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Ich kann nur meine häusliche Situation schildern, die ja sicher nicht einmalig ist. Freilich ist es nicht, wie früher im christlichen Hause, der Hausvater, der Andacht und Gebet hält, sondern das Schicksal hat mir diese Rolle zugeteilt. - Langsam ist alles so, wie es jetzt wurde, gewachsen, Jahr für Jahr. Manchen Fehler habe ich gemacht, da ich dem Kult sehr zuneige und sehr in der Gefahr war, ein Zuviel zu tun. Dankbaren Herzens weiß ich heute, an einem kleinen Ziel, das ich mir steckte, angelangt, wie gut es ist, wenn man Hemmungen gesetzt bekommt durch Menschen, die man liebt. Meine Aufgabe war und ist noch heute, die gewisse äußere Ordnung, die die innere Ordnung unterstützen muß, in unserem Hause durchzuführen, ohne die Familie zu stören. Denn für meinen Mann und meine heranwachsende Tochter ist alles „Kultische” nur in ganz geringem Maße erträglich. In jahrelanger geduldiger Arbeit habe ich versucht zu verwirklichen, was mir erreichbar schien. Ganz äußerlich fing ich es an: mit einem Ei am Sonntag Morgen: - Das Tischgebet war ein weiterer Schritt. Mein Mann kannte es vom Elternhaus her gar nicht, mir war es selbstverständlich. Da mein Mann ein sehr ausgeprägtes Pflichtgefühl hat, konnte ich daran anknüpfen; und um des Kindes willen, das ja getauft war, betete ich zu Tisch. Dann habe ich langsam, als unser Kind größer war, meinen Mann davon überzeugt, daß ein Kind ein sehr feines Gefühl dafür habe, wenn der Vater nicht überzeugt sei von diesen Dingen, und daß man so der Kindesseele schaden könne. So erreichte ich, daß das Tischgebet am Sonntag vom Vater gesprochen wurde, und so hatte der Sonntag schon ein besonderes Gesicht. Dann fing ich langsam an, am Sonntagmorgen an meinem Schreibtisch sitzend die Epistel zu lesen und ein Gebet zu sprechen. Als unsere Töchter von einer Konfirmandenfreizeit zurückkam, fand sie das nicht gut und baute - nur am Sonntag - einen Altar. An einem Sonntag fragte plötzlich mein Mann: „warum wird eigentlich bei euch nie das Evangelium gelesen;” Ich erklärte, daß ich das nur aus Rücksicht auf ihn nicht gelesen hatte, um nur ja nicht zu viel zu tun. Also wurde jetzt die Epistel und das Evangelium gelesen. Ganz vorsichtig habe ich dann damit begonnen, am Alltag früh am Kaffeetisch den Wochenspruch und ein Gebet zu sprechen, und so dafür gesorgt, daß die Familie zusammen frühstuckt und gemeinsam den Tag besinnlich beginnt. Das war gar nicht einfach, da die Langschläfer nicht gern früher aufstehen, als sie unbedingt müssen. Meine jungen Mädchen, die ich stets zur Familie rechnete, wurden genau so behutsam in diese Dinge mit hineingenommen, und ich weiß heute, daß es bei einigen auf fruchtbaren Boden gefallen ist. In wie vielen Familien mag es heute so sein, daß nicht alle sich einig sind in diesen Dingen. Der „Berufene” in einer solchen Familie muß dann nur immer wieder den Mut haben, über alle Enttäuschungen und Mißerfolge hinweg weiter zu arbeiten und zu beten. Und warten muß man können, auch Jahre hindurch! - Wenn man es recht macht, ist sehr viel zu erreichen .Ich selbst bin dabei gewachsen und Stufe für Stufe dabei weitergekommen, und das erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Wenn man solche Dinge tut und sagt bei Menschen, denen sie fremd sind, steht man besonders scharf unter der Kritik. Diese Kritik habe ich erlaubt und erbeten. Es ist doch selbstverständlich, daß alles Gesagte im Leben verwirklicht werden muß. Wenn nicht vorgelebt wird, ist alles vergebens, was man an kultischen Dingen tut, und man richtet damit nur Schaden an. Wie mußte ich das zuerst oft schlucken, denn natürlich wird dann sehr streng kritisiert. Da darf man nicht aus der Liebe fallen, und langsam wandelt sich auch der Andere. Jetzt ist ein kleines Ziel erreicht. Unser Heim hat das Gesicht, das ich ihm geben wollte, und alle fühlen sich wohl dabei. Bei zwei Schülerinnen, die erstaunt waren über die Bibel auf meinem Schreibtisch, habe ich ganz ernst gesagt: „Ach so, Sie sind aus der Kirche ausgetreten!” Da kam ganz empört ein „Nein, warum meinen Sie denn das?” Da konnte man dann so schön antworten: „Jetzt sollten Sie einmal darüber nachdenken, wieweit es mit uns Christen gekommen ist, wenn ein Christ staunt, daß ein anderer Christ in der Bibel liest!” Und ich weiß wirklich nicht, wer ärmer und mehr zu bedauern ist, alle die vielen, die kein Sonntagskleid haben und die Freude entbehren müssen, mit einem festlichen Kleid sich selber daran zu erinnern, daß sie sozusagen einen Sonntagsmenschen, einen freudigeren, gesammelteren Menschen anziehen dürfen, - oder die anderen, deren vielleicht noch viel mehr sind, die innerlich kein Sonntagskleid mehr kennen, und sich nur zum nachmittäglichen Gang in die Stadt „hübsch machen” wollen, aber keineswegs zur Feier des Sonntags und zur Ehre Gottes. Hatten wir nicht längst aus unserem Herzen verloren, was wir dann auch äußerlich nicht mehr besaßen, und haben wir das Entscheidende und Wesentliche wiedergewonnen, wenn wieder die schönen Kleider im Schrank hängen? Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 122-125 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-12-07 |