|
von Ludwig Heitmann |
Die Kirche ist gezeugt aus dem Worte Gottes. Weil „das Wort Fleisch ward und unter uns wohnte”, darum gibt es eine Kirche. Sie lebt aus dem Worte und gibt das Wort des Lebens weiter bis an das Ende der Tage. Es ist deutlich, daß hier das „Wort” in seinem Ursinn gemeint ist, als Träger der göttlichen Schöpfermacht. Wie die erste Schöpfung durch das „Wort” ins Leben gerufen ward: „Und Gott sprach”, so ist auch die neue Schöpfung, die die verlorene Welt zurückbringt unter die Herrschaftsgewalt Gottes, durch den „Hauch seines Mundes”, durch das schöpferische Wort seines Geistes geworden. Zu dieser Urbedeutung des „Wortes” müssen wir uns heute langsam zurücktasten. Denn das Wort ist zur abgegriffenen Scheidemünze einer entgotteten Welt geworden. Die Wortmaschinen, unter deren Tyrannei die Menschheit heute seufzt - die Presse, der Rundfunk, die Propaganda, das Tagesgeschwätz - haben das Wort schlechthin seiner ursprünglichen Bedeutung entkleidet und zum menschlichen Macht- und Betrugsmittel herabgewürdigt. Das sinnlose Chaos der sinnlos durch die Welt geschleuderten Worte steht heute in der denkbar größten Entfernung von dem schöpferischen Wort Gottes aus dem die Kirche geboren ward und lebt. Es ist eine der Grundaufgaben, vor denen die Kirche, die dem Schicksal der Welt weithin erlegen ist, heute steht: daß sie zurückfinde und die Welt zurückführe zum echten Wort des Lebens. Das Wissen darum, daß Wort und schöpferischer Gottesgeist zusammengehören, ist der Kirche freilich nie ganz verloren gegangen. Hier liegt die Grunderkenntnis und die neuschaffende Kraft der Reformation, daß sie diesen Zusammenhang wieder rein und klar herausgestellt hat. Das „Wort Gottes” wird hier scharf geschieden von allem „Menschenwort”, und es wird doch lebendig hineingestellt in den Strom des wirklichen Lebens. Das erstere suchte sie zu gewinnen durch ein ganz neues Ernstnehmen des Kanons, der Urquelle der Botschaft, der Schrift, „sofern sie Christum treibet”; das zweite hat sie sicherzustellen gesucht durch die Betonung der mündlichen, gegenwartsmächtigen, unerschrockenen Verkündigung an das „Volk” in der Muttersprache. Trotzdem hat auch die Kirche der Reformation weithin das lebenschaffende Wort verloren: der Kanon ist einer verweltlichten historischen Wissenschaft zum Opfer gefallen, die Lebendigkeit der Verkündigung aber einem lebensfremden Doktrinarismus. Der Geist Gottes ist aus dem Wort gewichen; Gottes Wort verlor sein heiliges Geheimnis, der schöpferische Geist aber erstarb in starrer Lehrhaftigkeit. Die Auswahl des Kanons selbst ist bereits ein innerhalb der Kirche vollzogenes Schöpfungswerk des heiligen Geistes, nicht ein aus rationalen Erwägungen hervorgegangenes Sammelwerk von Quellenschriften. Gewiß hat besonders die evangelische Kirche grundlegend betont, daß die heilige Schrift vom Geiste Gottes eingegeben worden sei und nur durch das „Zeugnis des heiligen Geistes” ihre Wahrheit erweise. Aber sie hat versäumt, dies Zeugnis des heiligen Geistes aus der Sphäre eines rein innerlich und subjektiv gefaßten Wahrheitsverweises hinauszuheben in die objektive Wirklichkeit des kirchlichen Zeugnisses, das nur in der über die Zeiten reichenden „Gemeinschaft der Gläubigen” wirksam und lebendig ist. Sie hat nicht genügend beachtet, daß die Schrift nicht getrennt werden kann von dem fortlaufenden Strom des in der Geschichte wirkenden heiligen Geistes, wie auch die rechte Deutung der heiligen Schrift ganz unablösbar ist von dem Strom der