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Arbeit und Spiel
von Wilhelm Thomas

LeerSeit „Adam grub und Eva spann”, stehen Arbeit und Spiel einander im menschlichen Leben gegenüber. Aber sie sind verschieden auf die einzelnen Lebensalter verteilt, ja sie bedeuten für jede Altersstufe wieder etwas anderes. Es gehört zur Gesundheit eines jeden Lebensalters, daß es von seiner Art Arbeit und seiner Art Spiel ausgefüllt fei, und es ist deshalb eine entscheidende Entwicklungshilfe, wenn einem Menschen die Gelegenheit zum Spiel und die Notwendigkeit zur Arbeit auferlegt wird, die ihm auf der Stufe, auf der er steht, zukommt.

LeerWas ist Arbeit? Unsre Zeit ist geneigt, im produktiven Handeln das Wesen der Arbeit zu sehen - im Spiel dagegen etwas an sich Wertloses, das aber um des Genusses willen, den es bereitet, getan wird. Hinter der Arbeit steht nach dieser Auffassung die Strenge des Lebensernstes und die Würde des Schöpfer-Berufes des Menschen - das Spiel ist etwas Erlaubtes, Zulässiges, solange es unschädlich bleibt. Diese herrschende Auffassung ist falsch, ist ein Selbstbetrug, mit dem die in Frondienst versklavte Menschheit ihre schwere Lage umlügt in einen unmittelbaren Wert, um sie leichter zu ertragen. In Wirklichkeit ist es ganz unmöglich, die Würde des Schöpferischen dem Spiel abzusprechen und der Arbeit als solcher beizulegen. Und es ist ebenso unmöglich, darüber hinwegzusehen, daß alle Arbeit etwas Zwiespältiges, Unedles an sich hat, insofern sie nicht um ihrer selbst willen, sondern um eines Zweckes willen getan wird, der außerhalb ihrer selbst liegt. Gewiß macht es etwas aus, ob Werk und Zweck immerhin einander nahestehen und ob sie beide etwas mit mir, dem Arbeitenden, zu tun haben oder nicht. Es gibt Arbeiten, die man um des schnöden Mammons willen tun kann, und andere, bei denen das Schmähliche des Sich-Verkaufen-Müssens zum Himmel schreit. Und was der eine mit Lust und Liebe tut, ist dem andern eine schwere Last und ein fremdes Joch. Aber so vielerlei Arbeit es gibt: es ist alles Arbeit, und nirgends fehlt ganz jenes Schielen weg von dem Werk, das man unter den Händen hat, hin auf die Folgen und den Erfolg des Handelns.

LeerVon Spiel dagegen zu reden wäre Unsinn, wo solche Seitengedanken vorlägen. Absichten müssen dem echten Spiel - denken wir an das Spiel des Kindes - fernbleiben. Freilich fehlt dem Spiel damit dies, daß es von einem Bewußtsein um den Sinn des gesamten Lebens getragen, daß es unmittelbar in den Zweckzusammenhang des Lebensganzen eingeordnet wäre; aber anders entspräche es nicht unserer Lage, die das Spiel eben nur als Vorspiel, Unterbrechung und Nachspiel des Lebens zuläßt, nicht als Grundstock des Daseins.

LeerWas die volle Gewichtigkeit der Arbeit und den vollen Adel des Spiels verbindet, das gibt es auf Erden nur als seltenen Grenzfall: das schöpferische Werk, das um der Menschheit willen und doch in schlichter Hingabe an den Augenblick als ein seliges Dürfen getan wird, Jedem kann dies einmal geschenkt sein, aber die Breite des Lebens besteht unweigerlich aus Arbeit, innerlich zwiespältiger, erfolgschielender Arbeit - seit der Vertreibung ans dem Paradiese des Schöpfers. Das, was wir welch ein Hohn! - unsern Beruf nennen, ist gerade ein Werk, welches am stärksten von der Verfälschung durch den Zweck des Erwerbs durchsetzt ist. Gewiß, es ist die Würde des reifen Menschen, sonderlich des Mannes, das Joch dieser Unterwerfung unter die bittere Notwendigkeit des Erdendaseins in seiner ganzen Härte zu tragen; aber eben darum: wehe dem, der nicht arbeiten gelernt hat als ein Herr-Bleiben in aller Knechtschaft unter den erdbeherrschenden Despoten wirtschaftlicher, physischer, seelischer und geistiger Gewalt!

