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von Wilhelm Schmidt |
Solange wir vom Sonntag wissen, gehört zu ihm die Musik - aber gewiß nicht darum, weil die Musik seit je als ein angenehmer Zeitvertreib empfunden worden wäre; denn die Alten pflegten an den Sonntagen noch nicht von Langeweile geplagt zu werden. Sondern wir begegnen der Musik am Sonntag immer dann, wenn es gerade nicht darauf ankommt, die Zeit zu vertreiben, sondern den Augenblick ganz zu erfüllen: nämlich ganz dazusein und zu tun, was von allem Möglichen das Bedeutsamste ist. Das Wort Augustins, die Musik sei die Sprache der Engel, ist nicht etwa eine „geblümte Rede”, sondern ein Versuch, auszusagen, was das Wesen der Musik ist. Es ist auch ganz etwas anderes, als eine darstellerische Manier, die mit anderen Manieren ausgewechselt werden könnte, wenn in alten Mysterienspielen alle Darsteller der heiligen Geschichte singen und nur der Teufel „spricht”. Zu den Bildern, in denen die Heilige Schrift das „Ziel”, die „Vollendung”, die „Erfüllung” des Lebens darstellt, gehört auch dies, daß die von der Erde Erkauften einstimmen in das Lied vor Gottes Thron. Und eben darum gehört zu der rechten Erfüllung der uns gegebenen Zeit, in der wir zusehen mögen, wie wir vorsichtig wandeln, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen, die ihre Zeit recht auskaufen, daß wir dem Herrn in unserem Herzen singen und spielen (Eph. 5), damit wir uns selbst mit „Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern lehren und vermahnen” (Kol. 3): daß also in solchem Musizieren unser Leben geordnet werde. Luther hat sich nicht vor großen Worten gescheut, wenn er die hilfreiche Wirkung der Musik beschreiben wollte. So steht in den Tischreden zu lesen: „Die musica ist eine Gabe und Geschenke Gottes, nicht ein Menschengeschenk. So vertreibt sie auch den Teufel, und machet die Leute fröhlich, man vergisset dabei alles Zorns, Unkeuschheit, Hoffahrt und anderer Laster. Ich gebe nach der Theologie der musica den nächsten locum und höchste Ehre. Und man stehet, wie David und alle Heiligen ihre gottseligen Gedanken in Vers, Reim und Gesänge gebracht haben, quia pacis tempore regnat musica” (denn in der Zeit des Friedens herrscht die Musik). Das von den Alten so eifrig gesungene „Lob der Musik” bedeutet offenbar mehr als die Freude des für sein Fach Begeisterten. Die Musik zählt zu den geistlichen Waffen und ist eine schimmernde Rüstung unseres Herzens. Die Traurigkeit, deren Herr der Teufel ist, wird darum zu den „Lastern” gezählt, weil sich in ihr einer hat besiegen lassen, der mit den trefflichsten Waffen gerüstet ist. Von der sieghaften Macht der Musik sagt Petrus Chrysologus in einem seiner Sermone: „Mit Liedern besiegen die Seeleute jedes Dräuen der Meerflut, ein Lied schreitet den siegenden Heeren voran und läßt sie nicht achten des bitteren Krieges, ja alles, was hart ist und mühsam, siehe, es wird überwunden von einem süßen Gesang.” (Vergl. Hugo Rahner, Mater Ecclesia, S. 7.) Aus dem allen möge deutlich werden, wie sehr sich die Musik von Zeitvertreib unterscheidet und wie nahe und besonders ihr Verhältnis zu dem ist, was einen Tag zum Sonntag macht. Das aber heißt, daß die Musik durchaus nicht ein selbstverständlich heiliges und heilsames Geschäft ist, sondern daß sie auch eine zerstörende Wirkung ausüben kann. Der gleiche Augustin, der des Lobs der Musik so übervoll ist, warnt auch sehr nachdrücklich vor ihr; denn sie könne mit dem sinnlichen Vergnügen, das sie bereite, den Geist täuschen und sich, obwohl nur zur Magd berufen, zur Herrin aufwerfen. Wir haben heute um so weniger Anlaß, solche Warnung zu überhören, als wir in erschreckender Fülle die Erfahrung machen müssen, wie eine aus dem Dienst gelaufene Musik eine menschenverzehrende Tyrannei ausübt. Es ist wohl sehr sorgsam zu beachten, daß den beiden Aufforderungen zum Singen im Epheserbrief und Kolosserbrief zwei wichtige Sätze vorausgesetzt sind, die als Voraussetzung nicht übersehen werden dürfen. Im Epheserbrief ist der Voraus-Satz: „Macht euch nicht trunken mit Wein, daraus Heillosigkeit folgt, sondern werdet voll Geist”; und im Kolosserbrief: „Der Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in e i n e m Leibe ... Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen”. Dann erst - nämlich in solchermaßen gekennzeichneter Eingliederung in die von Gott gesetzte Ordnung des Heils - kann die Musik den Sonntag erfüllen und wird ihn nicht vertreiben und die Nüchternheit des Geistes zu einem Rausch verführen, daraus die Heillosigkeit folgt. Es ist vielleicht auch nicht ohne Bedeutung, zu wissen, daß „Musik” eine Abkürzung ist. Der volle Name des damit Gemeinten heißt im Griechischen „mousike techne”. Musik ist eine „Technik”, sie ist ein Vermögen. Sie ist also nicht lediglich ein „Ohrenschmaus” - nicht etwas, das wir nur verzehren könnten, dem wir uns nur aussetzen sollen. Sondern „Musik” bezeichnet eine Übung, eine Ausübung und Einübung. Sie ist eine Begleiterin des Geistes, eine Waffe, die geführt werden muß. Es wäre nicht verwunderlich, wenn einer nachweisen würde, daß die zerstörerische Wirkung der Musik, wenn nicht ausschließlich, so doch a u c h in dem Maße gewachsen ist, in dem die Fähigkeit zu musizieren unter den Menschen abgenommen hat. Es liest sich heute beinah wie ein Märchen aus einer anderen Welt, wenn der Engländer Morley sein Buch „A Plaine and Easy Introduction to Practicall Musicke” mit der Schilderung einer Abendgesellschaft zu Shakespeares Zeit beginnt, in der alle Anwesenden höchst verwundert sind, als einer der Gäste sich als des Singens und der Noten unkundig bekennen muß. Diese Verwunderung hat einen guten Grund; denn die Aufforderung „Cantate Domino” ist durchaus ein Imperativ, und wir sind aufgerufen, etwas zu tun, nämlich die Zeit zu erfüllen, indem wir etwas sind zum Lobe Gottes. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 144 - 146 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) [Siehe auch: Karl Heinrich Ehrenfort - Befreit von Traurigkeit (Luthers Glaube im Spiegel seiner Musikanschauung)] |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-01-31 |