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von Wilhelm Thomas |
Als Martin Luther dem deutschen Haus die Zehn Gebote neu verkündigte, da hat er nicht fremdes jüdisches Gesetz dem deutschen Volk auferlegt, sondern er hat für immer die Freiheit vom jüdischen Gesetz und aller pharisäischen Gesetzlichkeit im deutschen Volk verankern wollen. Darum hat er nicht die Paragraphen der jüdischen Volksordnung in seinen Katechismus aufgenommen, sondern in christlicher Freiheit - nach dem Vorbild eines der Größten vor ihm in der Christenheit, nach dem Vorbild Augustins - die alttestamentlichen Zehn Gebote grundlegend umgewandelt in ein christliches Lebensgesetz, das nichts anderes ist als die Auslegung des Gesetzes Christi: „Du sollst lieben Gott deinen Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.” Aus dem Wortlaut der Zehn Gebote hat er nicht nur gestrichen, was sich auf die besonderen Führungen des Volkes Israel bezieht, sondern auch alle Drohungen und Verheißungen, die an die einzelnen Forderungen angeknüpft waren: „denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen”, „auf daß dirs wohl gehe” und so weiter - all das hat er beseitigt; denn nicht aus Furcht vor den Folgen oder um Lohn soll ein Christ dieser heiligen Lebensordnung gehorsam werden, sondern immer nur aus dem einen Grunde: weil wir G o t t über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen; s o fürchten und lieben, daß es uns innerlich unmöglich wird, bei Seinem Namen zu fluchen, die Predigt und Sein Wort zu verachten, Eltern und Herren zu erzürnen, unsern Nächsten um sein Leben, um den Frieden seiner Ehe, um sein Hab und Gut oder um seine Ehre zu bringen. Man hat das seither oft verkannt, hat die Zehn Gebote des Kleinen Katechismus Luthers mit den Geboten Moses gleichgesetzt, und daraus ist mancher Schade erwachsen. Am übelsten hat sich die Verkennung der Absichten Luthers ausgewirkt beim dritten Gebot. Bei Luther heißt es: Was ist das? Antwort: Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir die Predigt und Sein Wort nicht verachten, sondern dieselbig heilig halten, gern hören und lernen. Die Sorge, welcher Tag nun als Ruhetag, und wie oft ein solcher Ruhetag gehalten werden solle, das hat Luther dem bürgerlichen Gemeinwesen überlassen. Was Luther ablehnt, ist, die Arbeitsruhe als solche zum Inhalt des dritten Gebots zu machen. Die vor ihm übliche Fassung des Gebots, „Du sollst den heilig Tag feiern”, d. h. mit Arbeitsruhe begehen, hat er umgedreht und statt dessen die H e i l i g u n g der freien Stunden, die uns jeder Ruhetag gewährt, zum Gebot erhoben. Nebenbei wollen wir zwei Gedanken nicht übersehen, die ihn und seine Gehilfen in der Frage des dritten Gebots bewegt haben. In seinem Liede „Dies sind die heiligen zehn Gebot” hat Luther auch die alte mystische, auf Augustin zurückgehende Auslegung des dritten Gebots noch festgehalten: daß es nämlich für unser ganzes Leben bedeute, „daß wir allein Gott in uns wirken lassen und wir nichts Eignes wirken” sollen: „Du solt von Deim Tun lassen ab / daß Gott Sein Werk in dir hab”. Ferner begegnet uns in den lateinischen Übersetzungen des Katechismus die Auffassung, daß wir am Feiertag Gottes Wort nicht nur hören, sondern auch andre lehren sollen. Das ist ja sachlich richtig, beruht aber auf der Verwechslung von „lehren” und „lernen”. Das Ergebnis unserer Prüfung des Katechismus ist: wir dürfen bei Luther keine eigentliche Lehre vom Sonntag in seiner Besonderheit als Tag der Auferstehung des Herrn erwarten; über den Ursprung des Sonntags fehlte Luther zuverlässige Nachricht; darum gibt er nur Weisung darüber, wie man sich an beliebigen Ruhetagen verhalten soll, wenn sie nun einmal bestehen. Alle diejenigen haben den Kleinen Katechismus mißbraucht, die je und dann darauf die alte falsche Lehre gründen wollten, der Sabbath sei auf die Christenheit übernommen und nur einen Tag später zu begehen. Wenn wir heute erkennen, daß der Sonntag ursprünglich und seinem Wesen nach der Tag ist, an dem man dem auferstandenen Herrn als an Seinem Tage in der christlichen Gemeinde huldigt, dann ist das dritte Gebot des Katechismus damit nicht wertlos geworden. Die allgemeine Mahnung zum rechten Gebrauch aller Ruhetage dürfen wir uns ruhig zu Herzen nehmen - und daneben die altchristliche Losung, jede Woche zu beginnen im Gedächtnis der Auferstehung Christi! Die uns von der Volksordnung geschenkte Arbeitsunterbrechung dürfen wir nutzen zur Versenkung in die Botschaft des Evangeliums, zur Begehung der großen Taten Gottes am Altar der Kirche wie im häuslichen Kreise und in Gottes freier Natur, daß unsere ganze Arbeitswoche gestellt sei unter die Predigt von der Erneuerung des Lebens durch Kreuz und Auferstehung des Herrn. Das richtige Lernen fällt mir gar nicht leicht, ich gehe immer wieder neu daran, und besonders beim Betrachten des Katechismus oder der Messe komme ich mir immer wieder ganz im allerersten Anfang vor. Mir ist dies alles ganz selbstverständlich, und ich wäre nie darauf gekommen, darüber zu sprechen. Aber im Zusammenhang mit dem gestern Gesagten und Gehörten scheint dies nicht mir alleine zu gehören. Es werden ja viele neben mir einen gleich weiten Weg zur Kirche gegangen sein und ebenso hart vor der Notwendigkeit stehen, vieles nachzuholen. Vielleicht hat mich im Anfang eine gewisse Unruhe in diese Richtung getrieben, aber mir ist aus dieser ganz schlicht getanen Arbeit inzwischen eine gewisse und große Freudigkeit zu den Dingen zugewachsen und das Gefühl, nun wirklich „zuhause” zu sein. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 70-74 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-01-22 |