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von Wilhelm Stählin |
Palmkätzchen und Schlüsselblumen und die gelben Dotterblumen im Frühling und den farbenfrohen Wiesenblumenstrauß im Sommer, auch das bunte Herbstlaub und die Tannenzapfen in der Weihnachtszeit: die muß ich mir draußen holen, und lieber will ich darauf verzichten, als daß ich sie mir auf dem Markte kaufe, wo alles für Geld zu haben ist. Ich bin schon traurig genug, daß ich mir nicht mehr den Weihnachtsbaum selbst im „Christkindleinswald” wählen und fällen und durch den verschneiten Wald heimbringen kann; aber die Adventszweige, die muß ich mir selbst draußen im Wald holen. So wandern wir am trüben nebeligen Novembertag hinaus, - ach es ist so weit, bis Steine und Lärm und Schmutz wirklich hinter uns liegen! - von den Bäumen tropft die Feuchte, und überall umfängt uns die große Stille, in der die schlummernde Natur wartet und sich bereitet . . . Und dann ziehen wir heim; im Arm, die regennassen Zweige, soviel wir nur tragen können: große buschige Zweige von hängenden Fichten und das dunklere Grün der Tannen und ein paar Föhrenästchen mit den langen und spitzen Nadeln dazwischen, wenns glückt mit den lustigen, weit sich öffnenden Zapfen daran. Am Abend, wenn die Kinder schlafen, wird der große Kranz gebunden und an der Wohnzimmerdecke an roten Bändern - rote Bänder müssen es sein! - aufgehängt; die vier roten Kerzen - rote Kerzen müssen es sein! - sind kunstvoll mit Draht zwischen den Bändern festgemacht; aber sonst darf kein Schmuck daran sein, keine Silberfäden und kein goldenes Band. Nur an den Zweigen, die in der Nacht vor Advent über die Kinderbetten gesteckt worden sind, hat das Christkind ein goldenes Haar und ein Sternlein vom Himmelssaal gelassen. Am Abend des ersten Advents-Sonntags, da werden dann alle Lichter sorgfältig gelöscht und es wird ganz dunkel; im Dunkel schmiegen sich die Kinder enge an Knie und Brust der Mutter und im Dunkel des Adventsabends darf man sie zum erstenmal wieder singen, die lieben alten Weihnachtslieder, ganz leise, nur so für sich hin, wie eine schöne große Hoffnung. Aber dann kommt der Engel mit dem goldnen Stirnreif und bringt das Licht, das eine kleine Lichtlein, und entzündet eine der vier Kerzen am Kranz. Seht doch, wie das eine Licht den Raum hell macht und wie nun alles ganz neu und warm und geheimnisvoll beleuchtet ist und was für tiefe dunkle Schatten das eine Lichtlein werfen kann! Und jetzt darf man singen: „Wie soll ich dich empfangen” und „Macht hoch die Tür” und „Tochter Zion, freue dich!” und das alte Tauler'sche Lied: „Es kommt ein Schiff geladen”. Ja und dort an der Wand hängt auch der Adventskalender, da darf eines der Kinder das erste Fensterlein aufmachen, und dabei gucken sie alle, ob es ein Sternlein ist oder ein rotes oder ein blaues Englein, was dahinter wartet; man fängt schon an zu zählen, wer morgen das zweite Fensterlein aufmachen darf und wie viele Fenster es im ganzen noch sind, bis am 24. Dezember das große Tor, das mit zwei goldnen Sternen verschlossen ist, aufgeht und dahinter das große Wunder sich zeigt . . . „Es ward ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes.Dieser Johannes, der mit dem Büßergewand bekleidet war und Heuschrecken und wilden Honig aß, ist der gewaltige Hinweis auf das Kommende, der Bote des Advents. Wie soll ich dich empfangenDenn es ist keine Freude, die nicht zugleich ein Gericht wäre, an dem wir gewogen werden; und der „Advent” Christi ist zugleich das Kommen dessen, der die Lebendigen und die Toten richtet. „Das ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht.” Darum ist das ernste Violett, das zur Einkehr und Besinnung mahnt, die kirchliche Farbe des Advents, und mit Zittern betet die Kirche an den Sonntagen dieser Zeit: „Herr, wecke uns auf, daß wenn dein Sohn kommt, wir bereit seien, ihn mit Freude zu empfangen!” Oder sollen wir Weihnachten feiern als solche, wie Stefan George den „Verworfenen” schildert: