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von Elisabeth Nitzsche |
Ehe kommt von dem althochdeutschen Wort ewa; das ist Einheit. Es handelt sich also um eine Vereinigung von zwei Wesen. Vielleicht kann man sich an einem Bild klar machen, was das bedeutet. Die Einheit wird nicht hergestellt durch ein Nebeneinander, so, als wenn man zwei Flächen nebeneinander legte. Da geschieht es wohl in der Regel, daß ein zeitweiliges, vorübergehendes Berühren da ist, meist aber ein getrenntes Nebeneinanderherlaufen. Zunächst ist das Trennende fein und durchscheinend wie die Luft. Im Laufe der Jahre lagert sich immer mehr dazwischen, häuft sich an, bildet eine Mauer; und die Beiden, die erst mit einander flüstern konnten, müssen immer lauter sprechen, fast schreien, wenn sie doch einmal ein Hinüber und Herüber finden wollen. Wenn solch ein Gebilde aber ein Ganzes bilden und zusammenhalten soll, dann muß man wohl ein Bindemittel ersinnen. Es gibt dafür verschiedene Namen: Sei es gemeinsames Interesse an geistigen Gütern, sei es Arbeit, sei es Geld- und Gutgemeinschaft, seien es die Kinder - das Bindemittel tut seine Dienste, und die Verbindung hat eine Stütze und kann recht dauerhaft sein. Das Gemeinsame ist in dem Dritten. Und dennoch ist das Ganze ein Konglomerat, ein Zusammengesetztes aus dennoch einzeln bleibenden Stücken, auch wenn sie noch so sehr zusammen geschweißt sind. Wir wollen uns über diese Erscheinungen nicht allzu sehr entrüsten. Und doch gebührt ihnen nicht der volle Name Ehe. Ein anderes Bild, das eben so vielen Tatsachenerscheinungen entspricht: Der Eine geht im Anderen auf; dann sprechen wir von dem ritterlichen Schutz des Mannes oder von dem mütterlichen Bergen der Frau. Umschlossen ist das eine vom anderen. Es wird niemals Ehe geben ohne solche tragende Hohlkugelkraft. Es werden immer Zeiten kommen, in denen der eine oder andere nur Ruhe sucht. Und es ist das eine Hauptkraft der Ehe,; daß sie diese Ruhe zu geben vermag. Aber der tiefste Sinn der Ehe kommt aus einer anderen Einigungskraft: Ehe wird aus Spannung. Es ist durchaus nicht erwiesen, daß wir bestimmte Eigenschaften nur dem Manne oder nur der Frau zuschreiben könnten, daß die Geschlechter einzeln gesehen so grundverschieden seien und an sich absolute Gegensätze. Ein Anderes gilt: Wie in Magneten die Kraftfelder sich bei einer gegenseitigen Zuwendung so lagern, daß die polaren Gegensätze zu einander kommen, so löst die Beziehung zwischen Mann und Fran solche Polarität aus. Es sind also zwei voll abgeschlossene Einzelwesen, jedes ein Leben, eine Ganzheit für sich. Sie stehen nicht reibungslos und glatt nebeneinander, sie stehen nicht ruhend ineinander. Spannung bedeutet Getrenntsein mit der ganzen schmerzenden Gewalt der Polarität; zugleich aber liegt in der Spannung die elementare Kraft des Zusammengehörens, der Trieb des Einswerdens. Was wir hier bildhaft nur andeuten können, das nennen wir Menschen Liebe. Liebe ist also nicht Aufhebung der Spannung, sondern die Erlösung aus ihr durch eine ständige Bejahung und Überwindung. In diesem Gedanken liegt enthalten, daß Liebe nur möglich ist bei Menschen, die zu einer Höhe ihrer Entwicklung gekommen sind, die nicht hoffen, erst durch die Ehe Persönlichkeiten zu werden; sondern die es sind, um dadurch die Kraft zu haben, Einheit - ewa - zu wollen. Liebe ist eine Naturkraft, so stark, wie wir Menschen sie in unseren theoretischen Erwägungen niemals auszudenken vermöchten. Liebe ist auch eine Kraft der menschlichen Individualität mit aller Besonderheit ihrer eigentümlichen Eigenschaften und Neigungen; d. h. Liebe ist auch Sympathie. Wir meinen damit das Zusammengestelltsein unter ein Schicksal, das mitbegründet ist in dem psychologischen Typus, in dem einmaligen Geartetsein der beiden Menschen. „Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen.” So gilt das Work von dem Zusammenfügen der Menschen durch Gott. Man darf darunter nur nicht ein magisches Eingreifen Gottes verstehen, das die einzig treibende Kraft bei der Eheschließung bedeutete und darum auch die Gewährleistung für ihre Unauflöslichkeit. Wohl wissen wir, daß unser Leben ein Gott-Gehorchen und eine Gottesschickung ist. Das Zusammenfügen Gottes ist aber nicht nur Ausgang der Ehe, viel mehr noch Ziel und dauernder Inhalt. Von hier aus gesehen ist es selbstverständlich, daß Liebe ohne Treue unmöglich ist, daß Ehe eine ewige Gemeinschaft ist. Das Führen aber dieser ewigen Ehe