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von Esther von Kirchbach |
Im Himmel ist immer Sonntag. Wenn die Kinder sich nicht darüber und darauf freuen können, dann ist der Kindersonntag im Hause noch nicht so, wie er sein sollte. Aber das ist auch eigentlich die einzige Vorschrift, die man für ihn machen kann; sonst ist der Kindersonntag so verschieden, wie die Kinder selbst sind oder die Geschlechter oder die Landschaften oder die Berufsstände. Denn es ist Schicksal für den Kindersonntag ebenso wie für das ganze Leben, ob man als Ältester die Kleinkinderei sehr lange oder als Jüngster sehr kurz erlebt, ob man als Mittelster schon aus Ehrgeizgründen mit in die Kirche der Großen strebt oder als Zwilling bei seinen Feiertagen von den Entschlüssen des MitZwillings abhängig ist. Jeder neue kleine Erdenbürger, jede Schulentlassung verschiebt das Schwergewicht auch für den Sonntag. Es ist aber vor allem ein sehr deutlicher Unterschied für ein Kind, ob die Glocken, die den Sonntag einläuten, mühsam auf dem Küchenbalkon erlauscht werden müssen, oder ob am Sonntagmorgen die Erde, die bis zum Feierabend noch bereitet wurde, in Ruhe liegt und auf sie wartet. Und es macht entscheidend viel aus, ob die Mutter am Sonntag sagen muß: „Leise, leise, Vater hat Nachtschicht gehabt und will schlafen”, oder ob der Vater - welches Fest! - selbst die Fensterläden aufreißt und das erste Kissen von einem Bett zum andern wirft. Aber das, was wir mit dem Sonntag w o l l e n , ist immer das gleiche. Für Kind und Mann und Hausgesind und Besuch steigt der gleiche Wunsch für den Sonntag am Sonnabendabend auf: „Die Herzen in die Höhe erheben wir zum Herrn”. Darum wird das Gebet für einen guten Sonntag nicht im Herzen der Mutter stecken bleiben. „Lieber Gott, schenke uns morgen einen schönen Sonntag”, so sagt sie an den Kinderbetten, und es kommt von selbst, daß sie den Sonntag bei Namen nennt, wie einen lieben Besuch, den schönen Sonntag „Cantate”. Auswendig zu lernen, mit den Fingern in den Ohren, brauchen die Kinder darum die Sonntage nie, denn am Abend jeden Festes danken sie mit der Mutter: „Lieber Gott, wir danken dir für den schönen Sonntag Misericordias Domini.” So lernen sie sie doch „par coeur”, mit dem Herzen, wie es in der französischen Sprache für auswendiglernen heißt. Zerbrechen sie sich dabei die Zunge; Kinder lieben die fremden feierlichen Namen, und nur bei Trinitatis mit den vielen Nummern muß die Mutter erst erklären, daß alle Namen nun ruhen vor dem einen großen Namen, den jeder Sonntag feiert: „Heilige Dreifaltigkeit”. Wenn man nur nicht so oft glaubte, dies alles verkindlichen zu müssen! Nur den Schulverstand müssen ja die Kinder noch wachsen lassen. Dort, wo wir gemeinsam anbeten, sind die Kinder dem Himmel näher als wir. Nur die kleinste - ach so kümmerliche - Hilfe, eine kurze Stille, ein feierlich gesprochener Name, ein gesungener Psalm, eine frische Kerze, und ihr kleines Herz schwingt sich höher und sicherer als wir dorthin, wo es hingehört, „denn ihrer ist das Himmelreich”. Die Not der fehlenden kirchlichen Lehre ist ja wirklich eine Not. Zu Zeiten, in denen man den Christenglauben durch einen Strom von Weltanschauungen durchträgt, muß man schon von ihr etwas wissen. Aber was soll werden, wenn das auf Kosten der Feier geschieht? Ich selbst, wenn ich in meine eigenen Erinnerungen zurückgehe, habe viele Religionsstunden gehabt, aber nicht eine hat mir das Bewußtsein der Majestät Gottes so mitgegeben wie das „Ehre sei dem Vater .. ” gesungen am Altar, das ich hören konnte und begreifen, auch wenn ich während der ganzen langen Predigt die bunten Glasscheiben in den Fenstern zählte; rot zwölfmal, grün dreizehnmal, blau sechsmal. Darum freue ich mich auch jetzt, wenn die Kinder mit den Großen im Gottesdienst der