So kam er wohlgeschmückt, doch unbereitet Gott, laß dein Heil uns schauen,Wir haben sehr oft darüber geredet und uns von anderen sagen lassen, was die Einfalt und die Kindlichkeit unseres Wesens stört und verdirbt. Wir wollen nicht wieder darüber reden. Komm mit in die winterliche Stube. Gestern war der zweite Advent. Laß dein Werk liegen, laß deine Gedanken ruhen! „Ins Heiligtum, ins Dunkel kehr ich ein!” Zwei Kerzen dürfen wir uns anzünden am Kranz. Nun ist es ganz still; leise knistert das schmelzende Wachs. Wie klein wird unsere Arbeit! Können wir jemals so viel schaffen: ein Licht, das im Dunkel scheint? Wie müßig erscheint vieles, was wir erdacht und vorgedacht und nachgedacht, vor dem einen wunderbarsten aller Dinge: Licht! Wie ferne alles, was man haben und besitzen und kaufen kann, alles was einen Preis hat, alles was man erwerben und neiden kann: wie ferne von dem armen lieben Licht, das sich verzehrt. Unrast und Wissen und Gier sind in das große Dunkel hineinverschlungen. Und das Licht scheint in der Finsternis. Schönster Herr Jesu. . . Nun laßt uns an die Arbeit gehen. Das Dunkel hat den Werkeltisch mit all seinem Gerät umfangen; nun soll er wieder sein Recht haben. Nun laßt uns den Abend bis in die späte Nacht hinein die liebe Weihnachtsarbeit tun: Nähen und sticken und schreiben und kleben und leimen und sägen und nageln und zeichnen und malen und binden und knüpfen und kneten und backen. Aber in unser Werk kneten und leimen und sticken und schreiben wir mit hinein unser Wissen um die große Armut und den großen Reichtum, um die Freudlosigkeit und das große Licht, und die große Barmherzigkeit mit allen Menschen, und die große Güte zu jedem Einzelnen, der unserem Herzen nahe ist, und die große Ruhe des Waldes, und die stille Treue des Kranzes, und das dienende Leuchten der Kerzen, und einen Widerschein von der großen Freude: Die Zweiglein der GottseligkeitAdvent ist u n s e r Fest. Die Gegenwart, unsere Zeit ist Advent. Eine fiebernde Unruhe zittert durch die, die erwacht sind, ein Ahnen und Raunen von der neuen Zeit, von dem neuen Gottesjahr, das anheben will mitten im kalten Winter. Um uns her ist Nacht und Wahn und Verderben; aus dem Elend streckt sich alle lebendige Sehnsucht nach dem ganz Anderen, nach dem Reich der Himmel, nach der Königsherrschaft Gottes. Wir wandern durch den regennassen Wald und sehen im Nebel kaum den nächsten Schritt; und doch sammeln wir am Weg die Zweige zum Kranz, mit dem wir in Einsamkeit und Dunkel der Wintersonnenwende uns entgegenfreuen. Unser heißes rotes Herz brennt als Licht auf dem Kranz, und eines ums andere zuckt auf, bis es hell und heller, wärmer und wärmer wird in der winterlichen Stube. Und uns ist zwiespältig zumute wie denen, die in Frost und Nacht draußen die längste Nacht durchharren und doch wissen, es war die längste Nacht und die Sonne steigt neu empor. Advent: der Morgenstern des kommenden Tages hat in unsere kalte und finstere Seele geleuchtet. Laßt uns nicht so viel reden von dem „Neuen”, von der „Jugend” und ihrem kommenden Tag. „Neues” ist immer gekommen aus dem Schoß der Zeit, neue Blätter sind gewachsen, wo das alte Leben dürr und welk geworden war. Aber Johannes sah Ihn, und nun hatte das Gottesreich seine festen Züge und alle Meinungen und vorgefaßten Theorien über das Kommende mußten sich messen lassen an der Wirklichkeit, die da war, und er, Johannes, wurde nicht müde, mit dem riesigen ausgestreckten Finger auf Ihn hinzuweisen: Siehe! Alles was scheint, leuchtet und wärmt in dem Dunkel der winterlichen Welt, ist nur wie eine Kerze auf dem Kranz des Advents; ein tröstliches Licht voll Ahnung und Verheißung; eine nach der anderen darf brennen und sich verzehren, und sie alle sollen sich verzehren, ehe das große Licht kommt. Und es ist genug, wenn sie ihre Stunde haben brennen dürfen zwischen den Zeiten: „Er muß wachsen,Das Gottesjahr 1924, S. 35-38 © Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |