titel

Startseite
Jahrgänge
1935
Autoren
Stichworte
Neue Seiten

Pfingsten
von Hans Faißt

LeerAls der Tag der Pfingsten erfüllet war, wehte der Geist Gottes über den Menschen wie ein Sturmwind, der in das Gehäuse eines Baumes fährt und jeden Zweig und jedes Blatt zur Erschütterung bringt und in Bewegung setzt; er wehte wie der Föhn im Frühjahr, der Schnee- und Eisschmelze bewirkt, sodaß die Bäche befreit hinunterstürzen von den Bergen und zu reißenden Strömen anwachsen, alle Hindernisse durch die Gewalt ihrer entfesselten Kräfte beseitigend, sich unaufhaltsam Wege bahnend zu dem großen Ziel in der Ferne, dem sie entgegenströmen.

LeerMit solch elementarer Gewalt kam der Geist Gottes, der heilige Geist, über die Jünger und schuf in ihnen die große Verwandlung. Sie, die bisher schwankende Menschen gewesen waren, nicht wissend, wozu sie berufen wären - heute himmelhoch jauchzend über die Auferstehung ihres Herrn, und morgen in Zweifeln und Unsicherheit zu Tode betrübt, heute im Begriff, hinzugehen und das Evangelium zu verkündigen, und morgen gehemmt durch den Mangel an Vollmacht - sie wissen auf einmal, was sie zu tun haben; es wird in ihren Herzen wie ein brennend Feuer, in ihren Gebeinen verschlossen; es schlug wie eine feurige Lohe aus ihrem Munde mit hemmungsloser Gewalt; alle Furcht vor den Menschen, alle Unsicherheit über den Weg, der zu beschreiten wäre, war verflogen - getrieben vom Geist reden sie vor allem Volk, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen.

LeerUnd der Herr tat an jenem gesegneten Tage Sein Werk auf eine seltsame und fremde Weise. Er ließ die Jünger erleben, was man so selten erlebt, was der Prophet geweissagt hatte von Gottes Wort: Es soll nicht wieder leer zu Mir kommen, sondern tun, das Mir gefällt und soll ihm gelingen, dazu Ichs sende. Es gelang ihm wahrhaftig; es fiel in die empfänglichen Herzen wie ein Regen in die dürre Steppe, die sich begrünt, als wäre sie berührt von einem Zauberstabe - es wurden hinzugetan an dem Tage bei 3000 Seelen, die in Christus ihren Herrn erkannten und ihm dienen wollten und sich zusammenschlossen zu der Gemeinschaft der Heiligen. Die Kirche Christi entstand unter dem Brausen des göttlichen Sturmwinds und stellte sich dar als eine betende, lobende, feiernde Gemeine.

Linie

LeerAus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist, wurde diese Gemeinde gebildet. Es fanden sich zusammen, die bisher getrennt waren durch unterschiedliche Sprachen, Sitten und Gebräuche; es fanden sich zusammen Hohe und Niedrige, Vornehme und Geringe, Kluge und Einfältige, Weise und Unweise; es fanden sich zusammen Männer und Frauen, als wäre es selbstverständlich in einer Zeit, die das Weib als Magd des Mannes betrachtete und nicht als gleichgeordnete Gefährtin; es fanden sich zusammen alle Berufe und Stände - ausgelöscht waren die Unterschiede, welche wie Schranken zwischen den Menschen niedergelassen sind - erfüllt war das Wort des Apostels: Hie ist kein Jude noch Grieche, hie ist kein Knecht noch Freier, hie ist kein Mann noch Weib, denn Ihr seid allzumal Einer in Christo.

LeerDie verwandelnde, erneuernde Kraft des Heiligen Geistes ward offenbar und gewann sichtbare Gestalt in der ersten Gemeinde. Wie Christus, ihr Herr, als der zweite Adam gepriesen wird, als der Mensch, der vollkommen geschaffen ist nach dem Bilde Gottes und diese Vollkommenheit durch keine Sünde zerstört, und wie er dadurch zum Urbild des Menschen wird, wie er eigentlich sein soll; also stellte sich die erste Gemeinde für kurze Zeit dar als die Urgemeinde, als das Urbild der wahren Kirche Jesu Christi, deren Vollendung im Jenseits liegt. Was wir heute zumeist nur glaubend erfahren können, daß die Kirche Jesu Christi eine Gemeinschaft der an ihn Gläubigen ist, über alle trennenden Unterschiede der Völker und Rassen hinweg, das wurde damals offenbar vor aller Augen an jenem ersten und bedeutsamsten Pfingstfest, das je gefeiert wurde und in Vollkommenheit erst wieder gefeiert werden wird, wenn das Ende der Tage gekommen ist und Gott Sein Reich aufrichtet und Seine Gemeinde darstellt als eine geschmückte Braut ihrem Mann.

LeerDas ist das Wunder des ersten Pfingstfestes, daß die hereinbrechende Gewalt des Heiligen Geistes alle Schranken zwischen den Menschen niederreißt wie der Sturzbach alles, was sich ihm entgegenstellt. Aber während die Naturkraft nichts weiter vermag, als einzureißen und zu zerstören und nichts als Entsetzen um sich her zu verbreiten, geschieht hier das Große: der Geist Gottes reißt ein und baut auf; schlägt nieder und richtet empor, tötet und macht lebendig, verbreitet Entsetzen und überschwengliche Freude in Einem; weil er Gottes Geist ist, darum ist er schöpferischer Geist, darum beten wir:
Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist,
Besuch das Herz des Menschen Dein,
Mit Gnaden sie füll, wie Du weißt,
Daß Dein Geschöpf soll forthin sein.
LeerPfingsten ist der Anfang und die Verheißung der neuen Schöpfung; darum die mitfolgenden Zeichen, die Geburtswehen des Geistes: Das Brausen vom Himmel, das Brennen des Feuers, das Sich-Entsetzen und Irrewerden der Menschen, das Übermenschliche, Sinnverwirrende, Grundumstürzende, ohne das Pfingsten nicht zu denken ist, Weil es nicht Menschensache, sondern Gottes Schöpfung ist.

Das Gottesjahr 1935, S. 32-34
© Bärenreiter-Verlag Kassel (1935)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-07
TOP

Impressum
Haftungsausschluss