kirchlichen Tradition. Ein „Wort der Kirche” gibt es nur im Corpus Christi, denn es ist lebendig sich fortzeugende Wahrheit, nicht ein äußerlich weitergegebenes Wissen. Es kann darum nur verkündigt werden im Zusammenhang mit dem lebendigen Zeugnis der Väter und innerhalb der lebendigen Gemeinde. Eine gelehrte oder auch erbauliche Betrachtung des Bibelworts, die auf diesen Zusammenhang verzichtet, die also außerhalb der Kirche geschieht, sieht an der Wirklichkeit des Gottesworts vorbei und steht nicht in seiner lebenzeugenden Macht. Die Gemeinde, ihr Haus, ihre Versammlung, ihre Ordnung, ihr Gebet, ihr Lobpreis, ihre heiligen Überlieferungen sind der leibhafte Rahmen des lebendigen Gottesworts. Auch der einsame Bibelleser und Beter steht noch in diesem Zusammenhange. Auch Luthers Bibelübersetzung hat die Bibel nicht zum „persönlichen Andachtsbuch”, sondern zum Lebensbuch des Volkes Gottes gemacht. Bis in die Wort- und Satzformungen hinein spürt man es ihr heute an, daß sie dazu bestimmt ist, in öffentlicher Gemeindeversammlung vorgelesen und gehört zu werden. Auch steht sie bei aller Eigenständigkeit im lebendigen Zusammenhang mit der Deutung der Väter. Das heutige „historische Verständnis” steht weithin jenseits des lebendigen Stromes der Kirche. Die vordergründige kulturhistorische Veranschaulichung hat oft genug den kirchlichen Hintergrund völlig verdeckt. Es ist die Illusion eines oberflächlich propagandistischen Zeitalters, daß die Übersetzung der Bibel in 600 Sprachen ausreiche, um „das Wort der Kirche” unter die Völker zu tragen. Das Wort der Kirche wird nur lebendig in der vom heiligen Geist gezeugten „Gemeinschaft der Heiligen”. Darum ist es, so überraschend das dem außerhalb der Kirche Stehenden klingen mag, das erste Anliegen der Kirche heute, das „Wort Gottes” zurückzuholen in die Kirche, damit es wieder seinen echten Lebens- und Entfaltungsboden finde. Seine Verkündigung, seine Auslegung, das Hören seiner Lebensbotschaft gehört grundlegend in die „Versammlung der Gläubigen”. Nur wo zwei oder drei versammelt sind in Christi Namen, ist seine Lebensmacht lebendig gegenwärtig. Die Popularisierung und Verweltlichung des Wortes durch eine propagandistische Methode der Angleichung an die Oberflächeninteressen des Tages ist der Tod aller echten Verkündigung. „Volkstümlich” wird das Wort der Kirche erst dann wieder, wenn es innerhalb des „Volkes Gottes” seinen echten Zeugungsboden wieder gefunden hat. Darum ist die Lesung des streng geformten Gotteswortes der Schrift in der klaren Ordnung geformten kultischen Lebens von grundlegender Bedeutung, wie ein gewachsenes Volk in der lebendigen von Geschlecht zu Geschlecht fortzeugenden Sitte seine eigentliche Lebenskraft offenbart. Dies Wort allein wirkt scheidend zwischen Licht und Finsternis, zwischen Volk und Nichtvolk; diesem Wort wohnt die fortzeugende Kraft der Wahrheit inne, Erst wo diese Grundlage wieder gefunden ist, wird auch das lebendige Wort der Stunde wieder gefunden, das die Entscheidunsforderung lebendig hineinwirft in eine gott- und wirklichkeitsfremd gewordene Zeit. Nur aus der leibhaften Kirche kann das Wort der Kirche erlösend und lebenschaffend hinausklingen in die Welt. Nur der Verkündiger, der ganz getragen ist von der lebendigen Gemeinschaft der Gläubigen, kann der lebendigen Wirklichkeit dienen und die leer gewordenen Worte einer säkularisierten Zeit wieder wandeln in das Wort des Lebens. Das Gottesjahr 1935, S. 51-54 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |