|
von Hugo Specht |
Es ist ein großer Segen der gegenwärtigen Lage, für den wir als Christen Gott nicht genug danken können, daß so vieles, was für unser Leben eine christliche Selbstverständlichkeit geworden ist, in Frage gestellt wird. Dadurch sind wir gezwungen, Antwort zu geben. Das bedeutet aber, da wir so vieles ohne großes Überlegen als selbstverständlich hingenommen haben, daß wir uns selbst Rechenschaft geben müssen, warum wir dies so halten und jenes so, was der Sinn dieser christlichen Sitte und jenes Glaubenssatzes ist. Und es ist eine Gnade Gottes, daß er uns in so vielen Fällen die Augen öffnet und uns in die Hintergründe schauen und uns damit unseren christlichen Glauben in seiner Fülle lebendig werden läßt. Zu den großen christlichen Selbstverständlichkeiten gehört der Sonntag. Er ist - auch der Christenheit - so selbstverständlich geworden, daß er an den Rand des christlichen Lebens gerückt ist. Für unser Bewußtsein ist uns an ihm all das noch wichtig, was er auch ist. Aber was er eigentlich ist, das ist fast ganz daraus verschwunden. Gewiß ist er auch ein Stück der natürlichen Schöpfungsordnung und es muß sich auf die Dauer an dem Einzelnen und an einem ganzen Volk rächen, wenn man dagegen sündigt. Und ebenso gewiß soll er nicht nur als Ruhetag, sondern im tieferen Sinn als Feiertag begangen werden, als ein Tag, an dem der Mensch sich vom Alltäglichen erhebt zu dem, was ihm im Sinn einer natürlichen Religiosität heilig ist, zu den geistigen Gütern unserer Kultur, zu den seelischen werten, die uns das Erlebnis der Natur schenkt. Aber selbst wenn wir ihn feiern im Gehorsam gegen das dritte Gebot, so feiern wir damit noch nicht den christlichen Sonntag. Das tun wir erst, wo wir auf das Gesetz achten, nach dem der christliche Sonntag angetreten ist, als wöchentliche Wiederholung des Auferstehungstages, und seine ganze Feier aus dieser Wurzel entfalten. Damit heben wir all das andere nicht auf, vielmehr gilt in entsprechender Weise auch für den Sonntag jenes Wort: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.” Ja, nicht nur zufallen, sondern in ganz neuer Weise, innerlicher, kraftvoller und segensreicher wird es uns zuteil werden. Nun würden wir aber den wahren Sinn von Ostern verleugnen, wenn wir darnach den Sonntag lediglich als Erinnerungstag an die Auferstehung begehen wollten. Ostern sprengt in seiner ewigen Lebenskraft den Rahmen der bloßen Erinnerung. Die Kraft des Auferstandenen wirkt in unsere Gegenwart hinein und weist in die letzte Zukunft. Denn Ostern ist der Beginn der neuen Welt, jener Welt, die uns der Seher Johannes in den letzten Kapiteln der Offenbarung in gewaltigen Bildern schauen läßt. Darum ist der christliche Sonntag ganz stark dem Kommenden zugewandt, dem kommenden Herrn und der kommenden Welt. Erst in dieser Ausrichtung vollendet sich der Sinn des Sonntags. So ist der Sonntag für den Christen ein Gleichnis der neuen Welt Gottes, der neuen Welt, deren Wesen in jenem Wort der Offenbarung seinen schönsten Ausdruck gefunden hat: „Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und Seines Christus geworden und Er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit” (Offbg. 11, 15). So dürfen wir den Sonntag als den Tag des Herrn wie eine Vorwegnahme, wie ein Stück jener ewigen, mitten in dieser vergänglichen Welt verstehen. So wie Christus einmal Seine Hand auf die ganze Welt legen wird, so legt Er sie schon heute auf den einen Tag, den Sonntag. So wie Ihm dieser Tag gehört, so wird Ihm einst die ganze Zeit gehören. Oder besser gesagt: So wie alle Welt einmal Ihm gehören darf, so dürfen wir Ihm schon jetzt gehören an diesem einen Tag. Es braucht uns nicht zu beirren, daß es nur Wenige sind, die in dieser Weltzeit den Sonntag in solcher Ausrichtung feiern. Die Zahl spielt im Reich Gottes eine geringe Rolle. Genug, daß es eine „kleine Herde” ist; sie ist dennoch Trägerin der Verheißung Gottes. Nun mag man wohl mit Recht sagen, daß wir nicht nur am Sonntag Christus gehören sollen, sondern an allen Tagen. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, daß wir gerade am Alltag in vielerlei Bindungen stehen, aus denen wir uns nicht lösen können. Am Alltag gehören wir dieser Welt, wir gehören dem harten Zwang des Berufs, der Arbeit, der irdischen Notwendigkeiten. Unser Blick muß auf das Nächste, ja er muß auf diese Erde gerichtet sein. Am Sonntag aber dürfen wir den Blick erheben über diese Welt hinweg und dürfen ganz der ewigen Christuswelt gehören. Am Werktag gehören wir dem Tempo, in das die große Maschine des wirtschaftlichen Lebens uns zwingt, und keiner kann sich dieser Zwingherrin entziehen, auch wenn er nicht unmittelbar im Wirtschaftsleben steht. Am Sonntag aber dürfen wir eintauchen in die Ruhe der ewigen Welt und dürfen alles in uns einstimmen auf den ruhigen, gelassenen Atem der Ewigkeit. Am Werktag gehören wir all den Zwecken, denen wir mit unseren leiblichen und geistigen Kräften dienen müssen. Am Sonntag aber dürfen wir uns an alle die heiligen Zwecklosigkeiten hingeben, dürfen horchen auf Gottes Wort, dürfen singen, dürfen stille werden, dürfen beten. Am Werktag gehören wir dem Lärm und müssen manchmal selbst kräftig mitlärmen. Am Sonntag aber dürfen wir der Stille gehören, jener großen Stille, die noch hinter der tiefsten Stille der Natur vernehmbar ist. Am Werktag werden wir verwirrt und geschüttelt von den Ereignissen dieser Welt. Am Sonntag aber dürfen wir die stillen Schritte der kommenden Welt hören, die unaufhaltsam auf uns zukommt. Und das alles, was uns so am Sonntag die Tiefen der Seele erfüllt, das, nur umfassender und tiefer, soll einmal unser ganzes Leben erfüllen. Ach nimm das arme Lob auf ErdenWo wir das Abendmahl feiern - und es ist ja nach urchristlicher Sitte der sonntägliche Gottesdienst -, da spüren wir etwas von der Spannung, die über ihm liegt: „So oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, verkündigt ihr des Herrn Tod, bis daß Er kommt.” Wie eine Verheißung steht darüber: „Selig sind, die zum Abendmahl des Lammes berufen sind!” Lassen wir uns so durch den Gottesdienst neu ausrichten, dann wird auch alles, was sonst zum Gottesdienst gehört, in die gleiche Richtung weisen. Es wird zum Gleichnis und Hinweis auf die kommende Welt Gottes werden. Das kann bei ganz äußerlichen Dingen der Fall sein. Man mag darüber lächeln: aber ist nicht das feiertägliche Gewand und die reine Wäsche, in die wir uns am Sonntag kleiden, wie ein bis ins Leibliche spürbarer Hinweis auf jene Verheißung: „Wer überwindet, dem will ich geben ein weißes Kleid.” Wir wissen, daß die Sonne am Sonntag nicht anders aufgeht als an den anderen Wochentagen, aber sie wird uns doch am Sonntag - und wie schön ist es, wenn sie durch die Chorfenster leuchtet - zum Sinnbild des ewigen Lichtes, das einmal über der erlösten Welt leuchten wird. Der Gang durch die Felder oder dein Bach entlang in der friedlichen Stille des Sonntagabends wird erfüllt fein von der stillen Sehnsucht nach jenem Wandeln der Erlösten am Strome des Lebens. Und wenn die Nacht sich niedersenkt und wieder ein Sonntag zu Ende ist, dann wird alle Wehmut die sich da in unser Herz einschleichen will, aufgehoben in der Gewißheit, daß einmal der Sonntag kommt, dem keine Nacht mehr ein Ende macht, „denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie” (Offbg.21.23). Und die Seele schwingt sich diesem Sonntag entgegen „weit über Berg und Tale, weit über blaches Feld”. In dieser von vulkanischen Kräften geschüttelten Welt kann sich nur der Mensch zutiefst behaupten und feststehen, der in einer anderen, der ewigen Welt gegründet ist. Wie groß ist das Geschenk des Sonntags, der uns wieder festen Fuß fassen und klare Richtung nehmen läßt. Ruhiger und gelassener schreiten wir dann in den kommenden Alltag, neu gestärkt in dem Wissen, es geht dem Kommenden entgegen, dem kommenden Herrn und der kommenden Welt. Solches Wissen aber macht unseren Schritt sicher und erfüllt unser Herz mit ewiger Freude. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 158 - 162 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-01-31 |