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Die Zeichen der Kirche
von Axel Werner Kühl

LeerLebendiger als im buchstäblichen Wort fassen wir das Wesen der Dinge, fassen wir unser eigen Wesen im bildhaften Zeichen. Die Zeichen werden uns geschenkt. Sie bergen oft mehr, als der erste, der sie Gestalt werden ließ, ahnen konnte. Sie sind nicht gebunden an eine Zeit. Wir brauchen nicht den Geschichtszusammenhang zu kennen, in dem sie zuerst auftauchten und gedeutet wurden. Sie sprechen zu uns heute, wie zu aller Zeit. Laßt uns vor ihnen stille halten, wo es um die Kirche geht. Laßt uns aus ihnen das Selbstbildnis der Kirche schöpfen.

LeerDrei Zeichen vor allem sind der Kirche geschenkt, daß sie ihr gottgewolltes Wesen erkenne. Im Mittelpunkt ihres heiligen Dienstes steht der Kelch. Sie gestaltet den geweihten Raum, in dem die Gemeinde zusammenkommt, und nennt ihn das Schiff. Sie formt den Leuchter, der mitten in diesen Raum von oben herab das Licht trägt, in seinem tragenden Kreis als „Krone”, als turmbewehrte Burg, als bergende Heimstatt. Die Kirche soll sich selber schauen als Kelch, als Schiff, als Stadt auf dem Berge.

LeerEin Grundzug ist diesen drei Bildern gemeinsam. Der Fuß des Kelches ruht stark auf dem festen irdisch stofflichen Boden, und wie fest ist doch das Gefäß gewandet, das er nach oben hält. Den Nachen müssen die Wellen tragen, er schmiegt sich ihnen ein auf seinem Wege von einem Ufer zum anderen, und doch erhält er sein Wesen durch die guten Planken, die sichere Bordwand, die das Innere vom Wasser trennt und es fremd macht dem Element. Der Berg bietet seinen Rücken, seinen Gipfel dem Bau der Stadt als feste Grundlage an, und doch bleibt sein Leben außerhalb der Tore: die Bohlen und Gitter schließen die Eingänge, die starken Mauern wehren dem Draußen, es ist letztlich doch keine Gemeinschaft da.

LeerDie Kirche lebt in der Welt, und doch ist ihr eigentliches Leben nicht von der Welt. Menschen von Fleisch und Blut, der Zeitlichkeit eingegliedert, werden in der Kirche doch davor bewahrt, in der Welt aufzugehen. Kirche ist Ekklesia, die Schar der Herausgerufenen. Sie weiß um den, der sie ruft. Sie weiß, daß es der Herr ist, der Schöpfer und Erlöser. Sie ist die Ekklesia, weil sie die Kyriaké, die Schar des Kyrios, des Herren, ist.

LeerTritt vor den Kelch. Er öffnet sich dem Himmel. Er wartet, daß der Himmel ihn fülle, daß er den Gotteswein aufnehmen dürfe. Ihn hungert und dürstet. In der Bergpredigt grüßt der Heiland die, die da hungert und dürstet, die Sehnsüchtigen, grüßt die, die sich Gott entgegenrecken. Die Erde genügt ihnen nicht. Sie sollen nicht der Welt hörig bleiben.

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LeerUnd doch soll diese Stimmung nicht auflösend wirken. Die Rundung des Kelches ist klar geformt. Das Warten der Kirche ist straffe Bereitschaft, ist ein Wissen um Ordnung, die von oben kommt, ist bereiter Gehorsam. Dem Heiland wird im Garten Gethsemane der Kelch gereicht, der Gotteswein des Leides, der Gotteswein der Kraft im Kampf. Aber es ist nur die Antwort darauf, daß er den Kelch seines Lebens fest, bereit, gehorsam bis zum Tode dem Willen Gottes entgegenhält. Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe. Du sollst alles sein. Du bist alles. Das Werk ist alles, das Werk an den Brüdern. Ich bin nichts.

LeerDie Kirche weiß: wir sind nichts. Blick in die Tiefe, über die das Schiff fährt. Da wartet der Tod. Und die Todestiefe saugt alles zu sich herab, was der Welt gehört. Auch unser Leben fährt dahin über die Todestiefe mit der gesamten Welt. Und der Abgrund will sein Recht geltend machen auf unser Dasein, bis in unsere Gedanken und Leistungen, bis hin in alles, was wir bauen und gestalten. Tod und Sünde, Sund, Gottesferne - beides sind Namen der Tiefe.

LeerAber die festen Planken des Schiffes bergen das Leben, bewahren vor dem Untergang. Die Kirche macht sündige Menschen, sterbliche Menschen des Lebens gewiß. „Fahret auf die Höhe”, so hat der Meister geboten. Auf offener See wird der Mensch der Tiefe bewußt: „Geh von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch”. Die Antwort des Heilands aber lautet: Ich lasse dich nicht in der Welt, der du dich hörig glaubst, ich ordne dich ein in den Dienst für Gott, in das Reich Gottes. Da ist die Tiefe überwunden. Da ist die Sünde vergeben. Da ist ein Mensch in die Verheißung des Lebens gehoben, wahrhaft „herausgerufen”.

LeerAch, daß dennoch das Leben äußerlich bleibt, wie es ist. Ach, daß wir so gar kein Verdienst haben, mit dem wir das Herausgehobensein begründen könnten. Gerade die Kirche weiß, daß sie nichts Verdienstliches aufweisen kann. Staunend, demütig dankbar steht sie dennoch auf der Höhe über dem Leben: Stadt auf dem Berge. Tritt unter die Krone und laß sie dir sagen, was Gott der Kirche als Sinn ihrer Erhebung gedeutet hat: „Es kann die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen sein.” Nach dem Bilde der Bereitschaft, nach dem Zeichen des geretteten Lebens soll von dem Wirken der Kirche geredet werden. Gott will durch sie sein Reich bauen mitten in dieser Welt. Ihr Wirken muß darum wohl ein anderes sein, als das Wirken und Bauen im Stil der Welt.

LeerJe mehr sie vom Licht der Sonne annimmt, die Stadt dort auf der Höhe, umso mehr „wirkt” sie, um so stärker ruft sie den Wanderer in der Tiefe. Sie strahlt das Licht der Sonne aus. Nicht sie wirkt, sondern das, was ihr im Wort des Lebens anvertraut ward, Leben, das leuchtet, Leben, das Leben zündet. Der das Bild von der Stadt auf dem Berge zuerst prägte, stand selber auf dem Berge. Die Menschen sahen zu ihm empor und standen im Licht seiner Güte, im Lichte seines heiligen Willens. Daß der Herr der Welt, der Weltüberlegene, durch ihn die Kirche zu Seinem Werkzeug macht, zum Träger Seines Wortes, das ist Geheimnis der Kirche, ihr Ursprung, ihr Wert, ihr Leben.

Das Gottesjahr 1935, S. 45-47
© Bärenreiter-Verlag Kassel (1935)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-07
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