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von Rose Matz |
Ich möchte Ihnen heute einen seelischen Vorgang schildern, der um seiner wirkenden Kraft willen vielleicht von allgemeiner Bedeutung ist. Der Ablauf der Zeit hat in meiner Vorstellungswelt eine ganz bestimmte Gestalt angenommen. Die Tage der Woche sind gleichsam aus meinem Bewußtsein herausgetreten. Sie bilden eine Kette, deren Anfang und Ende im Unendlichen verschwinden. Diese Kette läuft neben mir entlang, die einzelnen Lage sind ihre Glieder, die sich durch Lage und Belichtung voneinander unterscheiden. Ich möchte den schwingenden Rhythmus ihrer Bewegung mit dem der Weinreben vergleichen, wie sie in Oberitalien von Baum zu Baum in gleichmäßigem Auf und Nieder gezogen werden. Der Sonntag liegt hoch und ist strahlend hell. Der Montag beginnt fast in gleicher Höhe wie der Sonntag; er trägt noch das Licht des ersten Tages in sich, doch versinkt der Nachmittag schon in leichtem Dämmern. Der Morgen des Dienstags und Mittwochs beginnt tiefer, beide Tage sind dunkler als der Montag, wie umwölkt. Am Mittwochabend ist der Tiefpunkt der Kette zum ersten Mal erreicht. Nun will das Bild von der schwingenden Girlande nicht mehr passen, denn der Donnerstagmorgen beginnt so hoch wie der Montag, aber die zweite Hälfte der Woche ist im Schatten, der sich bis zum Sonnabend ständig verstärkt, über dem Samstagnachmittag liegt ein seltsamer Glanz, als scheine die Sonne untergehend durch dichtes Gewölk. Ich würde dieses Licht strahlenden Schatten nennen, wenn es so etwas überhaupt gäbe. Zwischen Sonnabend und Sonntag ist eine steile Wand. Hier versagt das Bild der Weinrebe zum zweiten Male; sie schwingt sich nicht empor, ist aber auch nicht abgerissen. Wie ein neuer Beginn liegt der Sonntagmorgen hoch im Licht, eine geheime Verbindung führt durch die Nacht in diese Höhe. Es hätte keinen Sinn, den Vorgang als solchen zu schildern, wenn nicht an ihm deutlich würde, welche Macht der Ablauf der Zeit über unser Leben gewonnen hat. Es ist, als seien die Tage, die scheinbar Geschöpfe des Menschen sind, selbständig geworden, hätten eigenes Leben gewonnen und wirkten nun mit geheimer Macht in das Leben des Menschen ein. Denn ihr Ablauf geschieht nicht nur äußerlich als schwingende Kette, sondern jeder Tag geht gleichsam in mich ein und verbindet sich unauflöslich mit meiner Seele. Hier durchflechten sich zwei Reihen, von denen die eine aus der Höhe, die andere aus der Tiefe stammt. Jeder Tag erhält sein Wesen durch Gedanken, Worte und Werke, die an ihm geschehen; dieses Geschehen ist in sie eingegangen und wirkt von da mit vernichtender oder erlösender Gewalt. Was Menschen gefehlt, verdunkelt die Tage und reißt die Woche immer wieder in die Schatten des Todes hinab. Aber über den menschlich geprägten Tagen läuft in lichter und unerschütterlicher Höhe die göttliche Reihe der Tage Christi. Und nun erhebt sich in dem engen Rahmen der menschlichen Zeit in überwältigender Größe das ewige Geschehen. Der Donnerstag birgt in seinem Grunde die heilige Speise von Brot und Wein. Über dem Freitag steht mit gebreiteten Armen das Kreuz. Am Samstag regt sich unter unfruchtbarem Stein ein neues Leben. In dem tiefen Anschauen des göttlichen Geschehens liegt die Erlösung von der unheimlichen Macht nur menschlich geprägter Tage. Und so gewaltig ist das Licht der Auferstehung, daß der Sonntag davon fast überflutet wird; ja, er übergießt noch den Montag mit diesem Licht und erleuchtet den Schatten des Sonnabends. Nach vorwärts und rückwärts dringen seine Strahlen, und auf ihn hin leben heißt, jeden einzelnen Tag durch Christus in seiner dämonischen Wirkung entkräften lassen; und von ihm her leben, heißt sein Licht hineintragen in die kommende Woche. Er ist die heilige Mitte und die weiße Stadt auf dem Berge. Wir aber sind hineingestellt in diese Spannung göttlichen und menschlichen Geschehens. An uns ist es, jeden einzelnen Tag in das Licht der Tage Christi zu rücken, bis er ganz davon durchdrungen ist. Dann werden selbst die Schatten wie auf Goldgrund stehen; das Absinken in der Mitte der Woche wird einem gleichmäßigen Rhythmus weichen. Keine schier unüberwindliche Wand wird mehr den Sonnabend vom Sonntag trennen, ein sanft steigender Hang wird zum Gipfel führen. Sind die Tage Geschöpfe eigenen Tuns, so sind sie mir heimliche und zerstörende Feinde. Die Tage Christi aber sind stille Freunde und ins Ewige wirkende Gestalter meines Wesens. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 40-42 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-12-04 |