Gemeinde sitzen, und ich wünschte, man könnte alle Schutzengel der Kinder um jeden Kindergottesdienst herumstellen, damit die Sonntagsschule nicht den Kindergottesdienst verschluckt. Wir hatten eine Kapelle am alten Dom, in der bisher nur Geräte abgestellt wurden und die lange Jahre verschlossen war, wieder zur stillen Benutzung freigegeben, und am Sonntag gingen nach der Kirche eine Reihe von Erwachsenen hinein, um sie sich anzusehen. In der Nähe der Tür stießen sich ein paar in den ärmlichen Gassen der Umgegend wohnende Kinder herum, die Sorte, die auch sonntags schmutzig auf den Straßen herumrennt, weil sich zu Hause um sie niemand kümmert oder kümmern kann. Sie waren neugierig, wie es drin aussah, aber hatten das dunkle Gefühl, daß der Kirchendiener sie entrüstet zurückweisen würde. So fand ich sie. „Aber ihr dürft ja hinein, Kinderle, ihr müßt nur die Hände falten und gar nichts sagen, damit ihr seht, wie schön sie ist.” Ich werde sie nie vergessen, diese vielen kleinen, schmutzigen, gefalteten Hände, die große Stille und Sammlung, die diese Kinder von der Straße weg in diesem Augenblick ausbrachten, und - die spürbare Gegenwart des Herrn, der in dieser Kapelle von einem zum anderen ging und über die ungebürsteten Haare strich. Das ist das wichtigste am Kindersonntag, alles andere ist Zugabe. Aber da werden wir nun auch jeden Sonntag gefragt, Mütter und Väter und alle, denen an irgendeiner Ecke ein Kind in Verantwortung aufs Herz gelegt ist. Was taten wir, um an jedem Kindersonntag Raum zu schaffen für dieses wichtigste, wieviel haben wir getan, was dieses Entscheidende störte; Denn hier gibt es keine Entschuldigung mehr, dies ist keine Frage der Zeit, sondern der Haltung, keine Frage der Umstände, sondern der Andacht, keine Frage des Geschicks, sondern der Sehnsucht. Wir dürfen auch sicher darauf bauen, daß ein solches Feiern nun seinen Glanz über den Alltag gießt. Er hat es nötig! Der Sonntag in einem kinderreichen Hause ist gewiß ein Geschenk. Aber nur zu oft schwärmen am meisten die davon, die nichts damit zu tun haben. Gewiß, es bleibt ein Fest, wenn alle Kinder sonntäglich frisch gemacht und reingewaschen in der aufgeräumten Stube ihrer festlichen Beschäftigung nachgehen. Aber was gehört dazu, bis es so weit ist, und wieviel leichter kann ein einziges Mißgeschick die Stimmung der Großen und Kleinen gefährden! Da ist es ein Trost, von der Kirche her es wieder mit dem Herzen zu wissen, daß es d e r H e r r ist, der den Sonntag zu Seinem Tag macht, und daß wir das Idealbild einer Gesangbuchillustration für den Sonntag gar nicht von uns aus schaffen können. Dann greift man ruhiger nach den kleinen Hilfen, die einem Kindersonntag zu Hause das rechte Gesicht geben: man setzt den Sonnabend ein, der doch so wichtig für den Sonntag ist: man ruft die Kinder zur Hilfe, man läßt sich - unerschöpflicher Ansporn zu neuer Tatkraft - von ihnen überraschen. Und man erfindet neue, kleine Möglichkeiten, um es anders zu machen am Sonntag als am Werktag, denn wir Menschen sind nun einmal so merkwürdig zusammengesetzt, daß schon das „andere” uns festlich dünkt. Nach dem Sprichwort „Fremder Leute Brot ist den Kindern Kuchen” läßt sich auch unter den schwierigsten Verhältnissen sonntags „Kuchen” geben. Und nun ist es beglückend, immer wieder auszuprobieren, wie über aller sehr erdhaften Freude doch der Glanz der Gottesfeier liegen darf. Da ist das Buch zum Ansehen, das nur sonntags herausgeholt wird, da ist der anders gedeckte Tisch und der Zusammensetzkasten vom Patenonkel, da ist die Vase mit frischen Blumen und der zugedeckte und weggepackte Flickkorb wirklich ganz ähnlich dem Lied in der Kirche und den Lichtern am Altar. Und dabei ist doch bei dem allem noch gar nichts von Gott vorgekommen. „Weil dich die Dinge immer tönen, nur