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Der Sonntag im Kirchenjahr
von Walter Stökl

LeerSind die Sonntage nicht wie die Perlen an einer Kette, eine so glänzend und schön wie die andere; Verkündigt nicht jeder Sonntag den ersten Schöpfungsmorgen, die Herrlichkeit der Auferstehung und die göttliche Gnadenfülle des Heiligen Geistes? Und doch hat jeder Sonntag sein eigenes Gepräge. Jeder Sonntag gibt der einen Botschaft ein anderes Gepräge und eine andere Gestalt. Freilich merkt das nur der regelmäßige Kirchengänger, wie von Sonntag zu Sonntag eine sinnvolle Ordnung in stetem Fortschreiten durchs Jahr führt. Er merkt es, wenn ihm ein Sonntag fehlt. Es läßt sich im Grunde kein Sonntag nachholen. Jeder Sonntag ist einmalig im Laufe des Jahres, ob es nun der Palmsonntag oder der Sonntag Rogate, der Sonntag des barmherzigen Samariters im Sommer oder der erste Sonntag im Advent ist.

LeerWir haben heute allerlei Bücher, die uns helfen, das Jahr mit der Kirche zu leben. Sie bieten uns die sonntäglichen Lesungen und Gebete nach der Ordnung des kirchlichen Jahres und führen uns in hilfreicher Anleitung durch das wunderbare, ehrwürdige Gebilde des kirchlichen Jahreslaufes. Eigentlich wünschte ich mir noch ein Buch, das nichts anderes enthielte, als ein gutes Bild für jeden Sonntag und auf dem anderen Blatt das in Kürze an Gebeten, Lesungen, Sprüchen, was diesen Sonntag und sein Bild bestimmt. Vielleicht kann sich ein besinnlicher Christ auch selbst solch ein „Sonntagsbuch” anlegen, die Bilder auswählen, die ihn ansprechen, und die dazugehörenden Sprüche und Gebete in guter Schrift selbst dazu schreiben.

LeerWenn am Sonnabend die Mittagshöhe überschritten ist, so kommt in unserem Tageslauf der fast feierliche, festliche Augenblick, wo wir den alten Wochenspruch wieder in die Mappe legen und den Spruch der neuen Woche, des neuen Sonntags, in den Rahmen schieben. Nun grüßt uns schon der neue Sonntag und nimmt uns hinein in das, was er uns verkünden will. Da beginnt eigentlich der Sonntag, wenn der neue Wochenspruch zu Dir zu reden anfängt, wenn am Vorabend die Glocken den Sonntag einläuten, wenn Du am Hausaltar den neuen Blumenschmuck und, wenn es die Ordnung des Kirchenjahres erfordert, einen neuen Altarbehang in anderer Farbe anbringst. Du schlägst Dir in der Lesung für das Jahr der Kirche oder in einem anderen Buch, das die Ordnung des Kirchenjahres enthält, den Sonntag auf, betrachtest den Namen des neuen Sonntags, suchst neben dem alten oft lateinischen Sonntagsnamen das Betrachtungsbild des Sonntags Dir einzuprägen und in Dich aufzunehmen: „Lamm Gottes”, „Die neue Schöpfung”, „Die betende Gemeinde”, „Heiligung des Leibes”, stimmst das neue Wochenlied aus den „Liedern für das Jahr der Kirche” an und erkennst den Zusammenhang zwischen Wochenspruch, Wochenlied, Sonntagsnamen, Sonntagslesungen und -gebeten.

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LeerSo magst Du Dich für den Sonntag bereiten. Durch den Sonntagsnamen, den Wochenspruch, die sonntägliche Hauptlesung und das Wochenlied ist das, was ihm eigen und besonders ist in der Reihe der Sonntage, deutlich bestimmt. Freilich, wenn Du am Sonntag selbst in Deine Kirche gehst, kann es Dir widerfahren, daß Du enttäuscht wirst und von der besonderen Art dieses Sonntags nicht viel merkst. Nicht überall ist die Gestaltung des Sonntags nach dem Kirchenjahr das beherrschende Ordnungselement, wie es der christlichen Überlieferung aller Zeiten entspricht. Wo aber diese alte Ordnung wieder neu aufgenommen wird, da darfst Du im Gottesdienst nicht nur das Sonntagslied mitsingen, sondern auch die Epistel und das Evangelium eben dieses Sonntags hören und die Sonntagsgebete mitbeten, besonders das Kollektengebet im Eingang, das von Sonntag zu Sonntag wechselt und dessen kurze schlichte Gestalt oft auf sehr alte Zeiten zurückgeht.

