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Die Osterkirche
von Karl Bernhard Ritter

LeerIn der Mitte des Kirchenjahres steht das Fest der Auferstehung. Die Feier der Osternacht ist der älteste, erhabene Gottesdienst der christlichen Kirche. Vierzig Tage Fastenzeit bereiten auf diese Feier vor, ihr folgen fünfzig Freudentage der Kirche bis zum Pfingstfest. In die Kirche aufgenommen werden heißt, in Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn gelangen. Darum werden die Taufbewerber der Alten Kirche in der Osternacht getauft. Ihre Büßer dürfen vor dem Osterfest wieder vor den Altar zurückkehren, um nicht in der österlichen Sakramentsgemeinschaft zu fehlen: „Der Tisch ist gedeckt, labt euch alle! Niemand gehe hungrig hinaus! Alle esset von dem Gastmahl des Glaubens! Alle genießet von dem Reichtum der Güte! Niemand beweine seine Armut, denn es ist erschienen das gemeinsame Reich! Niemand trauere wegen der Sünden, denn die Vergebung strahlt auf aus dem Grabe!” So lauten die Worte des Hl. Johannes Chrysostomus, die in der mitternächtlichen Osterfeier der Ostkirche verlesen werden.

LeerWie sehr die Kirche Osterkirche ist, das hat seinen überzeugenden Ausdruck darin gefunden, daß der Auferstehungstag, der erste Tag der Woche, sich sogar gegen das Schwergewicht der Sabbathfeier in den judenchristlichen Gemeinden als der Herrentag, als der Feiertag der Christenheit durchgesetzt hat. Jeder Sonntagsgottesdienst ist eine Auferstehungsfeier. Das läßt sich aus der Geschichte der christlichen Liturgie überzeugend nachweisen. Der Osterjubel der christlichen Gemeinde bricht durch das ganze Jahr hindurch nicht ab. Selbst die Sonntage in der Fastenzeit gelten als österliche Freudentage und werden vom Fasten ausgenommen. Zum anderen aber erscheint der Ostercharakter der Kirche darin, daß in der Mitte ihres kultischen Lebens das österliche Herrenmahl steht, die Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen.

LeerDas Lebensgeheimnis der Kirche ist das Leben des auferstandenen Herrn inmitten seiner Gläubigen. Darum sind die vierzig Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt, in denen der Auferstandene den Jüngern erschienen ist, von entscheidender Bedeutung für das Selbstverständnis der Kirche. Des zum Zeichen hat sie schon früh einen sehr anschaulichen liturgischen Brauch herausgebildet. Am Karfreitag sind mit dem Tode des Herrn alle Lichter auf dem Altar erloschen. Die lichtlose Todes-Nacht kommt auch für die Kirche. Ihre Stimme verstummt. Die Glocken schweigen. Der stille Karsamstag ist der Tag tiefster Trauer am Grabe des Heilandes.

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LeerAber in der Osternacht wird das Feuer aus dem kalten Felsgestein geschlagen und die Christuskerze neu entzündet. Von dieser Osterkerze empfangen die Kerzen des Altars das Licht, die nun das ganze Jahr hindurch der Gemeinde leuchten und das Haus der Kirche mit ihrem Glanz erfüllen. Alle Glieder der Gemeinde kommen und entzünden ihre Lampen an der Flamme der Christuskerze und tragen das Osterlicht in ihre Häuser. Und die Glocken, die als Osterglocken ihre Stimme wiedergewonnen haben, jubeln die lebenspendende Botschaft über die Lande und verkünden: Der Herr ist auferstanden!

LeerDie Christuskerze brennt neben dem Altar auf hohem Leuchter die vierzig Tage bis zur Himmelfahrt hindurch, in denen der Auferstandene seinen Jüngern in Erscheinungen nahebleibt. Es ist die Zeit ihrer Vorbereitung auf die neue Gemeinschaft, die er mit ihnen eingeht durch den Geist. Zu Pfingsten kommt das Feuer der Osterkerze wieder und leuchtet über den Jüngern auf in „Zungen zerteilt”. Zugleich sind die vierzig Tage nach Ostern eine Zeit der Vorbereitung auf die sakramentale Lebensform dieser neuen Christus-Gemeinschaft im Geist. Jedem aufmerksamem Leser der evangelischen Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen muß auffallen, wie in diesen Berichten von einem Mahl die Rede ist, das der Auferstandene den Seinen spendet, in dem er sich mit ihnen vereint, durch das er die Zweifelnden, Ungläubigen seiner Gegenwart gewiß macht.

LeerDie beiden Jünger, denen er sich auf dem Wege nach Emmaus gesellt, erkennen ihn „an dem, da er das Brot brach”. Am gleichen Abend des ersten Ostertages erscheint er den Elfen und stärkt ihren Glauben, da er vor ihnen vom Fisch und Honigseim nimmt und ißt. Am Ufer des Sees Genezareth lädt er nach dem Bericht des Johannesevangeliums sieben Jünger zum Mahl und ißt mit ihnen. Die alte Kirche hat diese Berichte mit Recht als Hinweis auf die sakramentale Gemeinschaft der Kirche mit ihrem Haupt verstanden. Was in den Erzählungen von der wunderbaren Speisung der Viertausend und Fünftausend vorgedeutet ist, was der Jüngerschaft am Gründonnerstag in feierlicher Stiftung verheißen wird, kommt hier zu seiner wunderbaren Erfüllung. Den Jüngern schenkt der auferstandene Herr die Gewißheit, daß er „bei ihnen sein wird alle Tage bis an der Welt Ende” so wirklich, so wirksam, wie sie so in diesen Augenblicken überwältigender Erlebnisse erfahren dürfen, da er die Elemente des natürlichen, leibhaften Lebens in sein erhöhtes, verklärtes Leben hineinnimmt und sie zu Trägern seiner wunderbaren leibhaften Gegenwart macht.

LeerDie Kirche ist die Lebensgemeinschaft der Gläubigen mit dem auferstandenen verklärten Christus. Die vierzig Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt sind die wunderbare und machtvolle Hilfe, die Er den Seinen gewährt, hinüberzufinden ans der Gemeinschaft, die sie mit ihm haben durften, da er noch unter ihnen wandelte in Fleisch und Blut, in die neue sakramentale Gemeinschaft, die er ihnen in seiner Kirche schenkt. Nun glauben sie, daß, wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen, Er mitten unter ihnen ist. Das Gottesjahr 1935, S. 30-32
© Bärenreiter-Verlag Kassel (1935)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-07
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