|
von Ludwig Heitmann |
Das Geheimnis der ersten Schöpfung ist der fortflutende Schöpfungsström Gottes. In jedem neu erwachenden Morgen, in jedem neuen Frühling, in jeder jungen Generation, in jedem neugeborenen Menschenkinde stehen wir wieder vor dem Geheimnis des sich fortzeugenden Lebens. Aber über jeder neuen Geburt liegt auch der Schatten des Todes. Alles Leben wird geboren zum Tode. Darum ist mitten in der glanzvollen Schönheit der sich immer verjüngenden Schöpfung dennoch „Traurigkeit der Welt tiefer Grundton”. Aber mitten hinein in diese dem Tode entgegenrollende Welt ist eine neue Schöpfung gesetzt, deren Strom in die entgegengesetzte Richtung läuft: sie entspringt aus dem Tode und eilt der Fülle unvergänglichen Lebens entgegen. Sie gibt der Welt einen neuen Grundton; sie wandelt die Traurigkeit in Freude, „die niemand von euch nehmen wird”; sie durchstrahlt die Schatten des Todes mit ewigem Licht. Diese Wandlung vom Tode ins Leben ist das letzte Geheimnis der Welt, das in Christus offenbar geworden ist, ist das Geheimnis der Kirche. Als eine neue Wirklichkeit ragt sie in diese Welt der Vergänglichkeit hinein, ihr Geheimnis darin wahrend, daß sie nur vom Glauben geschaut wird, aber ihre sieghafte Schöpfungsmacht darin offenbarend, daß sie immer neues Leben aus dem Tode gebiert: in der vom Strom der neuen Schöpfung geweckten und durchfluteten Gemeinde. „Denn der heilige Geist treibt sein Werk ohne Unterlaß bis auf den jüngsten Tag, dazu er verordnet eine Gemeine auf Erden, dadurch er alles redet und tut” (Luther). In der Gemeinde Gottes wird das Leben der neuen Schöpfung sichtbar in dieser Welt, so gewiß ihr innerstes Geheimnis nur vom Glauben geschaut wird. Denn der „Schöpfer Geist” ist unermüdlich am Werke, die Gemeinde „zu berufen, zu sammeln, zu erleuchten, zu heiligen und zu erhalten im rechten einigen Glauben.” Diese schlechthin klassischen Worte des kleinen Katechismus Luthers zeichnen in Ehrfurcht den Weg, auf dem das Leben Christi Wirklichkeit wird in dieser dem Tode verfallenen Welt, aus dem der Geist Gottes die Gemeinde schafft. Dieser Weg läßt sich auf keine Weise deuten als eine menschlich zu beherrschende Methode, durch die Menschen und Völker zu ihrem Heile geführt werden könnten. Die Versuche, einen „ordo salutis”, einen Heilsweg zu konstruieren, sind eine Verirrung der Dogmatiker der letzten Jahrhunderte, die kennzeichnender Weise mit dem erwachenden Individualismus des 17. Jahrhunderts einsetzt und - wie zu hoffen ist - mit dem sterbenden Individualismus ihr Ende finden wird. In die Kirche werden wir „berufen” durch den Geist Gottes. Der Ruf Gottes zum ewigen Leben ist ein schlechthin undurchdringliches Geheimnis, das jenseits aller unserer menschlichen Verfügungsgewalt liegt. Die Kirche bringt ihr Wissen um dies Geheimnis dadurch zum Ausdruck, daß sie an den Anfang des Lebens die Taufe setzt. Ehe menschlicher Wille sich entscheiden, ehe menschliche Erkenntnis sich etwas bewußt machen kann, sind wir „berufen”. Die Kirche weiß um das Berufensein schon im Mutterleibe, ja von Anfang der Welt her. Denn der Ruf Gottes ist vorbereitet von Uranfang her (Jer. 31, 3) und erfüllte Wirklichkeit geworden in Christus und seiner erlösenden Frohbotschaft an die verlorene Welt. Der Schöpfer Geist erhält diesen Lebensruf lebendig und trägt ihn fort bis zur Vollendung der Welt. Es ist das Grundkennzeichen der Gemeinde Christi, daß sie aus diesem Rufe lebt, d. h. dauernd im Hören des Wortes bleibt. Am Anfang der Gemeinde Christi auf Erden steht der Ruf an die Jünger, deren Grundberuf es wurde, diesen Ruf weiterzugeben. Es ist die bleibende Aufgabe der Kirche bis an das Ende der Tage, das Wort zu verkündigen, das zum Leben ruft. Daß der Ruf gehört wird, ist das