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LeerIst Arbeitenkönnen eine Kunst, die nur weltüberwindender Glaube lehrt, so ist andrerseits kein Leben der Arbeit möglich ohne die Labsal echten Spiels. Der Fluch der Arbeit ist einfach für den sehend Gewordenen zu grausam, als daß er ertragen werden könnte ohne eine Ahnung seiner endlichen Überwindung; im Spiel wenigstens muß die Möglichkeit eines sinnerfüllten Handelns frei von allem Schielen über das unmittelbare Geschehen hinaus aufleuchten. Wissen um das Erdenschicksal, ohne die Gabe des Spiels geschenkt bekommen zu haben, bedeutet für den Menschen Wahnsinn. Die mönchische Ethik des Mittelalters hat in ihrem „Bete und arbeite” versucht, das Spiel als sündhaft aus dem Christenleben fernzuhalten - aber ihre Träger waren zu sehr erlöste Menschen, als daß die Gabe des Spiels ihnen nicht doch in reichlichstem Maße zuteil geworden wäre: könnten wir so hingegeben singen, malen und bauen wie sie! Erst die Erhebung der Arbeit selbst auf den Göttersitz, in der Moderne, hat es nach sich gezogen, daß die Kunst zu jenem Schattendasein verurteilt wurde, das sie heute führt.

LeerWie wird ein Mensch fähig zu arbeiten, wie es sein Auftrag ist, als ein Mitträger an den Lasten der Welt? Und wie wird er fähig zu spielen, wie es das größte Geschenk Gottes ist, als ein Getragener und Geborgener?

LeerDiese doppelte Aufgabe ist in Wirklichkeit eine einzige. Die Antwort liegt für beides im Spiel der Kinderund Jugendzeit. In der Kindheit liegen Arbeit und Spiel noch ineinander, was schon daran deutlich ist, daß die Spiele des Kindes nicht wie die des Erwachsenen durch das geringere Maß von Anstrengung und Mühe von der Arbeit unterschieden sind. Das Kind kann nicht arbeiten in dem Sinne, daß es sein Handeln Zwecken unterordnete, die dem Werk und der eigenen Person so ferne stünden, wie das im Leben des Erwachsenen der Fall ist. Aber es kann spielen mit einer Hingabe an die Sache, wie sie in den wirklich zweckfreien Spielen des Erwachsenenlebens in der Regel fehlen muß. Das ist das Geheimnis der Weckung aller Siegeskräfte für Arbeit und Spiel des reifen Menschen: der rechte Übergang aus dem kindlichen Spiel zu jenem „Ernst des Lebens”, der in der Beugung unter den Fluch der Arbeit besteht.

LeerZwei Wege sind falsch, und doch müssen unzählige Menschen sie gehen. Auf dem einen muß der Mensch von vorn herein verkümmern: wenn er schon als Kind nicht spielen darf, sondern nur fronden. Ein Glück, daß dem Kinde gegen diese Versklavung ungeheure Gegenkräfte zur Verfügung stehen. Auf dem anderen bricht die Arbeitswelt eines Tages unvermittelt über einen Menschen herein, der bis dahin nur gespielt, und vielleicht nicht einmal richtig gespielt, sondern nur getändelt hat. Auch da gibt es Heilungen, aber weit mehr Zerbrochene als Genesene. Das ist also das Geheimnis des rechten Übergangs: nicht das Spiel des Kindes zu einer Tändelei herabdrücken und daneben den Frondienst der Zwecke dem jungen Menschen aufnötigen, obendrein aufgeputzt mit der falschen Würde göttlichen Rangs. Sondern das, was das Leben des Kindes ausfüllt und eben mehr ist als das Spiel Erwachsener, dieses kindliche Spiel in sich ausweiten und wachsen lassen und so im selbsteigenen Tun des Kindes und der Jugend die Kräfte freimachen, die nötig sind, um auch die härteste Arbeit einmal nicht als Sklave, sondern als freies, fruchtbringendes Opfer zu leisten.

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LeerMan verstehe nicht falsch. Es handelt sich nicht darum, das Arbeitsleben nun doch zum Spiel umzufälschen und der Jugend den Bruch mit Kindheit und Jugend zu ersparen. Diese Gefahr, die freilich bedenklich genug wäre, besteht schon deshalb nicht, weil ja der Mann, in dem das Kind und der Jüngling nicht einfach ertötet sind, der einzige ist, der darum weiß, wie furchtbar das irdische Arbeitsschicksal ist; der einzige, er sich nicht täuscht über die Abgründe, an denen sein Weg vorbeiführt. Und weil die Frau, die Jungfrau und Kind geblieben ist, allein begreift, daß wir aus dem Paradiese vertrieben sind.