im Einerlei des Alltags muß erkämpft und erzogen werden, und es gibt keinen schwereren Beruf auf Erden als den, alltäglich mit einander zu leben. So ist es nicht zu verwundern, daß es so wenig Ehen gibt, die diesen Namen verdienen. Aber es ist ebenso klar, daß man wenigstens ehrlich sein sollte und zugeben, daß das seinen Grund nicht in der Ehe hat, sondern in den Menschen, die nicht fähig sind, Ehe zu leben. Es sollte deutlich gesehen werden, daß Ehe für sich einen Sinn hat, der nicht erst durch die Nachkommenschaft begründet wird. Es liegt vielmehr in dem sehr begreiflichen und an sich sehr schönen Streben der Eltern, insbesondere der Mutter, ganz für die Kinder da zu sein, eine große Gefahr für das Zusammenleben der Ehegatten, unter der manche wertvolle, schön angelegte Ehe allmählich verkümmert. Wenn wir auch diesen Vorbehalt ernsthaft aufzeigen müssen, so gilt doch der untrennbare Zusammenhang zwischen Ehe und Familie. Mann und Frau haben die Problematik der Jugendjahre hinter sich gelassen und müssen nun mit Naturnotwendigkeit in das reale Leben hineinwirken. Vaterschaft und Mutterschaft sind die ewigen Symbole und der selbstverständliche Ausdruck ihres Stehens im Leben; dafür, daß nun im eigenen Leben sich die Kette zwischen Vergangenheit und Zukunft schließt. Absichtliche Kinderlosigkeit einer Ehe bedeutet Flucht vor dem Leben. Diese Flucht kann aufgezwungen sein durch die mannigfachen Notverhältnisse etwa unserer Zeit; und immer wieder gilt es, die Lebensbedingungen, zunächst einmal den Lebensraum, in allergrößtem Ernst zu schaffen. Es wird unendlich viel geredet über die Not; es wird sehr wenig gegen sie unternommen; denn was zur Abwendung geschieht, das gleitet nur allzu oft in ein unfruchtbares Nebengeleise, indem es mit großem Massenaufwand Scheinlösungen für Riesenzahlen (in Sportplätzen und Schulgemeinden, in Massenhygiene und Massenpädagogik) herbeiführt, aber gerade dadurch die eigentliche Lebenswurzel der Menschen selbst, die Familie, untergräbt. In aller Not bleibt ausschlaggebend doch immer die Haltung des Willens unserer heutigen Zeit. Unsere Zeit erscheint bei aller vorgetäuschten Sachlichkeit doch unsagbar lebensunwirklich. Dem eigentlichen Leben der tatkräftigen, verantwortungsvollen Leistung des Mannes und der Frau geht man nur gar zu gern aus dem Wege. Widerlich kindisch oder jugendlich ist der Eindruck, der sich einem immer wieder aufdrängt bei allen Vergnügungen, bei allem Ausleben der Menschen unserer Zeit, die ihrem Geburtsschein nach längst in das Alter der Väter und Mütter gekommen sind, der führenden Generation, zu der mit Ehrfurcht hinaufzublicken, der Nachwuchs ein Anrecht hätte. Wir scheinen vergessen zu haben, daß Erwachsensein gleichbedeutend ist mit willig übernommenen Bindungen, mit der freudigen Kraft, jeder an seinem Teil Menschenlast auf sich zu nehmen, mit dem Verzicht auf das nur Individuelle, mit der Sorge für die Zukunft unter vollem Einsatz und Opfer der Gegenwart. Man muß sich klar machen, wie unersetzlich wichtig die Familie als Wirkungs- und Erziehungsstätte für die Eltern selbst zu werten ist. Aber es ist selbstverständlich leichter, einen Beruf, und sei er auch noch so schwer, gut auszufüllen, als in aller natürlichen Einfachheit, aber eben darum einer so unentrinnbaren, unausgesetzten Forderung Elternpflichten wirklich gut durchzuführen. Freilich ist der Familienegoismus, der Druck des allzu Nahen eine schwerwiegende Kehrseite. Eltern müssen erleben und willig gehorchen, daß Kinder nicht ihr Eigentum sind, daß Kinder hinein wachsen müssen in ihr eigenes Leben, das sich eines Tages vom Stamm abschnüren muß, um eigene Wurzeln zu treiben. Wenn man die heutige Familie ansteht, wenn man mitarbeitet an der Auflösung so vieler Familien, weil sie nicht aufbauend, sondern zersetzend wirken, so könnte einen leicht eine Angst anpacken und eine Mutlosigkeit, die traurigen Ruinen dieses einmal Kultur umspannenden Gebäudes zu stützen. Aber es gehört wohl zu der Freiheit eines Christenmenschen, lebendig zu wissen, daß alle Furcht vor der Zukunft Gotteslästerung und Unglaube ist. Wir glauben auch noch an einen Zukunftsauftrag Gottes an die Familie und erwarten die Zeit, wo sich „die Herzen der Eltern zu den Kindern bekehren und das Herz der Kinder zu ihren Eltern.” Gottesjahr 1930, S. 48-53 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel (1929) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 16-01-29 |