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von Wilhelm Thomas |
Als in der Zeit der Merowinger das Leben des fränkischen Stammes vom Christentum durchdrungen wurde, war von Anfang an der Sonntag die wichtigste Stütze der kirchlichen Lebensordnung. Wie begründete man seine Begehung, von der doch in der Bibel kein ausdrückliches Gebot sprach? Nicht auf dem Sabbathgebot des Alten Testaments fußte man - die Gelehrten sagten sehr bestimmt, daß dies Gebot für uns nicht mehr gelte -, sondern einhellig sprechen es die Zeugnisse jener Zeit aus: der Sonntag wird begangen „zur Ehre der Auferstehung des Herrn”. Man wußte: Ostern ist das Wunder aller Wunder. Davor stille werden ist die Voraussetzung alles kirchlichen Lebens. Darum muß in jeder Woche der Auferstehungstag des Herrn mit Arbeitsruhe und Gottesdienst begangen werden. Jahrhunderte christlichen Lebens gingen für das deutsche Volk dahin. Es kam Martin Luther. Ungezählte kirchliche Bräuche mußte er auf ihre Gültigkeit vor Gottes Wort prüfen. So fragte er auch, warum eigentlich der Sonntag gefeiert werde. Er fand keine eindeutige Antwort vor. Nur aus Andeutungen, die zu ihm gedrungen waren, schöpfte er die Vermutung, daß es vielleicht um der Auferstehung Christi willen sein möchte, daß die Apostel diesen Tag ausgesondert hätten. Aber zu einem bestimmten Urteil konnte er nicht gelangen. Die abendländische Christenheit hatte in den Jahrhunderten des Mittelalters das Wissen um Sinn und Ursache der Sonntagsfeier verloren. Und weil man den wahren Grund der Sonntagsfeier aus den Augen verloren hatte, darum hatte man neue Begründungen dafür gesucht und gefunden. Man hatte sich ausgedacht, Gott habe der Kirche die Vollmacht gegeben, den Sabbath um einen Tag zu verschieben! Da die Kirche sich aber über diese Vollmacht nicht ausweisen konnte, hieß es zuerst, Christus habe einen Brief vom Himmel fallen lassen, der die Arbeit am Sonntag unter schwere Strafen stellte. Dieser „Himmelsbrief” ist zwar von einem wahrheitsliebenden Bischof bald als frommer Betrug entlarvt worden, aber bis in unsre Tage ist er heimlich weiterverbreitet worden, zuletzt als Talisman gegen Kriegsverwundungen. Andern war das eine Osterwunder zu wenig, und sie behaupteten von einer ganzen Kette von ähnlichen Ereignissen, daß sie alle am Sonntag geschehen seien und ihm die Weihe gäben. Damit verschleierten sie nun vollends den wahren Grund der Sonntagsfeier. Wie ist es in Wirklichkeit zugegangen? Am ersten Tag der Woche ist Jesus Christus von den Toten auferstanden und seinen Jüngern erschienen. Am ersten Tag der darauf folgenden Woche hat er sein Erscheinen wiederholt, am ersten Tag der siebenten Woche den Geist herabgesandt auf die Jünger - alles am ersten Tag der Woche, dem Gegenbild jenes ersten Tages der ersten Weltenwoche, da das Schöpfungswerk des Vaters begann mit dem göttlichen „Es werde Licht!”. Damit, daß wir uns diese Ereignisse vergegenwärtigen, ist Sinn und Inhalt des christlichen Sonntags klar und erschöpfend umrissen: die Kirche Christi huldigt ihrem erhöhten Herrn am Tage seines Sieges, dessen Gedächtnis er ihr selbst in jener wunderbaren Zeit ihres ersten Ursprungs unvergeßlich eingeprägt hat. Dreihundert Jahre nach Luther wurde für die berufstätigen Menschen in Deutschland eine Frage brennend, die Luther zurückgestellt hatte: ob die zu dem überlieferten Sonntag gehörige Arbeitsruhe etwas sei, auf das jeder Mensch einen Anspruch hätte. Das neunzehnte Jahrhundert war besessen von einer Religion der Arbeit, die Tausenden diesen Ruhetag zu nehmen drohte. Der Staatsmann des Jahrhunderts, Bismarck, überlegte, ob er ihnen den wöchentlichen Ruhetag oder den täglichen Feierabend sichern solle - eines von beiden schien genügend und auch nur allein tragbar. Im preußischen Landtag und im Reichstag stammelte der Vertreter der überkommenen Kirchlichkeit unbeholfene Worte zur Verteidigung des Sonntags als göttlicher Ordnung. Konnte das aufkommen gegen die wirtschaftlichen Forderungen der Zeit? Der Sonntag schien verloren. Da erzwangen die gewerkschaftlichen Vereinigungen, nicht zum wenigsten der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband, die gesetzliche Sonntagsruhe. Nicht um der Ehre Christi und seiner Auferstehung willen. Sie dachten an die Wohltat, die ihnen die Arbeitspause an Leib und Seele bringen sollte. Den Feierabend haben sie sich im zwanzigsten Jahrhundert dann