Schöpfungsgeheimnis des Geistes, ohne dessen Wirken das Wort nicht als Lebensruf Gottes erkannt und wirksam werden kann (1. Kor. 12, 3). Darum ist es menschliche Anmaßung, die Berufung zeitlich festzulegen, so gewiß es Augenblicke im Menschenleben gibt, in denen die durchschlagende und neuschaffende Kraft des Gottesrufs besonders eindringlich zum Bewußtsein kommt, und so gewiß es eine Ordnung und Führung zum Verständnis der Frohbotschaft im Völker- und Einzelleben gibt. Die entscheidende Berufung bleibt ein Schöpfungsgeheimnis des Geistes. Es ist das Grundbewußtsein der Glieder der Gemeinde Christi, daß sie durch Gottes Schöpfermacht zum Leben berufen sind. Dieser Ruf wird erlebt als ein Ruf zur Sammlung, d. h. als ein Herausgerufensein ans der Verirrung und Zerstreuung in das Leben der Gemeinde. Dieses entscheidende Kennzeichen der Wirkung des lebenschaffenden Geistes ist in dem „ordo salutis” der alten Dogmatiker darum ausgefallen, weil der Heilsweg rein individualistisch als Bekehrung und Vollendung des einzelnen verstanden wurde. Daß der heilige Geist Gemeinde schafft, und nicht bekehrte Einzelne, ist dabei verloren gegangen. Darum ist es heute in der Wendung zur Kirche, in der wir stehen, besonders wichtig, daß auf diese Seite des wirkenden Gottesgeistes hingewiesen wird. Gottes Lebensruf erlöst den Menschen aus seiner Ichverkrampfung, seiner Selbstliebe und seiner Einsamkeit und stellt ihn hinein in die Lebensgemeinschaft mit allen erlösten Geistern, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in die neue Schöpfung gerufen sind, und damit zugleich in eine höchst konkret verpflichtende Gemeinschaft mit seinem „Nächsten” in Familie, Stand, Beruf und im täglichen Erleben, vor allem aber mit der Gemeinde derer, die unter dem Ruf des Wortes und in der Gemeinschaft des Sakraments stehen. Darin erweist sich der Ruf des Geistes als ein Ruf zum Leben. Denn der Tod ist die Zersplitterung und Auflösung des Lebens in die Sprachenverwirrung, die Fremde, den Haß und die Gleichgültigkeit; in der Neugeburt aber kehrt das zerrissene Leben zurück in die Einheit: Der Geist sammelt die Gläubigen aus aller Welt Zungen zu einem neuen Leibe, in dem das Gesetz einer neuen gliedhaften Verbundenheit herrscht. Das bedeutet eine völlige Wandlung in der Grundrichtung auch des Einzellebens. Aus der seelischen Verworrenheit und Unordnung wird es zurückgeführt in die heilsame Ordnung, in die echte seelische Sammlung. Die Gemeinde ist der Ort der „Sammlung” auch in dem Sinn, daß sie die Innenwelt des Menschen ausrichtet auf das wesentliche Ziel und zurückführt auf den Mittelpunkt allen Lebens. Darum ist der Kultus der Gemeinde die Stätte der Stille, in der das Leben zu seinem ursprünglichen Sinn gesammelt wird. Denn nur in der Gemeinde vollzieht sich das zentrale Lebenswerk des göttlichen Geistes: Die Erleuchtung. Die alte Kirche hat noch darum gewußt, daß mit dem Geschenk der Erleuchtung die alles umspannende lebenschaffende Wirkung des Geistes gemeint sei, nicht etwa nur eine Wandlung und Bereicherung der Erkenntnis. Das eigentliche Geschenk der Taufe war die Erleuchtung, d. h. die Erschließung einer ganz neuen Lebenswirklichkeit, die wie eine lebenspendende Sonne dem aus der Nacht des Todes Kommenden aufleuchtete. Wie das Auge das zentrale Organ des Menschen ist, das ihm die volle Lebenswirklichkeit entweder verhüllt oder erschließt (Matth. 