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von Walter Stökl |
Albert Schweitzer erzählt in seinen Jugenderinnerungen: In seinem Heimatdorfe saß Sonntag für Sonntag ein Alter, der völlig taub war, im Gottesdienst, ohne daß er ein Wort von der Predigt verstehen konnte. Als ihn Pfarrer Schweitzer, der Vater des Urwaldarztes, einst bedauerte, daß er am Gottesdienst teilnehmen müsse, ohne zu hören, schüttelte er den Kopf und sagte: „Gemeinschaft der Heiligen, Herr Pfarrer, Gemeinschaft der Heiligen!” Dieser Mann wußte also etwas von der Gemeinschaft am Leibe Christi, zu der alle „Heiligen” verbunden sind, die noch hier auf Erden im Kampfe stehen, und die, die schon entboten sind zur himmlischen Schar der Seligen und Erlösten. Seine Anwesenheit im Gottesdienst brachte zum Ausdruck, daß er sich dieser Gemeinschaft der Heiligen eingepflanzt wußte. Nicht selten widerfährt es einem Kirchgänger, daß er an einem Gottesdienst teilnimmt, zu dem sich nur wenige Menschen einfinden. Darüber erschrickt der Mensch, die leere Kirche bedrückt ihn, man fühlt sich einsam und unbehaglich. Manche können wirklich nicht am Gottesdienst teilnehmen. Ihr Dienst zwingt sie, auch am Sonntag zu arbeiten. Andere weilen in der Ferne, unter Lebensumständen, die es ihnen erschweren oder unmöglich machen, den Sonntag in gewohnter Weise zu heiligen. Und nicht wenigen ist die Sitte des sonntäglichen Kirchgangs völlig fremd geworden. So schmilzt die Schar der Gottesdienstbesucher oft auf ein kleines Häuflein zusammen. Aber wer weiß, daß die kleine Schar der betenden Christen stellvertretend für alle Getauften um den Altar versammelt ist, weiß sich umgeben von einer großen Menge von Brüdern und Schwestern, die mit ihm zur Kirche Christi gehören. Er ist in der Fürbitte mit allen Christen verbunden und betet in besonderer Hingabe für alle die, die an der gottesdienstlichen Gemeinschaft nicht teilnehmen können. Wir sind im Gottesdienst der Kirche nie allein, wir sind durch die Gemeinschaft der Heiligen verbunden mit allen himmlischen und irdischen Gliedern Seines Leibes. Wir sind in Sonderheit verbunden mit allen Getauften und Christgläubigen an dem Ort, an dem wir wohnen, und zu deren Heil und Frieden dies Gotteshaus erbaut ist oder die auf dem Gottesacker um die Kirche ihre irdische Ruhestatt gefunden haben. Wir sind in der Kirche die Familie Gottes, und eine Familie bleibt stets eine ganze Gemeinschaft, auch wenn nur ein Teil der Familienglieder am gemeinsamen Tisch der Familie Platz nehmen kann. Die Abwesenden sind stets mit eingeschlossen in die Tischgemeinschaft. Die Danksagung aber, die der Pfarrer vor der Spendung des Heiligen Mahles betet, und in die wir mit dem Dreimalheilig einstimmen, klingt stets aus in dem Satz, der uns daran erinnert, daß wir mit den Engeln und Heiligen im Himmel gemeinsam auf Erden singen und beten: „Durch Ihn beten Dich an die Mächte und fürchten Dich alle Gewalten und Throne, die Himmel und aller Himmel Kräfte preisen Dich mit einhelligem Jubel. Mit ihnen laß auch unsere Stimmen uns vereinen und anbetend ohn' Ende bekennen”. Und nun jubeln wir das „Heilig, Heilig, Heilig” dem Herrn der himmlischen Heerscharen. Mit den himmlischen Mächten preisen wir den ewigen Herrn. Aber auch die Gemeinschaft der Kirche in allen Ländern und Völkern bedenken wir: „Alle Lande sind Seiner Ehre voll”. In allen Ländern der Erde, unter allen Völkern, so verschieden sie nach Rasse und Sprache sind, sind Scharen anbetender Christen an diesem Sonntag vereinigt und beten mit uns den Lobpreis. Auf der ganzen Erde ist es eine sehr große Zahl. Vieltausendfach wird dieser Lobpreis der Engel angestimmt. Es ist immer