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von Anna Schieber |
Zwischen zwei Gärten geht, so haben es die Schaffenden und Schauenden in allerlei Völkern und Zeiten geahnt und ausgesprochen, der harte und schwere Weg der Menschheit von ihrem Ursprung zu ihrem Ziele hin. Wie eine wundervolle Sage mutet uns die Geschichte des Paradiesesgartens im ersten Buch Mosis an, des Gartens, der verloren ging, als die Menschen sündigten. Eine Sage voller Wirklichkeit, die sich noch alle Tage wiederholt, wo ein Menschenkind aus dem Frieden der hinträumenden Kindlichkeit erwacht und das Böse in und um sich gewahr wird uns dich in der Fremde fühlt. In den meisten Religionsurkunden der Menschheit ist ein solches verlorenes Paradies, ein unendlich sehnsüchtiges „es war einmal” enthalten, und auch ein zukünftiges, ein „es wird einmal sein” schwingt in das Elend der Völker aller Zeiten herein. Visionen, Verheißungen, Ahnungen, Träume von einer Vollendung aller Ansätze, einer Rückkehr alles Verlorenen, nur größer und schöner, einer Erfüllung aller Sehnsucht, auch der größten, tiefsten. Je höher eine Religion steht, desto höher ist ihr Himmel eingestellt, ist Heimat, Seligkeit, Erlösung. Erlösung? wovon? warum mußte das eine aufhören, sich wandeln in Knechtschaft, Sünde, Fremde, die ein schönes Wort unserer Altvorderen „im Elend” heißt? konnte es nicht sein, daß das Andere, das Ziel, das Letzte erreicht wurde ohne den Bruch, wachsend wie ein Baum im seligen Gartenland, der sich reckt bis seine Krone sich ins Licht hebt, und der erden-selig ist wie er auch himmel-sonnen-selig ist? konnte das der Menschheit nicht beschieden sein? Alle Sagen und Märchen aller Zeiten sind voll von diesem Bruch, der einmal geschah. „Es kam etwas dazwischen”, sagen alle. Auch unsere Volksmärchen sagen so. Sie sind Jahrhunderte lang von Mund zu Mund überliefert; nie waren sie alt und überlebt, immer wieder hieß es neu: „es war einmal”. Es war einmal Königskindschaft in hohen Schlössern, in seligen Gärten, Gewänder waren da, glänzend wie Sonne, Mond und Sterne, alle Dinge waren dem Königskind untertan. Und auf einmal ist da eine häßliche Gestalt, wo Schönheit wandelte, sind Lumpen, wo seidene Kleider rauschten, tönt ein mißschaffener Tierschrei, wo vordem seliger Liebeslaut war, ist die Gegend verwandelt in kahle Wüste, da vordem Quellen sprangen und Bäume schatteten, ist Kerker, Fronarbeit, boshafte Zwingherrschaft. Woher? was ist geschehen? „Es ist etwas dazwischen gekommen.” Eine Schuld, eine Verwünschung, ein böser Zauberspruch, die Mißtat eines Feindes. Marienkind darf alle Schönheit des Himmels betrachten, aber es weiß nicht an der letzten Türe innezuhalten, und als es seine Schuld bekennen soll, da kann es nicht mehr ja sagen und muß sich in Lüge vertrotzen, und sinkt, das unselige, in tiefem Schlaf in eine dornige Wildnis. Die wilden Buben erzürnen den Vater, und unter seinem Zornwort flattern sie als Raben auf und man hört sie heiser krächzend davonfliegen. Man denke an die Zauberin Kirke, die die unbesonnenen Männer in Schweine verwandelt, an Parzifals unterlassene Frage und an Elsas neugieriges Wissenwollen, an die bösen Künste der falschen Königinnen in einer ganzen Zahl von Märchen, durch die der Liebste seine rechte Braut vergißt, der Vater sein Kind verstößt, der Gatte seine Frau verurteilt. Und noch eine dunkle Macht begegnet uns: der böse Zauberer, der aus Lust am Verderben der andern seine Künste betreibt, oder darum Unschuldige gefangen und verwandelt hält, weil er in Feindschaft mit ihrem Vater, dem König, lebt, und ihm zu Leide verderben will, was zu ihm gehört. Gott und Teufel! Aber auch die erlösenden Mächte sind da. Die treue Schwester der sieben Raben duldet es nicht in der Heimat. Sie zieht aus und erduldet unsägliche Mühsale, weil sie die Brüder erlösen will: nachts auf dem Kirchhof gräbt sie mit ihren zarten Händen die Nesseln aus, aus denen sie die Hemden spinnen muß. Sie muß stumm sein und sich anfeinden und