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von Wilhelm Stählin |
Gibt es überhaupt einen „Sonntag des Pfarrers” ? Hat auch der Pfarrer einen Sonntag?
Oder ist es sein Beruf, daß er anderen Menschen zum Sonntag verhilft um den Preis, daß er selber auf den Sonntag verzichtete? Gehört es vielleicht zu dem Berufsleiden des Priesters, daß er als Pontifex, d. h. als Brückenbauer, für andere eine Brücke baut, die zu betreten ihm selber verwehrt ist? Ich kann mir freilich vorstellen, daß es Menschen gibt, die von dem Sonntag des Pfarrers eine sehr romantische Vorstellung haben. Sie meinen, der Pfarrer sei darin vor allen anderen Menschen bevorzugt, daß er den Sonntag ganz und ungeteilt dem heiligen Dienst widmen kann. Das, was nach Peter Roseggers schönem Wort dem Sonntag seine Seele gibt oder womit wir nach Luthers Anweisung den Sonntag recht begehen, ist der Inhalt seines Berufs, das heiße Herz, das sein ganzes Sein durchblutet und belebt. Hat nicht der Pfarrer eine unvergleichliche Möglichkeit, sich diesem Dienst völlig hinzugeben? Niemand kann ihn daran hindern, nichts ihn abhalten von dem Umgang mit der Heiligen Schrift, von Gebet und Sakrament. Keine anderen Ansprüche zerspalten sein Herz und rauben dem Tag des Herrn seine innere Einheit. Er hat auch nicht nötig, die Sonntagsfeier einem Stil des häuslichen Lebens abzuringen, welches ganz anderen Gesetzen folgt. Wer sollte den Sonntag feiern können, wenn nicht der Pfarrer; Und man wird ihn vielleicht nur davor warnen müssen, daß er allen Menschen als Gesetz auferlege, was für ihn köstliches Vorrecht und vertraute Lebensform seiner Sonntage ist. Ich sehe das schmerzliche Lächeln - wenn es nichts Schlimmeres und Unheimlicheres ist - auf dem Gesicht der Pfarrer, die das lesen. Sie werden vielleicht bitter dem widersprechen, der sie um ihren Sonntag beneidet, und werden die Frage nicht nur verstehen, sondern sind vielleicht geneigt, in tiefer Traurigkeit die Frage zu verneinen, ob der Pfarrer einen Sonntag hat. Das ist schwere Arbeit, die die ganze Kraft eines Mannes fordert, und wenn sie durch Jahre fortgesetzt wird, auch die stärkste Kraft vor der Zeit verzehrt. Ist dieses Tagwerk getan, dann reicht die erschöpfte Kraft nicht mehr zu, wenigstens den Abend als Feierabend zu gestalten, und der Sonntag versinkt in Müdigkeit und Erschöpfung. Es ist zu fürchten, daß dieses Bild der Wirklichkeit vielfach näher kommt als das Idealbild, das Rocholl von des Pfarrers Sonntag entworfen hat. Aber kann man die Arbeit des Pfarrers mit anderer Arbeit vergleichen; wird nicht alle körperliche und geistige Mühsal der Wege und der öffentlichen Rede dadurch aufgewogen, daß diese Arbeit ständig ein Dienst am Heiligen sein darf, daß er in all diesen Stunden Umgang halten darf mit den Aposteln und Propheten, mit dem Herrn selbst in Seinem Evangelium und in Seinem Sakrament, daß er am Altar stehen, daß er beten, die frohe Botschaft verkündigen darf, das Sakrament feiern und sich und feine Hörer mit dem süßen Trost des Evangeliums erfüllen darf; Ist nicht also doch in aller Mühe der Sonntag des Pfarrers ein mit der reichsten Fracht beladenen Tag, und der ihn feiern darf, bevorzugt vor Tausenden anderer, die den Sonntag schmerzlich entbehren, die mühsam und vielleicht erfolglos um ein bißchen Sonntag kämpfen, bevorzugt vor allen, die den Sonntag gänzlich verloren haben? Auch dieses ist wahr, und wir wollen nicht versäumen, uns und alle Pfarrer, deren Sonntage überreiche Arbeitstage sind, auch daran zu erinnern. Aber ich weiß, was mir dann manche dieser Pfarrer antworten werden, und ich lese ihnen die Antwort, ehe sie ausgesprochen ist, von ihrem Gesicht ab, weil ich sie in mir selber als Frage und Not trage: Verträgt es das Heilige, verträgt es das Evangelium, daß es in solcher Weise zur Arbeit wird, zum Dienst, der dann nicht mehr aus der Fülle des begnadeten Herzens strömen kann, sondern der fast unvermeidlich zur Gewohnheit, zur äußeren Pflicht, zur Mühe und Überforderung wird? Gehört es nicht zu der List des altbösen Feindes, wenn unter der Peitsche sich jagender Verpflichtungen der heilige Dienst sich in einen unheiligen Betrieb, die befreiende Wahrheit in eine immer neue Anstrengung des Willens verwandelt? Muß nicht notwendig die Herrlichkeit des Sonntags verblassen, wenn der Sonntagsdienst zu einer Arbeitslast wird, an der der Eifer und die Tragkraft erlahmen? Nicht nur wir Pfarrer selbst, sondern auch unsere Gemeindeglieder sollten nicht gedankenlos über diese Not des Pfarrer-Sonntags hinwegsehen, sondern sollten sie mit auf ihr Herz nehmen und den Sonntag ihres Pfarrers als ein großes und wichtiges Anliegen in ihre Fürbitte aufnehmen. Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeinem unserer Gebetbücher einen Satz gefunden zu haben, der etwa so lautete: „Sei Du, himmlischer Vater, am kommenden Sonntag unserem Pfarrer nahe mit der Kraft Deines heiligen Geistes; laß ihm in aller Mühsal seines Dienstes den hellen Schein Deines Angesichts leuchten und laß, was er uns verkündigt und bezeugt, an ihm selber mächtig werden in Freude und Kraft!” Wäre es nicht für ungezählte Pfarrer eine entscheidende Hilfe, wenn sie in ihrer Gemeinde nur ein paar Leute wüßten, die ihre Sonntagswege mit einer solchen Fürbitte begleiten? Aber er selbst, der Pfarrer, wird ja bedenken müssen, was er tun kann, daß ihm der Sonntag nicht zum ermüdendsten Werktag werde. Der Rat ist nicht neu, der Pfarrer solle sich dann einen der Wochentage, und wäre es auch nur ein halber Tag, von aller Arbeit freihalten, um an ihm die Ruhe für Leib und Geist nachzuholen, die ihm der Sonntag nicht gewähren kann, und solle dann diese Stunden zur echten Erholung verwenden, zu jener recreatio, deren auch er - und er vielleicht mehr als alle anderen - bedarf. Der Rat ist gut gemeint, und gewiß sollten die Gemeindeglieder es ihrem überlasteten Pfarrer nicht verdenken, wenn sie ihren viel geplagten Pfarrer dann auch einmal zu einer Zeit, wo sie arbeiten müssen, in wirklicher Muße, in heiterem Spiel oder auf Wegen der Erholung „ertappen”, sondern sie sollten sich freuen, wenn ihm solche Stunden vergönnt sind. Und doch ist der Wert jenes nützlichen Rats ein begrenzter. Man kann den Sonntag nicht nachholen, weder äußerlich - denn wie selten gibt die nicht abreißende Kette der täglichen Verpflichtungen den Pfarrer für solche Stunden der Erholung frei? - noch innerlich; denn es ist ja nicht nur das Maß der Arbeit, das den Sonntag des Pfarrers bedroht, sondern mehr noch dieses, daß der Dienst am Heiligen selbst von dem Geist der rastlosen Arbeit innerlich gefährdet und zum Unguten verwandelt wird. Hilfe und Heilung kann nur aus dem Sonntag selber kommen und am Sonntag des Pfarrers selbst sich bewähren. Ob der arbeitsreiche Sonntag trotz allem ein wirklicher Sonntag ist, hängt wesentlich davon ab, wie der Pfarrer in den Sonntag hineingeht. Daß alles bis ins Kleinste vorbereitet ist, wohl durchdacht mit dem Verstande und erwogen mit dem Herzen, ist schon eine große Hilfe. Aber das Entscheidende muß und kann während des Sonntagsdienstes selber geschehen. Es ist eine seltsame Erfahrung von großer Tragweite, wie sehr der liturgische Dienst des Pfarrers selbst zu einer echten recreatio, zu einer wirklichen Erholung, werden kann. Es kann dem Pfarrer am Altar geschehen, daß er nicht nur sich selbst, sondern auch die äußere Situation samt all dem, was darin enttäuschend und ermüdend ist, völlig vergißt, ganz umhüllt wird von der Herrlichkeit und Barmherzigkeit Gottes, daß er Christus selbst als Licht und Kraft trägt wie ein Gewand, das ihn umhüllt und birgt, und daß er darin bis ins Leibliche hinein erquickt, erfrischt, genährt und gestärkt ist. Ja, es kann geschehen, daß er, der Geplagte, der Überforderte und Überlastete müde an den Altar tritt, und daß dann dies alles von ihm abfällt und er erneuert, erholt aus seinem Dienste hervorgeht und den Abglanz der himmlischen doxa, wenn nicht auf seinem Angesicht, so doch in seinem Herzen trägt. Niemand, der um diese Geheimnisse weiß, wird viel Aufhebens davon machen. Solche Erfahrungen sind ein großer Trost, aber kein Anlaß zur Sicherheit oder gar zu eitlem Ruhm. Aber hier wird die Geschichte lebendige Wahrheit, die Elia in der Wüste erfahren hat, als der Engel ihm, dem Müden und Verzagten, das Brot der himmlischen Speise zu Häupten legte. Es liegt nur alles daran, daß der Diener des Herrn wirklich der selbstlose Diener seines Herrn, wirklich hingegeben und andächtig ist, daß er sich Ihm, dessen Bote und Werkzeug er sein darf, ganz und gar „lasse”; dann will und braucht er nicht mehr darum zu sorgen, was aus ihm selber wird. Es wird ihm nichts Arges widerfahren. Wir streichen damit die beängstigende Frage, ob der Pfarrer einen Sonntag hat, nicht aus und hüten uns wohl, dieser Frage mit frommen Phrasen den Stachel abzubrechen; aber es kann doch so sein, daß auch der mit Arbeit bis zum Rande gefüllte Sonntag ein wirklicher Sonntag ist, ein strahlender dies domini. In diesen Bereichen wird Zeit gewogen und nicht mehr mit dem Stunden- und Minutenzeiger gemessen. Und was sind Stunden angestrengter Arbeit, von der der Leib und der Geist müde wird, wenn in ihnen wie eine köstliche Perle der Augenblick gewesen ist, der ganz erfüllt war? Was vermögen Dunkel und Dämmerung, wenn in einem Augenblick der Blitz herniederzuckte, der den ganzen Raum mit Licht und Glanz erfüllt hat? Aber denkt, wenn ihr vom Sonntag redet, auch an die Frage, von der auch euer Heil abhängig ist, ob auch der Pfarrer einen Sonntag hat. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 128 -133 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-01-31 |