einmal leis und einmal laut” sagt Rilke einmal. Der Gottesdienst in Seinem Hause, in dem Sein Name ertönt, macht, daß die Ohren, auch die Ohren der Kinder, hellhöriger werden, um diesen Namen an anderen Stellen zu vernehmen, auch dort, wo er nicht mit Worten ausgesprochen wird. Wenn es gelingt, daß die Kinder so denken, darf man froh sein. Sie müssen aber auch wissen, daß wir uns freuen können an ihren Sonntagen draußen und ohne uns. Sie „erleben Gott in der Natur”, das wird so oft als Gegensatz zum christlichen Sonntag herausgestellt und trotzig als Gegensatz angegriffen. Aber warum sollen sie denn Gott nicht in der Natur erleben? Natürlich ist Er dabei, „tönen Ihn die Dinge”, wenn sie auf den Bretteln durch den Winterwald fahren und nach der Wanderung bunte Wiesen zu ihren Füßen sehen. Die Anbetung am Altar soll ihnen ja eben helfen, Ihn zu hören und zu sehen und mit allen Poren in sich aufzunehmen auf ihren Wsnderungen, in ihren Gesprächen, bei ihrem Flötenspiel und bei ihren besonderen Basteleien und Passionen. Freilich ist's schön, wenn man den Feiertag am Abend noch einmal gemeinsam zu Hause feiern kann. Der Sonntag muß gut zu Ende gehen und das heißt mit Gott, sonst trifft einen der Montag trübe und müde an. Vielleicht ist es wochentags gar nicht immer möglich, daß die Mutter abends an den Betten sitzt, sonntags müßte es möglich sein, und wenn der Vater dazu käme, wäre es kein Schade. Vielleicht deckt der Wochentag mit seinen Anforderungen immer wieder den Vorsatz zu, daß man abends mit dem Ranzenpacken und dem Vorbereiten beizeiten fertig wird, und wie leicht erscheint spät noch eins, das eigentlich schlafen sollte, und geistert im Nachthemd an seinen vergessenen Sachen herum. Aber am Sonntag sollten sie wirklich einschlafen dürfen mit dem letzten Gedanken an den, der nun den Abend in Seinen Händen aufnimmt und die Sterne am Nachthimmel aufziehen läßt. Vielleicht ist die Mutter am Werktag abends zu müde, um lange an den einzelnen Bettchen stehen zu bleiben, und Gott hört auch ihre kurzen Gebete am Schluß der langen Werktagsarbeit. Aber am Sonntag sollte sie sich die Freude immer wieder erobern, beim schlafenden Kind zu stehen und die fürbittenden Gedanken in die Träume des Kindes hineinzuschicken, so daß es im Schlaf noch mit dem ganzen himmlischen Heer den Feiertag beschließt. So eine Sonntagsüberlegung ist immer eine Gewissenserforschung. Wir spüren es genau, daß das, was man am Sonntag durch eigene Faulheit, Niedergeschlagenheit und Unordnung sündigt, schwerer wiegt und ärgere Folgen hat als am Werktag. Darum muß man sich den Sonntag mit seinen Kindern oft mehr vergeben lassen als den Alltag. Es schadet nichts, wenn die Kinder das merken. Das ist ja für uns christliche Eltern eines der größten Geschenke für die Kindererziehung, daß wir unseren Kindern keine Vollkommenheit vortäuschen müssen. So kann man sich an einem „verregneten” Sonntag am Abend gut miteinander eingestehen: Heute ist's uns gar nicht geglückt, so richtig zu feiern, woran mag es wohl gelegen habend Wenn die Mutter meint, daß es nicht nur an den Kindern gelegen hat, sind die Kinder sehr schnell bereit, ihrerseits zu finden, was sie verkehrt gemacht haben, und da kann der Sonntag noch einen rechten feierlichen Schluß bekommen, ja, man kann an ihm vielleicht am besten merken, wozu er eigentlich da ist: daß wir aus dem unergründ'ten Brunnen von neuem schöpfen dürfen für unsere Werktags-Wanderung. Dann wird an jedem Sonntagabend mit dem Dank für den Feiertag auch die Bitte aufsteigen, daß wir das, was uns zur Feier gegeben wurde, auch feiernd nehmen und, daß ein Sonntag am andern wachsen möge, bis wir uns wiederfinden in der ewigen Sonntagsfeier. Das Gottesjahr 1942, S. 104-110 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-12-07 |