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von Karl Bernhard Ritter |
Im Gottesdienst halten wir uns dafür bereit, daß Gott mit uns redet und wir ihm antworten. Das Mittel dieser Begegnung zwischen Gott und Mensch ist das Wort. Das Wort ist der Träger der Offenbarung in der Sphäre des persönlichen, zur Verantwortung erweckten Lebens. Aber gerade, wo dieser Sinn evangelischen Gottesdienstes ernst genommen wird , gewinnt auch das Schweigen sein Recht, ja es wird zur unerläßlichen Übung. Wir Menschen der Gegenwart haben freilich weithin das heilsame Schweigen verlernt und müssen uns darum bewußt auf seinen Segen besinnen, ja wir müssen es üben, es uns erobern. Vielleicht gewinnen wir am ehesten eine Ahnung von diesem Segen, wenn wir zunächst einfach auf das Schweigen in der Natur achten. Die Stille der Dämmerung, das Schweigen des nächtlichen Himmels über der ruhenden Weite, die gesammelte Stille, in der die Kreaturen die aufgehende Sonne erwarten, können uns aufnehmen in ihren Raum. Hier ahnen wir etwas von dem Wesen einer Sammlung des Gemüts und aller Kräfte, die viel tiefer greift als alle Anspannung des Willens. Ja, diese Spannung des Willens ist oft genug gerade das Hemmnis einer wirklichen Sammlung. Die Öffnung des Gemütes, die Bereitschaft der Seele beginnt erst da, wo wir auch den Willen, in dem wir uns selber festhalten, drangeben. Ein Beispiel: Wir versammeln uns zu gemeinsamen Gesang. Wie soll es uns gelingen, in einen Ton einzustimmen, wenn wir nicht zuvor still geworden sind, in dieser Stille uns mit Leib, Seele und Geist gesammelt haben? Erst wenn wir still geworden sind, kann die Bewegung des Liedes uns ergreifen. Es gibt Lieder, die unmittelbar aus tiefstem Schweigen anzuheben scheinen. Man achte einmal auf den Anfang der alten Litanei „Gott der Vater steh' uns bei und laß uns nicht verderben”, oder darauf, wie der Choral „Mitten wir im Leben sind” in das Schweigen hinein gesprochen ist durch die Art der Tonführung. Mit dem Verstand mag es allenfalls gelingen, mitten in der Zerstreuung des Gemüts ein Wort aufzunehmen und es auch zu verstehen. Aber dieses Auffassen ist noch weit entfernt von dem Hören, das dem Ge-horchen verwandt ist, dem Aufnehmen des Wortes mit unserem ganzen Dasein. Die Worte, die aus der Stille geboren sind, wollen auch in ein Herz fallen, das im Schweigen aufgetan ist. Aber das Schweigen der Sammlung bedeutet nicht nur die Zurüstung der einzelnen Seele. In diesem Schweigen vermögen wir uns zusammenzuschließen als empfängliche Gemeinde, auszurichten auf das Wort, das uns alle angeht. Wem ist nicht schon bei einer Unterbrechung der gesellschaftlichen Unterhaltung deutlich zum Bewußtsein gekommen, wie sehr diese Unterhaltung die völlige Fremdheit überdecken muß, in der man einander da gegenübersteht. Wie wirkt in solcher Gesellschaft eine Pause des Gesprächs als Leere, als Verlegenheit. Miteinander schweigen können ist ein Beweis starker innerer Verbundenheit und ist nur da möglich, wo ein übergreifendes gemeinsames Leben die Seelen berührt und stillt. So vermag das Schweigen in der Gemeinschaft zum Ausdruck der Verbundenheit in der Tiefe zu werden. Noch von einem anderen Schweigen muß ich sprechen. Es ist das Bekenntnis unserer Armut, das Bekenntnis zur Ohnmacht aller unsrer Worte, das Bekenntnis, daß wir mit dem, was wir sind und zu sagen vermöchten, zu Ende sind. Es gibt ein Schweigen, das wie nichts anderes zum Ausdruck bringt, daß wir Sünder sind, Fremdlinge und Einsame, die von sich aus keine Weg wissen, auf dem sie zueinander zu finden vermöchten. Es ist das Verstummen, das nach dem Erlöser ruft. Ob nicht auch dieses Schweigen uns heilsam weiterzuführen vermag? Dem Schweigen der Sammlung, der Bereitung, dem Schweigen ehrfürchtiger Erwartung entspricht das Schweigen als Antwort auf das vernommene Wort. Von solchem Schweigen erzählt die Weihnachtsgeschichte: „Maria behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.” Wenn wir uns selbst prüfen, müssen wir nur zu oft wahrnehmen, wie die innere Unfähigkeit zum Schweigen, das Nicht-Stillhalten-Können auch das stärkste Wort um seine Segen bringt. Zum Aufnehmen gehört das Sicheinprägen. Das Wort will Wurzeln schlagen in uns. Worte sind Gefäße, in denen Wahrheit und Leben zu uns kommen wollen. Haben wir es gelernt, sie auszuschöpfen? Darum sollte in unseren Gottesdiensten das Wort der Predigt. Der Lesung, Gebet und Lied in Stille eingebettet sein. Wie oft leidet die Andacht unter der Vorstellung, daß immer etwas geschehen müsse, daß ein Stück des Gottesdienstes dem anderen unmittelbar folgen müsse; unter einer Unruhe, die ebenso verhängnisvoll zu sein vermag wie die Unruhe der Gemeinde vor und nach dem Gottesdienst, ihre mangelnde Selbstzucht. Darum ist die Erziehung zum Schweigen ein unentbehrliches Stück der Erziehung zum Gottesdienst, ein Stück des Ringens um den Segen, der uns für die Stunde verheißen ist, die uns vor Gottes Angesicht versammelt. Das Gottesjahr 1929, S. 99-101 © Bärenreiter-Verlag zu Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-14 |