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von Christian Geyer |
Wie oft nehmen wir den Kalender zur Hand und wie selten machen wir uns Gedanken darüber, welche außerordentliche Mühe es gekostet hat, ihn herzustellen. Die Kalendermacher müssen noch eine Kunst verstehen, die uns modernen Menschen immer mehr abhanden gekommen ist, ich meine die Kunst, mit dem Weltall zu leben, von dem unsre Erde ein kleiner Teil ist. Da wandert über uns die Sonne nicht nur täglich von Osten nach Westen, sondern sie rückt dabei an dem mit Sternen übersäten Himmelsgewölbe Schritt für Schritt weiter, bis sie durch die zwölf Sternbilder des Tierkreises gewandert ist. Wenn sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt ist, ist das Jahr mit seinen zwölf Monaten vollendet. Auch der Mond geht nicht nur auf und unter, sondern er rückt in der nämlichen Bahn wie die Sonne, aber mit viel größeren Schritten Tag für Tag am Himmel weiter und bringt seinen Umlauf in achtundzwanzig Tagen zu Ende, um dann unverdrossen wieder von vorne anzufangen. Indem er von sieben zu sieben Tagen seine Gestalt in höchst auffallender Weise ändert, gibt er uns die Zeit der Teilung nach Wochen. Sonnen- und Mondenlauf stimmen dabei nie ganz zusammen - und der Mond mußte es sich gefallen lassen, daß sich die Menschen, für die der Wechsel der Jahreszeiten von entscheidender Bedeutung war, ihren Kalender in der Hauptsache von der Sonne machen ließen. Wie wenig sie indes gesonnen waren, den Mond etwa gänzlich unbeachtet zu lassen, ersehen wir aus der durch Sonne- und Mondstand bestimmten Zeit des Osterfestes, das nach einem Beschluß der Kirchenversammlung von Nicäa (325) stets an dem Sonntag gefeiert wird, der auf den Vollmond nach Frühlingsanfang (21. März) folgt. Fast möchten wir uns darüber wundern, daß sich die Menschen, die aus der Beweglichkeit des Osterfestes stammenden Unbequemlichkeiten ruhig haben gefallen lassen. Allein das Gefühl dafür, daß sich der Mensch nach den Rhythmen der ihn umgebenden Welt zu richten habe, und die nie ganz verschwundene Ahnung, daß deren Nichtbeachtung eine Verarmung des Seelenlebens bedeuten mußte, hat es bisher nicht zu der in der Tat einigemal empfohlenen Mechanisierung des Kalenders kommen lassen. Der Mensch von heute wäre zwar nie von sich aus auf den Gedanken gekommen, sich von der Harmonie zwischen Sonne und Mond seine Festzeiten bestimmen zu lassen, aber er wagt es glücklicherweise doch nicht, die Erinnerung an ein tieferes Mitleben mit dem Weltall gänzlich auszutilgen. Endlich ist von Bedeutung die O s t e r g r e n z e . Das ist das Datum, von dem aus der nächstfolgende Sonntag als der Ostersonntag bestimmt wird. Da das Osterfest frühestens auf den 22. März - denn wenn Frühlingsanfang (21. März), Vollmond und Sonntag zusammentreffen, wird Ostern erst am 28. März gefeiert - und spätestens auf den 25. April fallen kann, gibt es nur 35 voneinander verschiedene Kalender. Wer etwa die von unserer Datierungsweise stark abweichenden Zeitangaben älterer Urkunden in unsere Benennungen übersetzen will, muß als unentbehrliches Hilfsmittel diese 35 Kalender zur Hand haben, die sich in jedem Handbuch der geschichtlichen Chronologie, wie etwa in dem von mir benutzten Grotefendschen, befinden. Unser Kalender ist ein getaufter Heide. Die Wochentage sind nach den sieben Planeten der Alten, deren Namen zugleich an Gottheiten erinnerten, genannt. Diese doppelte Entsprechung zwischen Wochentag und Planet, Planet und Gottheit ist sicherlich ursprünglich nicht nur ein allegorisches ober symbolisches Spiel der Gedanken, sondern ist ein Überbleibsel aus ferner Vergangenheit, wo die feiner empfindenden Menschen nicht nur die Verschiedenheit des Charakters jedes Wochentags wahrnahmen, sondern auch in den Sternen das Walten geistiger Mächte spürten. Den Christen wurde der Sonntag zum Tag des Herrn, weil sie von einer lebendigen Beziehung zwischen Christus und dem Weltenlicht nicht nur wußten, sondern sie erlebten. Wie lange das nachwirkte, wissen wir aus Luthers: „Das ewig Licht geht da herein” und Paul Gerhardts: „Fahr hin, ein andre Sonne, mein Jesus, meine Wonne, gar hell in meinem Herzen scheint”. Auch die Monatsnamen lassen ihre heidnische Herkunft noch teilweise erkennen. Aber die Verchristlichung des Kalenders ist im übrigen sehr gründlich durchgeführt worden. Nicht nur, daß die christlichen Feste dem Jahreslauf seinen Charakter verliehen, es war auch jeder einzelne Tag ein Erinnerungsfest an die Heiligen und das Wandern von Tag zu Tag ein Gang durch einen christlichen Heldensaal. Die Erinnerung an den Tod der Märtyrer und an große Begebenheiten aus dem Leben der Heiligen weihte jeden einzelnen Tag vielfach. Denn die in unsern Kalendern verzeichneten Heiligennamen sind immer aus einer viel größeren Zahl von Tagesheiligen ausgewählt, zudem gab es große Verschiedenheiten der Auswahl nach Landschaften und Kirchenverbänden. Cisio Janus Epi sibi vendicat Oc Feli Mar AnDas war in seiner Sinnlosigkeit nicht leicht zu lernen. Wer aber den Vers einmal inne hatte, konnte es sich an den Fingern abzählen, daß am 1. Januar Circumcisio Domini (Beschneidung des Herrn) war, am 6. Epiphanias, am 13. die Oktave von Epiphanias, am 14. Felix, am 16.. Marcellus, am 17. Antonius, am 18. Prisca, am 20. Fabian und Sebastian, am 21. Agnes, am 22. Vincentius, am 24. Timotheus, am 25. die Bekehrung Pauli und am 26. Polykarp. Die erzieherische Bedeutung des Heiligenkalenders ist auch von Protestanten eingesehen worden. So hat Wilhelm Löhe für seine Diakonissen sein Martyrologium bearbeitet und der hochverdiente evangelische Kalendermann F. Piper hat dem katholischen Heiligenkalender einen protestantischen an die Seite gestellt und durch gut ausgeführte Lebensbilder gezeigt, wie auch heute noch der Kalender lebendig sein kann. Unsere Vorfahren hatten wenig Bücher. Aber einen Kalender mußten sie haben. Nicht nur wegen der Zutaten, die er allmählich empfing, schätzten sie ihn, sondern er selber war ihnen wertvoll, denn sie waren der Natur noch nicht entfremdet, darum fühlten sie den Geist in ihr, und sie waren dem Geist noch nicht entfremdet, darum war ihnen die Natur nicht kalt und stumm und das Jahr in seinem natürlichen Verlauf war ihnen, was es uns auch wieder werden muß: ein Gottesjahr. Das Gottesjahr 1924, S. 23-26 (c) Greifenverlag Rudolstadt (Thür.) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-12 |