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Der Weg zum Sonntag
von Walter Uhsadel

LeerDer Weg zum Sonntag ist ein Gleichnis des Weges, den  a l l e s  G e s c h a f f e n e  geht. Er kommt vom Sonntag her und führt zu ihm hin. So kommt alles „Fleisch”, das heißt alles Geschaffene, von Gott her und geht der „Auferstehung des Fleisches” entgegen. Die Siebenzahl der Wochentage weist auf diese Bedeutung des Weges durch die Woche hin; denn die Siebenzahl bezeichnet die Grundordnung der von Gott geschaffenen und regierten Welt. Es ist gewiß kein Zufall, daß gerade das erste und das letzte Buch der Heiligen Schrift uns auf diesen Sinn der Sieben hinweisen.

LeerDer Sonntag ist der „Tag des Herrn”. In seinem französischen Namen, „dimanche” vom lateinischen „Dies Dominica”, kommt das noch zum Ausdruck. Aber auch die deutsche Bezeichnung des Tages als „Sonntag” ist aufschlußreich, wenn wir sie biblisch verstehen; sie meint nicht eine Verehrung der Sonne, sondern erinnert daran, daß Gott, der Herr, Sonne und Schild ist (Psalm 64, 12) und das Antlitz des Weltenrichters wie die Sonne leuchtet (Offb. Joh.1, 16).

LeerDem großen Sonntag des Weltenschöpfers und -richters geht alles Geschaffene entgegen, wie es aus seinem Geheimnis am Anfang hervorging. „Die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen” (Jes. 40, 5).

LeerInnerhalb der großen Rückkehr alles Geschaffenen zum Schöpfer nimmt  d e r  M e n s c h  eine besondere Stellung ein. Für ihn allein unter allen Geschöpfen besteht ein persönliches Verhältnis zu Gott. Darum ist es für ihn die Frage, ob die letzte unausweichliche Begegnung mit Gott für ihn den Sinn einer seligen Heimkehr hat, oder ob er dahinfährt wie ein Vieh (Psalm 49, 21). Es steht schlimm um den Menschen, wenn er sich in dem Ende aller Dinge nicht anders sieht als Blume, Gras und Vieh. Die Heilige Schrift ruft ihn auf, als ein Gott Lobender dem letzten Ziele entgegenzugehen, und lehrt ihn, das Seufzen der Kreatur zu vernehmen, die auf das Offenbarwerden seiner Gotteskindschaft harrt und an seinem Lobpreis teilhaben soll, ehe sie verendet.

LeerSo ist denn der Weg zum Sonntag auch ein Gleichnis des menschlichen Lebens: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes” (Ebr. 4, 9). Der Mensch verendet nicht. Er geht heim. Von keinem Tier und keiner Blume sprechen wir so. Aber auf solche Heimkehr in die Ruhe muß der Mensch sich bereiten. Er kann nicht annehmen, daß er sie findet, wenn er in sie hineinstrauchelt. Darum steht am Ende seiner Werktage, in denen er berufen war, im Gehorsam gegen den, der ihn ins Leben gesandt hat, zu wirken und zu schaffen, der Ruhetag. Es ist der Tag, an dem er sein Herz an die Ewigkeit gewöhnen soll.

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LeerWie aber sollte er das vermögen, wenn er nicht vom Sonntag herkäme? Hier zeigt sich uns der Sinn des christlichen Verständnisses des Sonntages als des  B e g i n n e s  der Woche. Der Sonntag, der Tag, an dem Gott ruht von allen Seinen Werken, ist auch nach der Schöpfungsgeschichte der erste Tag, dessen Anbruch der Mensch erlebt. Im Frieden beginnt sein Weg. Aus dem umfriedeten Bereiche, dem Garten Gottes, wächst sein Leben hervor.

LeerDas Heimatrecht in diesem Frieden hat er zwar verloren. Durch viele Tage ohne Gott hat er sich mühsam genug geschleppt, immer die Frage nach einem Tag des Friedens im Herzen bewegend. Edles Streben und klägliches Versagen bezeichnen seinen Weg. Er führt an den Fuß des Kreuzes - und darüber hinaus. Das wird uns in einem betrachtenden Gang durch die Wochentage sichtbar.

LeerZwei Linien gehen durch die Wochentage. Ist der Montag der Tag der Vertreibung aus dem Paradiese, so bringt der Dienstag bösen Haß und Streit, der Mittwoch macht den Zerfall menschlicher Gemeinschaft offenkundig, wie er in der Karwoche den Tag des „bösen Rates”, in dem die Gefangennahme Jesu beschlossen wird, bezeichnet, der Donnerstag wird zum Tage des Verrates und der Freitag führt zu bitterer, aber gottloser Reue und Selbstvernichtung, der Sonnabend ist das düstere Ende - und der Sonntag bleibt öde und trostlos. Ist dagegen der Montag erfüllt von der freudigen Bereitschaft, sich von Gott in das irdische Werk senden zu lassen, dann ist der Dienstag angesichts der Widerstände und Versuchungen der Welt von geistlich-ritterlichem Kampf bestimmt, am Mittwoch weiß man für menschliche Gemeinschaft unter Gott zu danken und sie auch zu bejahen, wo sie zu tragen gibt, am Donnerstag richtet sich der Sinn auf das Heilige Mahl und die Fußwaschung als Unterpfand einer neuen Lebensordnung, am Freitag stehen Leid und Schuld unter dem vergebenden Worte des Erlösers, der Sonnabend wird zum Tage der demütigen und gläubigen Einkehr - und der Sonntag ist freudige Heimkehr in den Reichtum der Gnade, die uns das Geleit gab. Das Ende wird zum Neubeginn aus der Kraft der Auferstehung des Herrn.

