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von Wilhelm Stählin |
Wer um das Geheimnis der Kirche wissen will, muß sich in die letzten Reden Jesu versenken, die uns das Johannesevangelium berichtet. Denn das Geheimnis der Kirche ist das Geheimnis Christi. Wo der Herr seinen Jüngern das Verborgene seines Wesens enthüllt, da beschreibt er zugleich das verborgene Leben seiner Jünger. Jüngerschaft aber ist das Geheimnis der Gemeinde, das Geheimnis der Kirche. Diese Reden münden in ein Gebet; denn sie richten sich nicht eigentlich, wie irgend ein anderes menschliches Wort, au einen Kreis von Menschen; sondern sie sind viel eher eine Zwiesprache des Sohnes mit dem Vater, ein Selbstgespräch des Sohnes vor dem Vater, der immer bei ihm ist. Und die Jünger dürfen mithörende, mitwissende, miterkennende Zeugen sein, wie die Engel Gottes hinauf und herabsteigen auf des Menschen Sohn. Die kirchliche Überlieferung redet von diesem Gebet als dem Hohenpriesterlichen Gebet Christi und sie bezeichnet damit zugleich das innerste Geheimnis der Kirche. Denn die Kirche ist nicht ihrer selbst mächtig, sondern sie ist ganz und gar gehalten und getragen von der Liebe ihres Herrn. So wie priesterliche Fürbitte die Menschen samt ihrer Not und Schwachheit emporträgt, emporhält an das Herz des Vaters, so bringt der Hohepriester Christus seine Gemeinde Gott dar als ein heiliges und vollkommenes Opfer (Eph. 5, 25-27). Die Kirche ist die Welt, die mit Christus und durch Christus Gott geopfert wird; sie ist das heilige Opferfeuer, das, von keines Menschen Hand entzündet sondern durch das Himmelsfeuer des göttlichen Geistes entflammt, auf dem Altar dieser Welt brennt. Die Kirche entspringt keiner menschlichen Absicht, und sie zu bauen steht in keines Menschen Macht. „Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann.” Es steht auch in niemandes Belieben, zur Kirche zu gehören oder nicht. Der äußeren Organisation, die sich Kirche nennt, kann man beitreten, und man kann sich von ihr lösen. Zu der Gemeinde Jesu Christi aber gehören nur die, die der Vater dem Sohn gegeben hat (Joh. 17, 2). Alle Menschen gehören dem Vater, auch die es nicht wissen, auch die es nicht wollen; aber die der Vater zur Erkenntnis des Sohnes geführt hat, die der Vater dem Sohne gegeben hat, daß sie seine Stimme hören und im Bilde des Sohnes den unbekannten Gott erkennen, die sind die Glieder seiner heiligen Schar und Bürger mit den Heiligen. Christliche Kirche ist nur da, wo in Christus angeschaut wird der zu uns kommende und uns heimsuchende Gott. Da ist die Kirche, wo Menschen erkennen, daß der Vater den Sohn gesandt hat (Joh. 17, 8. 25). Die Gewißheit, daß der Sohn im Vater und der Vater im Sohn lebendig ist (Joh. 14, 11), ist das helle Licht, an dem alle Lichter der Kirche entzündet sind. Diese Erkenntnis wandelt das Leben in der Tiefe. „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich, der Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen” (Joh. 17, 3). Darum steht die Kirche unter dem Haß der Welt; aber indem sie den Widerspruch und den Haß der Welt auf sich zieht, entlarvt sie die letzte Not, die tiefste Sünde der Welt (Joh. 16, 3). Eben diese Welt ist der Ort der Kirche. Die Kirche ist nicht ein Ort der stillen Zuflucht; die Sehnsucht, dem Jammer, der Bosheit, der Todesgestalt dieser Welt entnommen zu werden, kann in ihr nicht befriedigt werden. „Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest” (Joh. 17, 15). Wie könnte die Liebe des Vaters, der sich selber an das Kreuz dieser Welt hingibt, erkannt und bezeugt werden von denen, die den Haß dieser Welt mit Haß vergelten, oder in der Angst vor dem Leiden dieser Welt entfliehen wollen. „Gleichwie Mich der Vater gesandt hat, so sende Ich euch” (Joh. 20, 21). Solche Heiligung ist ein für alle Male geschehen in dem vollkommenen Opfer des Hohenpriesters. Indem er selbst, der Sohn, dem Vater vollkommen gehorsam wird, hat er die Seinen von der Welt gelöst und sie als das Volk des Eigentums (1. Petr. 2, 9) dem Vater dargebracht. „Ich heilige Mich selbst für sie” (Joh. 17, 19). Aber zugleich muß die heilige Kirche, weil sie in dieser Welt ist, immer von neuem geheiligt werden; eben darin wird die Macht des Hohenpriesters an ihr sichtbar, daß sie trotz aller Sünde um sie her und in ihr selbst „bewahrt wird vor dem Argen” (Joh. 17, 15) und „erhalten” wird in der Erkenntnis der Wahrheit (Joh. 17, 11). Die Kirche ist communio; die Kluft, die den Menschen vom Menschen trennt, und die Kluft, die die Welt von Gott scheidet, ist in der Einheit der Kirche, die zugleich auf Erden und im Himmel ist, überbrückt. „Auf daß sie alle eins seien, gleichwie Du Vater in mir und ich in Dir” (Joh. 17, 21). Darum ist die Liebe die Lebensform der Kirche; die Liebe zu Gott, die der Liebe Gottes antwortet, und die Liebe der Jünger untereinander. „Dabei wird jedermann erkennen, daß ihr Meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt” (Joh. 13, 35). „Auf daß die Liebe, damit Du mich liebst, sei in ihnen und ich in ihnen” (Joh. 17, 26). Die Kirche ist die Welt, die Christus aus dieser Welt emporgehoben hat und emporhebt als das heilige Opfer; das Opfer, das der Hohepriester darbringt; der Ort in der Welt, den Gott sich geheiligt hat, die Welt, die der Vater zu sich emporzieht in das Licht seiner Herrlichkeit. Das Gottesjahr 1935, S. 26-30 © Bärenreiter-Verlag Kassel (1935) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-07 |