noch dazugeholt. Und so ist der Sonntag das geworden, was er ist - nicht mehr um der Ehre Gottes, um der Auferstehung Christi willen, sondern - darin dem jüdischen Sabbath vergleichbar - um des Menschen willen. Und wir? Glauben wir, wir könnten uns damit abfinden und zufrieden geben? Glauben wir, wir könnten einen christlichen Sonntag in unserm Volk aufrecht erhalten, ohne ihm seine eigentliche und ursprüngliche Begründung wiederzugeben, ohne die Quelle zu erschließen, aus der er geflossen ist? Gewiß, zwischen den biblischen Zeiten und der christlichen Geschichte unseres Volkes liegt gerade auch in der Geschichte des Sonntags eine folgenschwere Stunde: die Stiftung des staatlichen Ruhetags durch Kaiser Konstantin, der ihm zugleich als erster den Namen „Sonntag” gab. Zur Ehre Christi, der wahren Sonne, wurde dieser öffentliche Ruhetag geschaffen. Aber der „Tag des Herrn” hat damit etwas von den heiligen Tagen der Heiden und Juden angenommen: er ist nicht mehr nur Evangelium, froh genutzte Erlaubnis und Gelegenheit zur Huldigung vor dem dreieinigen Gott, sondern zugleich Gesetz, Zwangsvorschrift auch für den, der Gott nicht die Ehre geben will. Aber dies zusätzliche Gepräge einer staatlichen Ordnung ändert für uns nichts daran, daß der Sonntag im Kern seines Wesens der christliche Auferstehungstag ist. Darum: soll es weiter unter Christen den Sonntag geben, soll er geheilt werden von manchen Schäden, die ihm heute - auch in der christlichen Gemeinde und in den Christenhäusern - anhaften, dann heißt es die verschüttete Quelle wieder zum Fließen bringen, aus der der Sonntag entsprungen ist, aus der auch heute wahre Sonntagsfreude, heiliger Sonntagsfriede, alle wahre Heiligung des Sonntags fließt: dann müssen Jahr und Woche wieder von Ostern her bestimmt werden, von der Auferstehung des Herrn. Ihm zu Ehren, der „am dritten Tage auferstanden ist von den Toten”, daß auch wir „in einem neuen Leben wandeln”. Damit ist deutlich, daß die Sonntagsfrage mit der entscheidenden Kirchenfrage zusammenhängt. Die Predigt der christlichen Kirche kann man in einem einzigen Satze zusammenfassen: „Jesum von Nazareth, von Gott unter euch mit Taten und Wundern und Zeichen erwiesen, den ihr erwürget habt, - den hat Gott auferweckt” (Apg. 2, 22 ff.). Oder wie es ein andermal heißt: Gott will die Welt richten durch einen Mann, den er auferweckt hat von den Toten (Apg. 17, 31). Am Auferstehungsglauben hängt das ganze Daseinsrecht der Kirche, hängt auch das Daseinsrecht des Sonntags in der Kirche: „Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube eitel”. Dann ist auch euer Sonntag eitel. Wundert es uns nun noch, daß der christliche Sonntag krankt, daß er so selten zu finden und so schwer aufrecht zu erhalten ist? Wundert es uns noch, daß die Kirche krankt und so viele Christen schlafen, statt Weckrufer der Welt zu sein? Der Glaube an die Auferstehung Christi ist der Christenheit schwer geworden, und sie hat oft nicht einmal gemerkt, was damit auf dem Spiel steht, sie hat nicht einmal lebendig um den vollen Osterglauben gerungen und gekämpft. Die Welt sagt mit Goethes Faust am Ostermorgen: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. In Wirklichkeit - wenn sie die Botschaft hörte, sie könnte gar nicht anders als ihr Glauben schenken. Aber daran liegt es: sie hört sie gar nicht richtig. Wo kann man die Osterbotschaft hören, so hören, daß sie zu Herzen geht und uns überzeugt und überwindet; daß es Sonntag und Ostern wird in unserm Herzen und in unsrer Kirche? Die Menschen versuchen es immer wieder - bildlich wieder nach Goethe gesprochen - mit dem Osterspaziergang. Vom Eise befreit sind Strom und BächeUnd nicht wahr - schon die christlichen Sänger des Mittelalters werden nicht müde, davon zu künden, wie die Osterbotschaft wiederklingt aus Wald und Flur, aus Baum und Strauch. Die ganze Welt, Herr Jesu Christ / zu Deiner Urständ fröhlich ist:Ja, es liegt ein gewaltiges Zeugnis von Gottes Güte in jedem Frühling, der uns von Winters Kälte und Trägheit befreit. Aber die Osterbotschaft selbst ist etwas anderes. Jedem Frühling folgt ein Herbst, der alles wieder rückgängig macht, was der Frühling gebracht hat. Auferstehung - das Wort redet ja von einem Beginn, der nicht wieder in den Kreislauf zurückführt, sondern in die Ewigkeit ausmündet. Hast du freilich den Osterglauben erst einmal g e w o n n e n , dann hörst du auch durch den vergänglichen Frühlingsjubel der Natur, durch die Schönheit der sonnenbeglänzten Welt in Wald und Flur etwas hindurch von der Huldigung vor Christus, dem König Himmels und der Erden. Aber geben - geben kann dir diese irdische Sonne den Sonntag und das wahre Ostern nicht. Aber nun versuch es einmal mit dem Lied und Sang unsrer christlichen Vorfahren, mit dem Osterlied aller Jahrhunderte unseres deutschen Volkslebens. Hör solch einen Lobgesang wie das „Christ ist erstanden von der Marter alle”, das zu den ältesten Kirchengesängen unseres Volkes gehört, hör den stolzen, demütigen Jubel des „Christ lag in Todes Banden / für unser Sünd gegeben”, sieben Silben in sieben Zeilen in sieben Gesätzen. Schlag sie einmal auf, alle diese Lieder: „Also heilig ist der Tag”, „Erstanden ist der heilig Christ”, „Erschienen ist der herrlich Tag”, „Heut triumphieret Gottes Sohn”, „Mit Freuden zart zu dieser Fahrt”, „Jesus lebt, mit ihm auch ich” - und dann versuche, ob du nicht mitsingen und mitsprechen kannst: „Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit”. Wenn du irgend ein Gespür dafür hast, was jene Menschen erlebt haben müssen, die diese Lieder schufen und als erste sangen, dann mag dich wohl etwas anwehen von dem Pfingstgeist, der ein Geist des Zeugnisses von Ostern ist vor allem andern. Ja, ein einziges Halleluja, wie seit den Tagen der Erstehung unseres Volkes aus den dem Christentum erschlossenen germanischen Volksstämmen Jahr für Jahr zu Ostern erklingt, - ein einziger solcher Osterjubel sagt es uns: Hier im Hören der Osterbotschaft hat unser Volk die höchsten, heiligsten und tiefsten Erfahrungen gemacht, die weit hinausführen über alle irdischen Bereiche. Hier dürfen Menschen bezeugen, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist, daß sie beschenkt sind mit einer lebendigen Hoffnung ewigen Lebens - durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Und nun dringe noch einen Schritt tiefer und schlage das Neue Testament auf, lies, was Paulus und die anderen Briefschreiber dort sagen von der großen Wende im Geschick der Menschheit und von dem hohen Ziel alles Erdenwanderns, und wie sie hinweisen auf jenes Geschehen, das auf Gethsemane und Golgatha folgte, von dem die Evangelisten - nicht eigentlich zu berichten wagen und doch Kunde tun: wie es den Frauen und Petrus am Grabe, wie es den Jüngern hinter verschlossenen Türen ergangen ist. wir nennen dies eigentliche Osterevangelium zuletzt, denn man darf wahrlich nicht damit anfangen. Sonst findet man nur einen Bericht davon, daß Jesu Grab plötzlich leer gewesen sei, und daß erschreckte Menschen Gesichte gehabt hätten. Da muß man zuerst gelesen und erfaßt haben, was St. Paulus schreibt im ersten Brief an die Korinther, und daß Auferstehung ganz etwas anderes sei als keimende Saat im Frühling oder irgend welche andere irdischen Vergleiche. Den Tag des Herrn lasset uns, liebe Brüder, mit heiligem Dienst begehen.Sollten wir es nicht halten, wie es einst alle Christen taten im Osten und im Westen: daß wir an jedem Sonntag uns neu die Auferstehungsbotschaft aus dem Neuen Testament verkündigen lassen? und Gott dafür ein Loblied singen - vielleicht gar das alte „Herr Gott, Dich loben wir”, das einst diesem Zweck gedient hat; Ja, und wenn zum Osterfest als dem Ursprung aller christlichen Feste Wort und Sakrament notwendig gehören, Predigt und Taufe und Mahl des Herrn - sollte dies alles nicht Sonntag für Sonntag Platz haben im Leben der gottesdienstlichen Gemeinde; Vom Gebet des Herrn ganz zu schweigen, das mit bewußter Absicht von Anfang an am Sonntag stehend im frohenWissen der Gotteskindschaft gebetet wurde am Tisch des Herrn. Der aber als des Herrn Bote vor uns steht am Altar Gottes, der soll uns grüßen mit dem Gruß des Herrn, der Sonntagsfreude und Sonntagsfrieden besiegelt: Friede sei mit euch! Halleluja. Amen. Es ist mir ganz klar: das, was wir und mit uns Unzählige in gleicher Gesetzlichkeit „gefeiert” haben, das war kein Sonntag. Und es ist kein Wunder, daß dagegen eine Reaktion eintrat, der wir selber zum Opfer gefallen sind. Unser Großer fragte neulich die Großmutter vorwurfsvoll: „Großmutter, warum strickst Du am Sonntag; Das ist kein Sonntagsgeschäft.” „Am Werktag tut man, was man muß; am Sonntag tut man, was man will.” Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 62-70 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-01-22 |