis des Heiligen in der Seelentiefe und der Selbstmitteilung Gottes in Christus, der Unterschied zwischen einem religiösen Zirkel und der Kirche. Wer verstanden hat, was diese Christuskirche bedeutet, dem öffnet sich auch der Zugang zu dem Dogma der Kirche. Wo Kirche ist, da ist auch Dogma. In dem Dogma stellt die Kirche in der Form des Begriffes, in klar geschliffenen Sätzen heraus, was ihr Lebensgrund ist, was der Gehalt ihrer Botschaft, was das Ziel ihrer Hoffnung. Das Dogma meint nichts anderes als die Sache der Christusoffenbarung. Auf sie allein sind alle seine Sätze und Aussagen bezogen, von ihr abhängig, an ihr ausgerichtet. Auch die einzelnen dogmatischen Urteile sind niemals isoliert zu begreifen, sondern immer nur als Glieder der Ganzheit des Dogmas. So faßt sich die Fülle der Heilserkenntnis und Glaubensweisheit der Kirche einheitlich und in geordneter Folge im Dogma zusammen. Das Dogma wird so zum Feldzeichen und Panier der Kirche, welches immer wieder von den verschiedenen Seiten her auf den einen Christusmittelpunkt, auf das Lebenszentrum der Kirche hindeutet. Das Dogma ist Ausdruck des Selbstbewußtseins der Kirche. Damit ist auch dem Irrtum gewehrt, als ob das Dogma zwar ein Merkmal der katholischen Kirche sei, während die evangelische Kirche die Möglichkeit hätte, ein dogmenfreies Christentum zu vertreten. Verzicht auf dogmatische Klarheit und Bindung wäre nichts anderes als Auflösung der Kirche, Preisgabe der Wahrheitsfrage. Das Dogma der Kirche wird aus dem Kampf um die Wahrheit geboren. Es entsteht immer in einer Kampfsituation als Abgrenzung gegen außerchristliche Weltanschauungen und Religionen oder als Sicherung gegen Irrtümer, Irrlehren und Trübungen der biblischen Wahrheit innerhalb der Gemeinde. Weil es ein Entweder-Oder der Glaubensentscheidung gibt, darum gibt es ein Dogma. Das Dogma ist niemals eine Privatangelegenheit einzelner, sondern Lebensform der Gemeinde. Nicht die subjektive Willkür kann maßgebend sein, nicht die kritischen Bedenken des einen oder die geistreichen Ideen des andern, sondern Dogma der Kirche besagt überindividuelle Verbindlichkeit. Das Dogma der Kirche erlöst aus dem religiösen Subjektivismus und Schwärmertum als Ausprägung der über dem Wechsel der Zeiten und Menschen stehenden, die Generationen übergreifenden Glaubenswahrheit der Gemeinde. Unter dieser Erkenntnis vermag auch die zeitgeschichtlich gebundene „alte” Form des Dogmas neuen Sinn und Leuchtkraft zu gewinnen. Das Dogma der Kirche ist nicht allein Besitz und Existenzausdruck der Kirche, sondern bleibende Aufgabe. Es geht um die Aufgabe der Verlebendigung des Dogmas als gegenwärtige Gültigkeit. Der Weg der Gegenwart führt darum nicht weg vom Dogma, nicht an dem Dogma vorbei, sondern zum Dogma hin, zur Wiederentdeckung seiner Wahrheit. Das Gottesjahr 1935, S. 54-55 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-07 |