wieder ein seltsamer Gedanke, daß am Sonntag das Gotteslob in der Gemeinschaft der Heiligen nie verstummt. Haben wir Nacht und schlafen, so ist auf der anderen Seite der Erdkugel Tag und die Christenheit dieser Länder lobt in ihren Gotteshäusern den Dreieinigen. Wie die Stunden des Sonntags über den Erdkreis wandern, so wandert die Fülle des Gotteslobes von Kirche zu Kirche, von Volk zu Volk, von Land zu Land, und wer gleich den Engeln diesen Lobgesang der Gläubigen vom ganzen Erdenrund hören könnte, müßte betroffen sein von der Fülle der Stimmen einsamer Beter und anbetender Gemeinden, von den großen gewaltigen Chören in allen Sprachen, von der Gemeinschaft der Heiligen, die am Sonntag den Auferstandenen verherrlicht und preist. Zu dieser Gemeinschaft der Heiligen gehörst auch du, wenn du einsam und allein deinen Sonntag feierst oder in recht unvollkommener Weise begehst. Wenn du dann die heilige Speise selbst empfängst inmitten anderer Christen, die gleich dir hinzugetreten sind, dann erfährst du die „Gemeinschaft der Heiligen” ganz unmittelbar und persönlich. Oft wird vorher der alte Lobpreis angestimmt: „Das Heilige den Heiligen. Einer ist heilig, einer der Herr, Jesus Christus zur Ehre Gottes des Vaters”. Es ist gut, wenn du nicht immer im engen Kreis deiner Verwandten und Freunde das Heilige Mahl empfängst. Hier geht es nicht um die Gemeinschaft derer, die sich persönlich und schicksalsmäßig als eine liebende Einheit empfinden, sondern hier wird in aller Nüchternheit Gemeinschaft mit Menschen erfahren, die uns sonst völlig fremd wären. Ja, diese „Gemeinschaft der Heiligen” über alle Zeiten und Räume hinweg eint uns mit Menschen anderer Kulturstufen und Zeitepochen und verbindet uns zu einer Gemeinschaft mit Menschen anderen Volkstums und anderer Wesensart. Das ist die einzige Gemeinschaft, die alles noch so Trennende überwindet. Freilich nur so lange, als wir nicht im Raum der Welt, sondern vor dem Altar Gottes, an der Grenze der irdischen und himmlischen Welt vereinigt sind. Auf einer Reise hatte ich einmal in der Hauptstadt eines fremden Landes Gelegenheit, zum Tisch des Herrn zu gehen. Es war eine alte, schöne Kirche. Ich kannte niemand in diesem Gotteshaus. Als ich die Stufen des Altars hinaufschritt, führte eine Frau einen blinden schwarzen Christen zum Altar und neben dem kniend, der mir menschlich so fern als nur möglich stand, empfing ich das Brot, trank mit ihm aus demselben Kelch. Hier erfuhr ich überwältigend und unvergeßlich die Gemeinschaft der Heiligen, die in der sonntäglichen gottesdienstlichen Feier Wirklichkeit ist, jenseits aller persönlichen Bindung und irdischen Zusammengehörigkeit. In dieser Gemeinschaft der Heiligen mit anzubeten, fordert dich jeder Sonntag von neuem auf. Diese Gemeinschaft der Heiligen kannst du erfahren, auch wenn du das Wort der Predigt nicht zu hören vermagst wie jener taube Mann, und wenn es dir nicht vergönnt ist, das Lob zu Gottes Ehren mit anzustimmen; diese Gemeinschaft der Heiligen umgibt dich auch, wenn du noch so einsam und in noch so kirchenferner Umwelt den Sonntag begehst. Da, wo du Sonntag feierst, allein oder in Gemeinschaft mit anderen Christen, da sind alle Heiligen und Seligen, alle Engel und Himmelsmächte um dich, da bist du geborgen in der Gemeinschaft aller Christgläubigen auf Erden. Da lebst du mit das heilige Leben des Auferstandenen in Seiner Kirche, da bist du im Tiefsten nie einsam, sondern Glied der Gemeinschaft, die wir Sonntag für Sonntag gemeinsam im Glaubensbekenntnis als „Gemeinschaft der Heiligen” bekennen. Das Gottesjahr 1951 (1942), S, 91-94 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-12-07 |