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Kirchgang im Wochenende?

LeerEs ist Samstag Mittag, oder vielmehr Sonnabend Mittag, das sagt viel mehr. Die Arbeit der Woche liegt hinter mir, und ich sitze in der Eisenbahn, die mich in einer Stunde zu meinem geliebten Garten mit dem kleinen Holzhäuschen bringt. Alles Bedrückende der Woche fällt von mir ab, ich fühle mich wieder einem Rhythmus zugehörig, den die Stadt verloren hat. Mit dem Anziehen des Gartenkleides macht der Garten seine Ansprüche geltend. Was ist nicht alles in acht Tagen wieder gewachsen! Die ersten Schneeglöckchen wiegen sich im Wind, die blauen Szilla leuchten schon da und dort und Tulpen und Narzissenblattspitzen sprießen überall. Der erste Rapunzelsalat kann geerntet werden!

LeerWas gibt es nicht alles zu sehen, zu bewundern und - zu arbeiten! Mit all den fröhlichen Frühlingsboten um die Wette wächst das Unkraut auf jedem Beet, und wenn es jetzt nicht ernstlich bekämpft wird, nimmt es das Jahr über erschreckend überhand. Viel zu schnell wird es dunkel, kaum, daß ich angefangen habe. Aber es liegt ja noch der ganze Sonntag vor mir. Der erste Sonnenstrahl lockt schon hinaus ins Freie; Tautropfen blinken und glitzern und mit fast feierlicher Ehrfurcht fange ich zu schaffen an.

LeerDa läuten die Glocken der nahen Dorfkirche, die ich liegen sehe, und fordern zum Kirchgang auf. Noch ist eine Stunde Zeit, und ich könnte noch hinkommen. Ein Widerstreit fängt in mir an. Sollte ich mich nicht aufmachen; Aber nein, die Zeit hier ist ohnehin für den Garten viel zu kurz, es muß gesät, gepflanzt, gejätet, gedüngt werden, wenn etwas wachsen soll, ich kann wirklich nicht in den Gottesdienst gehen. Schon läuten die Glocken zum zweitenmal, noch eine halbe Stunde zum Beginn, immer noch könnte ich rechtzeitig dort sein.

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LeerAber es treibt mich gar nicht; ich bin im Grunde so fremd in der Gemeinde, meine Heimat ist in der Stadtkirche, und ich kann doch auch hier im Garten für mich Gott loben. Unterdessen läuten die Glocken zusammen, ich bleibe hier und arbeite weiter. Es ist ja nicht so, daß man am Sonntag nichts tun sollte. Dafür ist Luther mein Gewährsmann. Man dürfte dann nicht einmal essen oder sich den Rock anziehen, sagt er einmal, weil das ja auch Arbeit sei. „Das ist vielmehr die Meinung mit der Feier, daß man nichts tun soll, wodurch das Wort Gottes verhindert wird.”

LeerTrotzdem will sich das Gewissen nicht ganz beschwichtigen lassen. Sagt nicht derselbe Luther in der Auslegung zum 3. Gebot: „. . . daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, gerne hören und lernen”; Und damit ist doch wohl jeder gemeint und der nicht ausgeschlossen, der einen Garten hat, den er nur am Samstagnachmittag und am Sonntag betreuen kann. Ich fasse den Vorsatz, den nächsten Sonntag die Glocken nicht wieder läuten zu lassen, ohne ihrem Ruf zu folgen; und ich reiße mich denn auch wirklich los und nehme am Gottesdienst teil. Aber, so flüstert jene Stimme, hat es sich wirklich gelohnt, alles im Stich zu lassen und zwei Stunden zu opfern; Dies nüchterne Gotteshaus, ohne jeden Schmuck, die Predigt, ganz zugeschnitten auf ländliche Bevölkerung, kaum die nötigste Liturgie und der Kirchenchor, der zwar laut, aber nicht gerade schön singt, kann das alles meinen „Ansprüchen” genügen?

LeerMit Erschrecken merke ich, so geht es nicht. Da ist's besser, nicht dabei zu sein, wenn man bloß als kritischer Zuschauer sich benimmt. Ich muß einen anderen Weg finden. Darum frage ich mich: kann ich nicht etwas tun, um heimisch zu werden, kann ich mich nicht irgendwie verantwortlich fühlen, ganz freiwillig, nach meinen Kräften und Möglichkeiten? Wie wäre es, wenn ich jeden Samstag die Blumen für den Altarschmuck aus meinem Garten brächte; Ich versuche es, und es macht mir Freude und den anderen auch. Auf einmal habe ich eine Beziehung, ich habe mich selbst hineingestellt in das kirchliche Leben, ganz bescheiden zwar, aber tätig, und darin liegt wohl das Geheimnis. Allmählich merke ich, es würde mir das Beste fehlen, wenn diese Vormittagsstunde in der Kirche nicht wäre, und sonderbarerweise kostet sie nun auch nicht mehr Zeit, als ich für den Garten entbehren kann. Die „versäumte” Zeit läßt sich durch die nachher beschwingtere Arbeit leichter aufholen, als es mir vorher möglich schien. Und ich bin froh und dankbar, daß meine Gewissenskonflikte ein Ende haben.

Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 137 - 138
© Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-31
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