6, 22 f), so ist das Licht das Urgleichnis der neuen in Christus erschlossenen Welt, die der in Sünde und Todesschatten befangenen Welt gegenübertritt. Darum ist die Erleuchtung das Werk des Geistes, das wie die lebenspendende Sonne alle Seiten des Lebens durchdringt und neuschafft, an dem Leib, Seele und Geist, die ganze Fülle des wirklichen Lebens teilhat. Von hier aus wird die zentrale Bedeutung des Lichtsymbols für das kultische Leben der Kirche erst ganz deutlich. Die eigentlich schöpferische Wirksamkeit des Geistes ist die wahre Erfüllung des ersten Schöpfungswortes Gottes in der neuen Schöpfung: „Es werde Licht”. Da, wo der Schöpfer Geist das Licht aufleuchten läßt, werden die Urgegensätze der Welt sichtbar: Luzifer, der Träger des geraubten Lichts im Scheinglanz dieser Welt, wird entlarvt als der Fürst der Finsternis, Michael, der „Kämpfer im Heere des Lichts”, macht das wahre göttliche Licht sichtbar, das verborgen in Christus leuchtet. Unter diesem Lichte erkennt der Mensch seine wahre Lage, seine Verlorenheit, Sünde und Todesverfallenheit, und öffnet zugleich das Auge der Wahrheit, die von oben kommt und alle Todesschatten überstrahlt mit dem Glanz der göttlichen Gerechtigkeit. Unter diesem Lichte öffnen sich die ersten Blütenkelche einer neuen Schöpfung in den „Gaben des Geistes”, die die Kirche nicht müde wird zu preisen: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. Unter diesem Lichte wird dem Menschen neue „Erkenntnis” geschenkt, die sich wesentlich unterscheidet von der durch den Scharfsinn des Verstandes errungenen Beherrschung der äußeren Zusammenhänge des Weltgeschehens, die vielmehr eine neue Durchschau durch das Geheimnis der Welt von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende bedenket (vergl. insbesondere den Epheserbrief). Diese Erleuchtung steht in dieser Welt immer im Anfang. Das Licht bleibt immer im Kampf mit der Finsternis, die Gemeinde im Kampf mit der Welt, der heilige Geist im Kampf mit den Dämonen der Tiefe. Der Ernst dieser Kampfeslage, die in dieser Welt nie zur Ruhe kommt, findet seinen besonderen Ausdruck in dem Werk „der Heiligung” durch den Geist Gottes. Auch hier müssen wir uns hüten, die Bedeutung des Wortes dadurch zu verengen, daß wir es, wie es meist geschieht, auf die sittliche Seite des Lebens allein beziehen. „Geheiligt” wird die Gemeinde Christi dadurch, daß sie aus dem Zusammenhang der sündigen und todverfallenen Welt herausgelöst und in den Lebenszusammenhang mit Christus gesetzt wird. Auch das ist nicht das Werk menschlichen Vollkommenheitsstrebens oder menschlicher Aussonderungssucht, sondern das Werk des heiligen Geistes, der die Gemeinde Gottes in das Schicksal des Kampfes, des Leidens, des Hasses und der Verachtung durch die Welt, des Todes hineinführt, um ihr mitten in diesem Sterben das Siegel der Bewährung, des Friedens, der Hoffnung, der Gewißheit, der Freude aufzuprägen. Darum führte die alte Kirche ihre Glieder Jahr für Jahr den Weg der „Heiligung” durch die Quadragesima (die Fastenzeit) zur Quinquagesima (die österliche Freudenzeit): indem sie mit Christus geht, wird sie „geheiligt in seiner Wahrheit”. Dieser Weg freilich wird bis ans Ende der Tage ein Weg des Kampfes, der Versuchungen, der Gefahren bleiben. Die Gemeinde Christi auf Erden wird immer das von einer übermächtigen feindseligen Welt bedrohte Häuflein sein. Daß sie trotzdem „festbleibt, wenngleich das Meer wütete und wallete”, ist das alles überspannende und tragende Werk des göttlichen Geistes, der „seine Christenheit erhält im rechten einigen Glauben.” Wir haben allen Grund, in Zeitläuften, in denen die Kirche von der Welt verschlungen zu werden droht und der „rechte einige Glaube” nirgend mehr vorhanden zu sein scheint, uns dieses erhaltenden Werkes des heiligen Gottesgeistes zu getrösten. Er, der der Gemeinde Gottes als der Tröster zur Seite gegeben ist, der sie ohne Unterlaß ruft, sammelt, erleuchtet, heiligt, wird sie auch erhalten im rechten einigen Glauben und sie am Ende „in alle Wahrheit leiten”. Das Gottesjahr 1935, S. 40-45 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-07 |