LeerMan kann also von der besonderen Bedeutung der „Auferstehung des Fleisches” für den Menschen nicht reden, ohne von der  K r a f t  der Auferstehung Christi bis ins Alltagsleben hinein etwas erfahren zu haben. Darum geht das Evangelium des Sonntages in den Lesungen der Heiligen Schrift in vielfältiger Abwandlung, die jeweils dem Sinn des einzelnen Wochentages entspricht, mit uns durch die Woche und lehrt uns, die Botschaft des Sonntages in unser alltägliches Leben hineinzunehmen.

LeerUnd nicht nur das! Sondern so, wie das Leben ein kleines Abbild des Weltlaufes und die Woche ein Gleichnis des Lebenslaufes ist, findet die Woche ihr Abbild im Tageslauf. Lesung und Gebet richten unsere Gedanken des Morgens auf den Weltenanbruch und Lebensanfang, auf die Sendung in die Welt, und des Abends auf das Ende hin. So ist der Weg vom Sonntag her zum Sonntag hin eine Übung, Übung im Glauben und Leben. Je nachdem, wie wir den hinter uns liegenden Sonntag verlassen haben, wird sich unser Leben in der Woche gestalten und werden wir den kommenden Sonntag empfangen.

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LeerDies alles ist so selbstverständlich, daß es kaum nötig sein sollte, davon zu sprechen. Es tritt darin eine innere Gesetzmäßigkeit des Lebens zutage, die jeder kennt. Dennoch erfahren wir täglich, wie hilflos die Menschen dem Sonntag gegenüber sind. Daß er etwas anderes als eine soziale Einrichtung ist, wird kaum noch beachtet, und ihn bewußt so zu gestalten, daß er sich im Verhältnis zu den Werktagen als hilfreich erweist, ist den meisten nicht einmal mehr im Sinne einer leiblichen Erholung möglich. Hin und wieder aber erinnert sich jemand in einer inneren Not, daß der Sonntag durch den Gottesdienst aus der Reihe der Tage herausgehoben ist, und fragt, ob es ihm helfen würde, wenn er wieder einmal zur Kirche ginge. Man wird ihn warnen müssen; denn es ist immer schädlich, wenn jemand sich viel von der erneuten Beschäftigung mit einer Sache verspricht, die er lange vernachlässigt hat. Er muß zunächst eine Enttäuschung erleben. Nur in geduldiger und beharrlicher Ausübung kann auch das Herzstück des Sonntages, der Gottesdienst, uns seine helfenden Kräfte mitteilen.

LeerEin anderer meint, er müsse seinem Bedürfnis folgen und es sei nichts wert, wenn er den Sonntag als den Tag des Herrn begehe, ohne daß sein Inneres ihn dazu treibe. Das klingt einleuchtend und ist doch falsch. Leben wir etwa, weil wir das Bedürfnis haben? Und müssen wir nicht im täglichen Leben viele Dinge tun, zu denen uns kein Bedürfnis treibt? Würden wir es anerkennen, wenn jemand sagte, daß wir in solchen Fällen nichts Wertvolles zustande brächten und vor allem unehrlich seien? Ob wir ehrlich und fördernd an einer Sache beteiligt sind, hängt nicht von unserem Bedürfnis, sondern davon ab, ob wir fähig sind, sachlich und verantwortlich zu sein. Es ist eine sorgenvolle Frage, ob der heutige Mensch, der ins Sentimentale und in eine brutale Ichhaftigkeit entgleist ist, den Weg dazu zurückfinden wird. Das Wiederfinden des Weges zum Sonntag wird die Probe darauf sein. Denn wenn der Mensch es wieder lernt, Gott - sachlich und verantwortlich - zu begegnen, und erkennt, daß diese Begegnung nicht von seinem Bedürfnis abhängig sein kann und darf, ist alles gewonnen.

LeerEin dritter schließlich sagt, er wolle gern den Sonntag so begehen, wie es recht wäre, aber ihm fehle die Zeit dazu. Warum hat er sie nicht; Es ist nicht einzusehen, warum er von 168 Stunden in der Woche, selbst wenn wir die Zeit des Schlafes abrechnen, nicht eine oder zwei für den Gottesdienst sollte erübrigen können oder im Laufe des Tages ein paar Minuten dem Gebet zu widmen vermöchte. Er kann es nicht, weil er seine Zeit nicht als anvertrautes Gut verwaltet und in Ordnung hält. Darum könnte der Zugang zum Sonntag für einen Menschen, der ihn verloren hat, darin bestehen, daß er zunächst beginnt, jeden Morgen und Abend für eine kleine Weile die Stille vor Gott zu suchen. Er wird dann bald merken, wie hilflos er in dieser Stille ist, und der Weg zum sonntäglichen Gottesdienst wird ihm je länger je mehr zu einer Notwendigkeit werden, weil er dort die Hilfe findet, freudig in die Stille vor Gott einzukehren. Die stillen Minuten des Alltags wiederum werden ihn innerlich auf den rechten Weg zum Sonntag führen.

LeerDer Weg zum Sonntag ist ein Pfad geistlicher Übung, und das heißt Übung im Leben, nicht nur Leben schlechthin, wie es alle Geschöpfe verbringen, sondern in jenem Leben unter Gott, das unter der Gnadensonne Christi erwacht: Übung in dem Leben, das von der Taufe bis zum letzten Empfang der Speise des ewigen Lebens und zum Entschlafen im Glauben reicht.

Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 46-49
© Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951)

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-12-04
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