LeerWird aber gar der volle christliche Gottesdienst, also Predigt  u n d  die Feier des Heiligen Mahles begangen, so wirst Du in der Abendmahlsliturgie immer wieder an den besonderen Charakter dieses Sonntags im Kirchenjahr erinnert: in der Art des Danksagungsgebetes, der sogenannten Präfation, die vor dem Dreimalheilig gebetet wird und in ihrem mittleren Teil nach dem Kirchenjahr wechselt, beim Schlußgebet - jeder Sonntag hat hier sein eigenes Gebet -, im Sendungswort, wo ein solches der Gemeinde zum Schluß zugerufen wird.

LeerWer oft Gelegenheit hat, den vollständigen Gottesdienst zu begehen, dem scheint zunächst ein Sonntag wie der andere zu sein. Je vertrauter ihm aber diese Ordnung wird, je öfter er sie im Laufe der Jahre feiert, desto mehr tritt neben den großen, ständig gleich bleibenden Gebeten und anderen liturgischen Stücken das Besondere jedes Sonntags in den Vordergrund. Man lernt die wechselnden Stücke beachten und freut sich darauf, wenn im Laufe des Kirchenjahres der Gottesdienst dieses oder jenes Sonntags mit besonders schönen Gebeten und Gesängen, besonders hilfreichen und heilsamen Lesungen wiederkehrt.

LeerAber aus mancherlei Gründen ist heute vielfach der sonntägliche Kirchgang mit einer betenden und glaubenden Gemeinde nur ein frommer Wunsch. Du mußt vielleicht Deinen Sonntag einsam oder nur mit den Deinen daheim begehen. Mit Bibel, Gesangbuch, Lesungen, Gebeten und Liedern im Jahr der Kirche kannst Du daheim völlig nach der Ordnung des Christusjahres den Sonntag begehen. Hast Du dann nach längerer Zeit wieder einmal eine Gelegenheit zum Kirchgang und zum Empfang des Sakramentes, so bist Du kein Fremdling,

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LeerDu bist ja von Sonntag zu Sonntag den Weg mitgewandert und daher jetzt gleich daheim in der Ordnung auch dieses Sonntags, den Du mit der Gemeinde im Gotteshaus feierst. In eigenartiger Weise verbindet sich die besondere Gestalt jedes Sonntags - vom Sonntagsevangelium bis zum besonderen Blumenschmuck dieses Sonntags - mit der ständigen und in ihrem letzten Inhalt gleichbleibenden Botschaft des Evangeliums. Jeder Sonntag verkündet mit Beharrlichkeit gleich dem Apostel Paulus immer dasselbe, das Eine, das not tut. Aber es wird nie langweilig und ermüdend, sondern Du freust Dich von einem Sonntag auf den anderen, weil jeder seine Eigenart und Schönheit hat. Von Sonntag zu Sonntag wanderst Du durch die Zeit Deines Erdenlebens und Jahr für Jahr kommt jeder Sonntag wieder. Jedes Jahr feierst Du den hohen Ostersonntag, bittest Du am Pfingstsonntag um die Kraft des Heiligen Geistes, bereitest Du Dich an den Adventssonntagen auf das Fest der Geburt und der Erscheinung des Herrn und an den Fastensonntagen auf Kreuz und Auferstehung Christi. So schwingt Dein gläubiges Leben als Christ, all Dein Beten und Feiern, im Kreislauf des Gottesjahres.

LeerAber ist es wirklich nur ein Kreislauf ständiger Wiederholung und Wiederkehr; Oder vermagst Du Dein Leben von Sonntag zu Sonntag anzusehen im Bilde der Spirale; Hier gibt es wohl ständige Wiederkehr im Kreise, aber immer an einer höheren Stelle. Jeder Sonntag, der wiederkehrt, soll Dich bereiter, aufgeschlossener finden, in einem neuen Stadium Deines geistlichen Wachsens und Reifens. So mag Dich ein Evangelium, das Dir dieses Jahr an diesem Sonntag noch wenig sagt, übers Jahr mächtig ergreifen. So mag dasselbe Wochenlied, das Dir voriges Jahr noch fremd war, Dir jetzt besonders lieb und hilfreich werden, oder derselbe Spruch, an dem Du früher vorüberhörtest, nun zu einem unmittelbaren, eindrücklichen Hinweis auf die göttliche Wahrheit und Wirklichkeit werden. Kein „Stand” unter irdischen Ständen darf das Leben des Christen sein, vielmehr ein „Wandeln” von einer Lebensstufe zur anderen, von einer Erkenntnis zur anderen, von einer geistlichen Erfahrung zur anderen. So wird unser Leben von Sonntag zu Sonntag nach der Ordnung des Heiligen Jahres „ein Wandeln im Himmel” in aller Sehnsucht und Hoffnung.

Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 95-98
© Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-12-07
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