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Ein Brief an den Herausgeber von Hugo Specht |
Als ich den Plan für Dein Sonntagsbuch in die Hände bekam, war mein erster Eindruck der, daß wir uns hier an eine Aufgabe wagen, die wir nicht zu lösen vermögen. Die ganze Not, die heute - und nicht erst heute - die Sonntagsfrage umschließt, legte sich mir aufs Herz, Was sollen hier Worte helfen, noch dazu gedruckte Worte, denen vielleicht gerade das fehlt, was man hier hören müßte, die zitternde Angst und Sorge um eine Menschheit, die mehr und mehr verlernt, was der Sonntag bedeutet, und die damit von einer Luft abgeschnitten wird, ohne die sie ersticken muß. Die Sorge um eine Menschheit, die sich hineinziehen läßt in eine Lebensordnung, die wesentlich von der Technik bestimmt wird, und die unter diesem Gesetz ihr eigentlich Menschliches verlieren muß. Aber die Gedanken waren durch Deinen Plan einmal, wieder einmal, der Sonntagsfrage zugewandt, und ich sah mich wieder dem ganzen Gestrüpp gegenüber, das uns den Weg zum Sonntag wie den Weg zu einem Paradies undurchdringlich zu versperren scheint. Was wirkt da nicht alles mit, um den Sonntag auszuhöhlen, ihn um seinen Segen zu bringen, die Wirtschaft, die Technik, die Politik, die Großstadt, das Auto, das Radio und vieles andere! Und doch: liegt wirklich in diesen Dingen der eigentliche Grund für die Sonntagsnot, die uns so sehr auf der Seele brennt? Liegt er nicht bei dem Menschen selber, und wiederholen wir nicht mit all jenen Hinweisen auf die angeblich Schuldigen einfach jene Ur-Ausrede des ersten Menschen, ebenso beschämend und jämmerlich wie sie: „Das Weib, das Du mir gegeben hast .. .”? Aber wenn ich nun auf den Menschen selber sehe, dann erscheint mir die Not erst recht erschreckend groß. Ein richtiger Teufelskreis offenbart sich da. Es wird mir deutlich, daß wir keinen Sonntag mehr haben, weil unser Werktag nicht mehr unter Gott steht, nicht mehr von Seinem Geist erfüllt ist und darum der tiefen Gottesordnung ermangelt, unter der der Werktag stehen müßte. Und wir sind in unserem Werktag aus der Ordnung gefallen, weil wir keinen Sonntag, keinen „Tag des Herrn” mehr haben, der dem Werktag die Richte gibt. Ja, ich sah diesen Teufelskreis geradezu vor mir, er tanzte wie ein giftig roter, leuchtender Kreis, nicht unähnlich denen, die wir bei manchen Lichtreklamen sehen, vor meinen Augen wie mit einem höhnisch triumphierenden Grinsen voller Übermut und Siegesgewißheit: Wer will diesen Kreis zersprengen, so daß hier Hilfe gebracht werden könnte? Es zeigt sich vielmehr, daß wir auch an ganz anderen Stellen in den Bann des gleichen Teufelskreises verstrickt sind. Wir empfinden nicht mehr den realen Ernst der Sünde, weil wir nicht mehr das unmittelbare Empfinden der heiligen Wirklichkeit Gottes haben: aber die Heiligkeit und Wirklichkeit Gottes ist den Menschen doch immer gerade an dem Erlebnis der eigenen Nichtigkeit, Kreatürlichkeit und Sündhaftigkeit aufgegangen. Oder: alle unsere liturgischen Bemühungen sind ein Stoß ins Leere, weil und soweit die Menschen nichts mehr wissen von der einsamen Zwiesprache mit Gott im persönlichen Gebet; und wir können nicht mehr richtig beten, weil uns die große Schule des Gebets fehlt, die betende Kirche. Wir können die Bibel nicht mehr richtig lesen, weil wir unter der Fülle des gedruckten Papiers das Lesen überhaupt verlernt haben; und wir konnten dem Fluch dieses oberflächlichen Lesens nur deshalb so rettungslos verfallen, weil wir im Unterschied zu den Vätern nicht mehr an der Bibel das rechte Lesen üben. Und so könnte man noch lange fortfahren. Soll man aber nun resignieren und dem Teufel das Feld überlassen, da wir nicht gleich einen Weg sehen und keine Möglichkeiten, den Kreis zu durchbrechen? Manchmal überkommt einen diese Verzagtheit, und ich muß gestehen, daß sie, als Du Deinen Plan mitteiltest, auch über mich gekommen ist, und es schien mir viel leichter, etwas zur „Hilfe im Alltag” beizutragen, als zum rechten Sonntag zu helfen. Aber ich weiß, daß Verzagtheit eine schlechte Parole ist. Und. es wurde mir klar, daß auch die Frage des rechten Sonntags eine G l a u b e n s f r a g e ist. Eine Frage also, bei der wir im Glauben mit einer anderen Dimension rechnen dürfen. Vielleicht können wir den Teufelskreis im Frontalangriff nicht durchbrechen; er muß und kann von oben her durchbrochen werden. Alles, was wir dazu sagen und tun können, muß unter diesem Vorbehalt gesagt und getan werden. Es ist vorbereitendes Tun; wir beziehen mit dem allem eine Bereitschaftsstellung, daß wir bereit sind durchzubrechen, wenn es Gott gefällt, an irgend einer Stelle den Kreis zu zerreißen. Aus dieser Einsicht wird uns der ganze Ernst der Sonntagsfrage deutlich. Nun sind wir nicht mehr so vermessen und oberflächlich, zu meinen, wir könnten mit allerlei schönen und wohlgemeinten Worten über die rechte Begehung des Sonntags entscheidend helfen. Ist all das Schöne, das über den Sonntag gesagt wird, mehr, als wehmütige Erinnerung an ein verlorenes Paradies, lebendig unb stärkend für Menschen, die - vielleicht aus ihrer Jugendzeit - noch etwas wissen vom rechten Sonntag? Gewiß, wir wollen nicht aufhören, dankbar zu bekennen, was uns der Sonntag gewesen ist und noch ist. Ich wünschte, daß die Mitarbeiter Deines Buches diese Erinnerungen beschwören könnten, vielleicht, daß in das Herz manches Lesers, der in der Unruhe der Zeit den Sinn für die stillen Dinge noch nicht verloren hat, ein Funke fällt und die Sehnsucht entzündet, die ihn auf den Weg treibt, das verlorene Paradies wieder zu suchen. Das wäre schon ein wichtiger Dienst, wenn auch, aufs Ganze gesehen, ein bescheidener Dienst. Denn die Sehnsucht ist immer erst der Anfang, und die Sehnsüchtigen sind eine kleine Zahl. Auch hinter der Sonntagsfrage steht diese Frage, und darum ist die Sonntagsfrage zutiefst eine Glaubensfrage. Wir Mitarbeiter müssen das sehen, und die Leser müssen sich klar sein darüber, daß sie nur dann Hilfe zum Sonntag empfangen können, wenn sie dieser Frage nicht ausweichen, sondern sie bejahen, und wäre es nur mit dem zitternden Ja: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!” Der Sonntag ist nicht ohne weiteres gegeben, wohl kalendergemäß als ein immer wiederkehrender leerer, freier Tag, dem wir aber erst Inhalt geben sollen, den wir erst zum Sonntag g e s t a l t e n sollen. Darin liegt wohl unsere Aufgabe, unsere Verantwortung, und doch wohl die Not des Sonntags. Wo wir Versagen spüren, sehen wir uns nach Hilfe um. Und das dringend, denn die Not ist ungeheuer. Denn daß wir die Hilfe zum rechten Sonntag finden, ist e n t s c h e i d e n d dafür, daß wir mit dem Alltag, also mit unserm Leben schlechthin, fertig werden. Das Gottesjahr 1951 (1942), S. 15-19 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1951) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-01-31 |