verdächtigen lassen; und flicht weiter an ihrem Werk. Die Nöte häufen sich; man nimmt ihr das neugeborene Kind weg, man hält sie für eine Hexe, aber sie will erlösen und schweigt bis zur Stunde, wo sie, zum Tode geführt, das Werk vollendet hat und die Brüder erlöst sind. Die Frau des verrosteten Ritters, die als Bettlerin das Land durchzieht, bis sie die hundert Goldgulden zusammengebettelt hat, die sein Lösegeld sein sollen, der treue Johannes, der für seinen Herrn die Gefahren aus dem Weg räumt, und, wissend, dadurch selber das Zu-Stein-werden auf sich nimmt. Aber auch der König, der, um den Treuen wieder lebendig zu machen, sein Liebstes, seine beiden Knäblein hingibt, und sie durch den Wiederbelebten dann neu zurück empfängt. Blauäuglein, das seinen Heino aus dem Sumpf retten will, in dem er bei den Irrwischen lebt, und das ihm in der Macht seiner reinen Liebe nachgeht durch Sumpf und Flut, und mit den Irrwischen kämpft, und - das ist ein hie und da vorkommendes Motiv - die Kraft hat, dem Liebsten wehzutun, um ihn zu erlösen: sie haut ihm die rechte Hand ab, an der ihn die Irrwischkönigin mit sich ziehen will. Aber deutlich tritt aus allem uns entgegen: wer erlösen will, muß sich ganz hingeben können, muß Leid und Schmerzen, Verbannung, Armut und Geringschätzung von andern auf sich nehmen, ja sein eigenes Leben in die Schanze schlagen, muß den Glauben haben, daß hinter dem Tier die verzauberte Prinzessin verborgen ist, muß die übergroße Sehnsucht haben, den Bruder zu befreien, so daß es ihn nicht in der Heimat leidet, in Licht und Wärme, so lang der andere in Dunkel und Kälte, ja in der Tierheit gefangen sitzt. Und er muß die Tapferkeit haben, die „tät nur spöttlich um sich blicken”, wenn die Mächte des Ungeheuren heranstürmen, - weil er ein Schwert, einen Talisman, eine sichere Verheißung überwindender Kräfte mit sich hat. „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.” Auch wir leben „zwischen den Gärten der beiden Heimaten”, und wer Augen und Ohren hat, der sieht die tausendfachen Wahrheiten der Märchen um sich - und in sich, hört den mißtönigen Schrei des Tiers, in das die Menschenseele hinein verbaut ist, weiß sie, die Prinzessin, das Königskind, im Turme gefangen, wo sie die Hände ringt und um Befreiung fleht. Wie oft erleben wir das Nicht-zu-einander-finden derer, die zusammen gehören. Wie oft versuchen wir, uns zu verständigen, und es kommt eine Sprache heraus, die der andere nicht versteht. Wie oft erleben wir die Verzauberung ins Niedrige, Häßliche, Feindliche hinein, sehen Gotteskindschaft in Knechtschaft verwandelt, und der Wutblick des Wolfes, das Zischen der Schlange empfängt uns, wo wir den Bruder zu umarmen gedachten. O Menschheit, du irrende, versunkene, aus dem Paradies der Unschuld und Liebe vertriebene Königstochter, die du in Dornen und Sümpfen deine Kleider und Schuhe zerrissen, ja dich selber wund gerissen hast; Gott schafft Erlöser aus dir selbst. Sie schrecken nicht vor rauhen Wegen zurück, nicht vor Nesseln und Dornen; sie tragen Lichter in den Händen, deine Dunkelheit zu erhellen, sie glauben an deine Schönheit und an deine Befreiung; sie haben Glauben und Liebe, und wissen eine Heimat, aus der man nicht mehr vertrieben wird. Aber sie wollen nicht darin sein ohne dich; in jedem Mitgenossen der Fremde rufst du ihnen: laß mich nicht zurück. Auch ich bin Menschenseele und suche den Weg nach den ewigen Gärten. Und sie geben sich hin, weil es ihnen so ins Herz gelegt ist, daß sie nicht anders dürfen. Wer aber hat sie stark gemacht und heiß? wer gab ihnen Brot, Licht und Schwert für Wanderung, Nacht, und den Kampf mit Ungeheuern und Zauberern? Es klingt ein Wort aus ferner Vergangenheit zu uns herüber von einem, der um seine Brüder Leid trug, und Sehnsucht nach dem Anbrechen des Tages der Verheißung trug, das hallt stark und tief in uns wieder: wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Das Gottesjahr 1924, S. 66-69 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |