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von Wilhelm Stählin |
So wie wir die Jahre von der Geburt des Heilandes an zählen, so zählen wir die Sonntage der zweiten, der „festlosen” Hälfte des Kirchenjahres als die Sonntage „nach Trinitatis”. Aber dieses selbst, das Fest der heiligen Dreifaltigkeit, steht den meisten unverständlich und von den meisten ungefeiert im Kalender, fast nur wie ein Denkmal eines unverstandenen Dogmas, dem dieser Sonntag zur Verherrlichung gereichen soll. Und doch liebe ich es vor anderen, das Fest der heiligen Dreifaltigkeit, und ich will euch von seiner köstlichen sommerlichen Reife und Schönheit erzählen. Dürfte ich ihm einen deutschen Namen geben, so würde ich es nennen „das Fest der Fülle”. Es hat ein jedes Fest seinen notwendigen Platz im Jahr. Weihnachten muß sein „mitten im kalten Winter”, wenn der Schnee als schwere Last auf den Bäumen liegt und die Sterne in der längsten Nacht am hellsten glitzern; Karfreitag und Ostern, wenn Winter und Frühling hart miteinander ringen und Sturm und Regenschauer des April über das Land fegen und doch schon die Kätzchen am Weidenbusch sich silbern schmücken und oben auf dem Anger die Küchenschellen, die Osterblumen zwischen dem harten Stein ihre blauen Kelche öffnen. Und Himmelfahrt muß sein, wenn die Erde am schönsten geziert ist, daß es wohl seinen guten Sinn hat, das alles dem göttlichen Meister zu Füßen zu legen und zu singen:
Schön sind die Wälder,Und Pfingsten muß sein, wenn alles wächst und sprießt und sich seiner Vollendung entgegenstreckt, wenn die Birken ihren zarten grünen Brautschleier tragen und die Vögel ihre schönsten und frohesten Lieder singen. Aber dann wandelt sich das Keimen und Sprossen wie über Nacht zur sommerlichen Reife und Fülle. Und wenn die Saat wächst und wogt und die blauen Kornblumen und der rote Mohn daraus hervorleuchten, wenn in den Gärten das satte Rot der Pfingstrosen glüht und prunkt, wenn das ödeste Strauchwerk von gelben Ginsterbüschen verschwenderisch überschüttet ist und sich über allem das tiefe Blau des sommerlichen Himmels wölbt, dann will ich das Fest der heiligen Dreifaltigkeit, das fest der Fülle mit lauten Lobgesängen feiern. Denn Dreifaltigkeit ist das Fest der Fülle. Von der unendlichen Fülle des Wesens Gottes, die kein menschlicher Geist und kein menschliches Herz auszuschöpfen und zu fassen vermag, stammelt die ehrwürdige Lehre von dem drei-einigen Gott. Wir wandern. Und unser Weg geht über Höhen und durch Tiefen, durch sommerliche Wärme und über verschneites Feld, und das gleiche Herz, das zerspringen möchte vor Wonne und Glück, will zerbrechen im übergroßen Weh. Es hat alles seine Zeit, Blühen und Welken, Freude und Traurigkeit, Geburt und Sterben. Aber es kommt alles von Gott und er hält alles in seiner Hand und es ist keiner ihm näher oder ferner, das Kind oder der Greis, der Armselige und Mühsame oder der Reiche und Beglückte, der Lachende oder der Weinende. Denn die Wellen im Meer unseres Lebens, die uns auf Höhen tragen und in Tiefen stürzen, sind eines in der Fülle, aus der alles Leben quillt. Wir sehen das eine und sehen das andere, erschrecken vor der Tiefe des Leides und warten auf die Stunde des Heils; in Gott aber ist der Leidende selig und aus dem Kreuz sprießen köstliche Blüten. Karfreitag und Ostern folgen aufeinander, und immer wieder muß Karfreitag sein und immer wieder muß Ostern werden; in der ewigen Fülle aber ist Karfreitag und Ostern aneinander gebunden und ineinander verflochten. Gottes Friede ist wie „das Zeichen in den Wolken”, der siebenfarbige Bogen, in dem Sonne und regen sich vermählen. Und wieder an einem anderen Punkt des weiten unendlichen Weges hören wir in der Tiefe rauschen die Wasser des ewigen Stroms, aus dem alles innere Leben der Seelen sich speist, und wenn aus der gleichen Tiefe die Quellen aufbrechen - o Herz, du geheimste aller Quellen, da das Wasser des Lebens aufsprudelt aus seinen verborgensten Tiefen! - dann sind die Menschen einander verbunden durch ein gewaltiges Band, und sie, die einander nicht verstanden, reden die gleiche Sprache und stehen miteinander vor dem Thron des Königs. Wo Menschen gleich den Königen der Legende einander Bruder werden, weil sie den gleichen Stern gesehen und sich aufgemacht haben den König zu suchen, wo der gleiche unterirdische Strom durch ihr Leben rauscht und sie darum miteinander vor Gott stehen, da ist die Urform der heiligen Kirche gebaut. Wenn um die Zeit der längsten Nacht die Sonne sich wieder zu wenden anschickt, dann singen die zartesten Lieder von dem Blümlein, das mitten im kalten Winter Maria die reine Magd gebracht hat. Aber wenn die Sonne auf der Höhe ihres Glanzes steht und bald wieder nach unten sich wendet, wenn der Sommer die Fülle seiner Pracht vor uns Menschenkindern ausschüttet, dann ist die Zeit für das Fest der Fülle, dann strömt uns durch Blut und Denken und Ahnen die große Einheit alles Lebendigen, das zertrennt und zerspalten sein Dasein auf Erden hat, aber zusammengehalten eines ist in der Hand des Ewigen. Dann öffnen wir die Augen dem großen Geheimnis, wie ein geistiges Wesen den Wurzeln gebietet, daß sie in die Tiefe wachsen, und der Blüte, daß sie sich dem Licht öffnet, dann schauen wir bestürzt und von feierlichem Staunen überwältigt, wie das Kreuz auf dem Grund der Blüte schlummert, und die Sonne ist uns nahe wie der große Bruder, und Rosen brechen aus dem Stamm des Kreuzes, und wir flechten wohl aus den schönsten und leuchtendsten Blüten ein Kreuz und legen es einem unbekannten Toten auf sein vergessenes Grab. - Heiliger Dreiklang der Glocken! Jede singt und klingt und braust ihren Ton, aber sie klingen füreinander und ineinander, so wie alles Leben ineinander klingen will. Die Fülle der Wahrheit und des Lebens will eins werden, so wie sie von Ewigkeit her eins ist in Gott. Heilige Dreifaltigkeit, von deiner Ehre und von deinen Wundern stammelt das Fest der Fülle! Das Gottesjahr 1924, S. 100-104 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |