|
von Walter Lotz |
Auch in kirchlichen Kreisen ist die Meinung immer noch gang und gäbe, daß die Woche mit dem Montag anfange und mit dem Sonntag schließe. Man empfindet den Sonntag als den verordneten und gesetzlich geschützten Ruhetag am Ende der Woche, und man glaubt ihn recht zu feiern, wenn man von der Arbeit ruht. Ja, man bezeichnet vielfach ganz allgemein jeden Tag, an dem nicht gearbeitet wird, als Sonntag, auch wenn er gar nicht auf einen Sonntag fällt, wie etwa der Karfreitag oder der Bußtag. Zu dieser mißbräuchlichen Verwendung des Sonntagnamens konnte es nur kommen, weil das Wesentliche des christlichen Sonntags, das diesen Tag von allen anderen Feiertagen und Ruhetagen unterscheidet, aus dem allgemeinen Bewußtsein entschwunden war. Lediglich dies eine Merkmal blieb mit dem Begriff des Sonntags verknüpft: die verordnete Ruhe. Dies eine aber war dem Sonntag ursprünglich ganz fremd und trifft jedenfalls nicht sein eigentliches Wesen, sondern ist viel eher geeignet, das Wesen des jüdischen Sabbath zu bezeichnen. Wie kam es zu dieser Verkümmerung und Überfremdung des christlichen Sonntags? Die ersten Christen haben sicher den Sonntag nicht durch Arbeitsruhe gefeiert. Sie lebten in einer Umgebung, in der entweder der jüdische Sabbath oder die nach dem Kalender festgesetzten römischen Feiertage als Ruhetage galten, und sie haben sich dieser allgemeinen Ordnung eingefügt. Trotzdem war ihnen der erste Tag der Woche, an dem sie mit den anderen arbeiten mußten, der festlichste Tag. Es war ja der Tag des Herrn, der Gedächtnistag Seiner sieghaften Auferstehung. An diesem Tage versammelten sie sich in der Morgenfrühe und am Abend, um das Gedächtnis ihrer Erlösung zu begehen, die Gegenwart des Herrn im heiligen Sakrament zu erfahren und sich Seiner gnadenreichen Zukunft zu freuen. Der Ostertag war ihnen der Tag der Weltenwende. „Wär Er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen.” Seine Auferstehung hatte dieser alten vergehenden Welt eine neue Hoffnung eingestiftet. Eine neue Schöpfung hatte mit diesem Tage begonnen. Darum begingen sie den österlichen ersten Tag der Woche immer wieder mit Freude und Lobpreis. Wenn sie ihn Sonntag nannten, so meinten sie damit Christus, die Sonne der neuen Welt, der immer neu Sein Schöpfungswerk an ihnen begann und zu ihrer Seele sprach: Es werde Licht! Der festliche Glanz dieses Tages strahlte über alle anderen Arbeitstage der Woche, und auch die Feier- und Ruhetage der Umwelt mußten davor verblassen. Immer mehr wurde die Sonntagsfeier zu einem wesentlichen Glied christlicher Lebensgestaltung, und durch alle Verfolgungen hindurch behielt dieser Tag für die Christen den Charakter einer sieghaften Feier der Auferstehung. Freilich wurde dabei nicht der alte Wortlaut gebraucht. Die christliche Gemeinde fühlte sich an diesen Wortlaut nicht gebunden. Christus hatte ihr ein neues Gebot gegeben, das Gebot der Liebe, in dem alle andern Gebote zusammengefaßt waren. Von diesem Grundgesetz aus erfuhren die alten zehn Gebote ihre christliche Auslegung, wie dies später vor allem in den unübertrefflichen Erklärungen Luthers zutage tritt. Luther übernahm den Wortlaut des dritten Gebots in der bis dahin gebräuchlichen christlichen Form: Du sollst den Feiertag heiligen. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß dieser Feiertag nicht der Sabbath, sondern der Sonntag war, und es klingt auch durch Luthers Erklärung noch hindurch, daß unter der Heiligung des Sonntags nicht das Tragen einer schweren Bürde auferlegter Verbote verstanden wurde, sondern ein gern und freudig erfüllter heiliger Dienst vor Gott. Die Arbeitsruhe war diesem Dienst helfend untergeordnet. Erst später ging man dazu über, den alttestamentlichen Wortlaut des Sabbathgebots in einigen Teilen der Christenheit einzuführen. Dies geschah vor allem in der reformierten Kirche und wirkte sich besonders in England und Schottland aus. „Du sollst kein Werk tun”, das wurde nun in aller Strenge und engster Gesetzlichkeit auf den christlichen Sonntag übertragen. Es entstand der puritanische Sonntag, der überschattet ist von einer Fülle von Verboten und viel mehr das Gepräge eines düsteren und langweiligen Ruhetages als das eines lichten Festtages trägt. Auch in Deutschland entwickelte sich der Sonntag in einigen Gebieten in ähnlicher Richtung. So etwa nahmen die hessischen Landgrafen das alttestamentliche Sabbathgebot als willkommene Grundlage für ihre einschneidenden Verordnungen, die dem Volk die Segnungen eines streng durchgeführten Ruhetages vermitteln sollten. Wicht nur alles Arbeiten, Handeln und Reisen an diesem Tage wurde untersagt, auch die fortgesetzte Mißachtung des Gottesdienstes, ja selbst das Stehen auf der Straße oder das Sitzen vor der Haustüre vor beendigtem Gottesdienst wurde mit polizeistrafen belegt. Vom altchristlichen Tag der Freude und des Lichts, der Auferstehung und der festlichen Eucharistie blieb nicht viel übrig und der Unterschied zum Sabbath der Synagoge war nicht mehr groß. Im Gegenteil: nach den Leistungen der Woche brauchen wir die Stille, in der wir uns lösen von dem, was vergangen ist, um Feierabend zu machen. Das ist der Sinn des Sonnabends. Und wir brauchen die Feier der Freude und Erquickung am Tisch des Herrn, die unsere müden und strauchelnden Knie aufrichtet und uns stärkt für die neue Woche, die vor uns liegt. Das ist der Sinn des sonntäglichen Gottesdienstes. Aber unser Sonntag darf nicht allein von dem bestimmt sein, was wir brauchen. Der heilige Dienst vor Gott, in dem wir uns im Gottesdienst üben, ist ja vielmehr etwas, was wir Gott darbringen als ein selbstverständliches Dankopfer, die freudige Antwort auf den heiligen Dienst, den Er uns in Seinem Erlösungswerk dargebracht hat. So wie wir uns leiblich und geistig sammeln und stärken im ruhigen, tiefen Atmen, so soll dies den Sonntag über alle andern Tage hinausheben, daß wir an ihm als dem Tag der Auferstehung mehr als an andern Tagen dazu kommen, in der Gegenwart Gottes zu atmen. Seine himmlischen Gaben zu empfangen und unser Lob- und Dankopfer ausströmen zu lassen. Wir wollen dankbar dafür fein, daß unsere Zeit uns hilft, den Sonntag wieder klarer vom Sabbath zu unterscheiden. Wir wollen aber auch daran denken, daß einmal der Tag kommen wird, an dem unser Sonntag und alle unsere Tage in den wahren ewigen „Sabbath” münden, an dem Gott das Werk der neuen Schöpfung vollendet und uns aus dem Wechsel von Arbeit und Feier heimholt zur ewigen Ruhe in Seinem Licht. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 42-45 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-12-04 |