LeerEs handelt sich nicht um eine Umdeutung dieses Schicksals, aber freilich um den Versuch einer Wiederherstellung der schöpfungsmäßigen Ordnung. Der junge Mensch trägt in sich den Trieb, von den kleinen, gelegentlichen, flüchtigen Spielen der ersten Kindheit aufzusteigen zu immer größeren; seine Unternehmungen den steigenden Kräften anzupassen und sie dabei doch immer ureigenste Antwort auf die Eindrücke der Umwelt bleiben zu lassen. Diese seine Unternehmungen sind oft „Böse-Buben” oder „Dumme-Jungen”-Streiche, weil sie sich nicht ohne weiteres in die Zweckwelt der Erwachsenen eingliedern, und man kann sie niederkämpfen durch eine Politik der Zermürbung, für die es mancherlei fromme Namen gibt; die Folge ist dann der Mensch, der weder arbeiten kann - sondern nur noch maschinenmäßig Geschäfte abhaspeln -, noch spielen mit der Hingabe des Kindes oder des Künstlers - sondern nur noch tändeln. Wenn nun aber statt dessen der Erzieher dem Kinde und dem Jugendlichen das Tor öffnet zu seinem eigenen Reiche, in dem beide weder mit der Arbeit des Erwachsenen in Wettbewerb zu treten noch ihn auch in den Nichtigkeiten seiner Geselligkeit nachzuäffen brauchen, dann gewinnt das kindliche und jugendliche Spiel von selbst Eigenschaften, die es zur Vorschule der Arbeit werden lassen. Wenn es sich nicht mehr darum handelt, bloß augenblicklichen Launen zu folgen, wenn das Spiel in der Verfolgung eines Zieles besteht, das von einem Tag zum nächsten, später von Woche zu Woche, endlich von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr verfolgt wird: dann tritt dies so Wichtige ein, daß im Spiel gearbeitet wird, und das ist die einzige Schule für unversklavtes, über den Gewaltmächten der Erde stehendes, für erlöstes Arbeiten.

LeerIn Deutschland wird soviel Sklavenarbeit getan, Arbeit ohne innere Teilnahme, und darum ohne Frucht. Oder sagen wir: auch in Deutschland. Natürlich wäre es Selbstbetrug, wollte ein Mensch diese Arbeit, wie wir sie nun einmal tun müssen, so betreiben, als wäre es „Arbeit im Spiel”. Darum ist es auch unerträglich, wenn dem Sklaven am Schraubstock, am Büro- und Ladentisch gepredigt wird, er solle in seiner Arbeit Inhalt und Glück seines Lebens sehen. Vielmehr müssen wir den Mut aufbringen, dem Fluch, der in aller wirklichen Arbeit liegt, ins Auge zu schauen. Aber, so groß der Unterschied zwischen der „Arbeit im Spiel” und dem „Ernst des Lebens” auch sein mag: der Mensch, der im Spiel arbeiten gelernt hat, steht völlig anders im Leben, als der vom Kinderspiel weg Versklavte. Vielleicht lernt auch ein Erwachsener noch einmal spielen und arbeiten - mehr Hoffnung dürfen wir auf den jungen Menschen setzen, wenn wir sein Spiel und seine Arbeit als Erzieher gestalten. Hilf den Kindern, daß sie lernen mit Hingebung und Schlichtheit zu spielen! Hilf der Jugend, daß sie lerne mit Hingebung und Ausdauer zu spielen! Jugendspiele, nicht Kinderspiele oder Erwachsenentändeleien! Nicht den Frondienst des Sports, aber: die Eroberung der Welt im Wandern, die Gründung des eigenen Reichs in der raum-zeitlichen Wirklichkeit des Jugend-Heimes, und daneben Handwerk um des Hand-Wirkens, Wissenschaft um der Erkenntnis willen. Hilf dazu, stoße Tore auf, dann hast du Großes getan. Vielleicht wirst du mitspielen dürfen - und das wird deine fruchtbarste Arbeit sein.

Gottesjahr 1930, S. 120-124
© Bärenreiter-Verlag zu Kassel (1929)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-29
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