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von Walter Lotz |
Wenn das tägliche Bibellesen eine Hilfe für den Alltag sein soll, darf es nicht als eine besonders fromme Leistung aufgefaßt werden, die wir Gott schuldig sind oder durch die wir uns gar sein Wohlgefallen erwerben können. Nicht eine mühsame Anstrengung soll das Bibellesen sein, sondern eine Hilfe, die wir dankbar empfangen. Es kann freilich sein, daß ein Bibelleser die Hilfe oftmals nicht empfängt, die er erwartet; er bleibt leer und sein Bibellesen erscheint ihm als ein fruchtloses Bemühen. Das gilt vor allem von demjenigen, der nur gelegentlich einmal zur Bibel greift. Gottes Geist weht, wo Er will und Gottes Wort ist nicht gebunden. Niemand kann Gott zwingen zu reden, auch nicht durch das Lesen der Bibel. Aber meistens liegt es gar nicht daran, daß Gott schweigen will, sondern daran, daß sich der Mensch nicht recht bereitet, Sein Wort zu hören. Es gehören darum zwei Dinge zum rechten Bibellesen: Das Gebet um den Heiligen Geist, der uns das Wort der Schrift aufschließt und es zum wirkenden Wort Gottes für uns macht; und eine hilfreiche Ordnung, die uns bereitet für das Wirken des Geistes Gottes. Von dieser Ordnung soll hier die Rede sein. Regelmäßigkeit ist das erste, was von einer rechten Bibelleseordnung gefordert werden muß. Darum tägliches Bibellesen! Die Apostelgeschichte berichtet von der ersten Gemeinde: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre...” und von den Christen zu Beröa rühmt sie, daß sie täglich in der Schrift forschten. Es ist durchaus denkbar, daß in manchen Fällen aus dem „täglich” ein „sonntäglich” werden muß, aber wer jede Regelmäßigkeit aufgibt und nur je nach Zeit, Lust und Gelegenheit die Bibel zur Hand nimmt, wird meist nur sehr selten und am Ende überhaupt nicht mehr darin lesen. Es ist gewiß auch gut, wenn dafür ein besonderer Ort in der Wohnung bestimmt werden kann, ein Ort, an dem uns nicht die gehäufte Arbeitslast des Tages anblickt, eine stille Ecke, in der unsere Bibel liegt und in der vielleicht ein Kreuz oder Bild und brennende Lichter uns helfen zur Andacht. Wenn wir aus dem Geschwätz und der Vielfalt des Alltags kommen, ist es nötig, daß wir zunächst stille werden und uns zur Einfalt schicken. „Gott ist gegenwärtig, alles ins uns schweige, und sich innigst vor Ihm beuge!” Wenn wir die Bibel aufschlagen, müssen wir innerlich und äußerlich zur Ruhe kommen. Wir sammeln unsere Gedanken aus der Zerstreutheit und richten sie auf das Eine, das not tut, auf Gott, der gegenwärtig ist, mit uns zu reden. Wir müssen dabei Geduld haben und warten können, bis Gott redet. Wir müssen aber auch Mut haben und bereit sein, auf unser persönliches Leben anzuwenden, was da geschrieben steht. Eine besondere Hilfe liegt darin, daß wir die Lesung laut lesen, auch wenn wir allein sind. „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt.” (2. Tim. 5, 16. 17). Das sollen wir im Wort der Schrift suchen und davon erwarten: Lehre und Erkenntnis des Willen Gottes, Erkenntnis unserer selbst und unsrer Sünde im Spiegel seiner Gebote, Hilfe und Befreiung aus Not und Gebundenheit, Zucht und Ausrichtung, daß wir unserer ewigen Bestimmung näher kommen und Gottes heiligem Willen gerecht werden als Menschen Gottes, zu allem guten Werk geschickt. Es wird dabei ein Unterschied sein, ob wir uns morgens oder abends In die Schrift vertiefen. Am Morgen will sie uns ein Weckruf sein zu Dienst und Gehorsam und will uns stärken und ausrüsten für den Tag. Am Abend ladet sie uns zu stiller Einkehr und Besinnung, daß wir Gott danken für seine Güte und Ihm unsre Schuld bekennen, daß wir uns Ihm für die Nacht befehlen und uns geborgen wissen in seiner Gnade. Darum ist es gut, wenn wir zweimal täglich, morgens und abends, in der Bibel lesen. Es wäre unnatürlich, wollten wir mit unserem täglichen Bibellesen aus dieser Ordnung herausfallen. Sonntag und Alltag müssen verbunden bleiben. Dazu kann unsere Bibelleseordnung beitragen, wenn in ihren täglichen Lesungen jeweils die Lesungen des Sonntags nach verschiedenen Seiten hin entfaltet werden. Dann geht uns auch die Mannigfaltigkeit und der Reichtum der Heiligen Schrift erst recht auf. Und wenn wir auch auf diese Weise nicht die literarische Einheit des einzelnen biblischen Buches kennen lernen - das bleibt besonderem, fortlaufendem Bibelstudium vorbehalten - so erfahren wir doch etwas von der großen inneren Einheit, die die verschiedenen Bücher der Bibel verbindet und sehen jeweils das eine Thema der Woche in der mannigfaltigsten Beleuchtung. Eine solche kirchliche Ordnung des Bibellesens ist uns dargeboten in der „Lesung für das Jahr der Kirche”. Drei Fragen haben die Auswahl der einzelnen Tageslesungen dieser Ordnung bestimmt: ob sie zu der betreffenden Woche des Kirchenjahres passen, ob sie dem besonderen Charakter des jeweiligen Wochentages angemessen sind und ob sie sich als Morgen- oder Abendlesung eignen. Wer sich bei seinem täglichen Bibellesen in eine solche Ordnung stellt, weiß, daß Tausende täglich mit ihm die gleiche Lesung betrachten. Wenn einmal ein Wort stumm für ihn bleibt - vielleicht öffnet es ihm ein Bruder, der das gleiche Wort an diesem Tage las. Und wenn ihm einmal die Erfahrung mangelt, die nötig ist, um ein Wort zu verstehen - vielleicht versteht er es im nächsten Jahr, denn die gleichen Lesungen kehren ja in derselben Woche eines jeden Kirchenjahres wieder und werden uns mit der Zeit lieb und vertraut wie die Lesungen und Lieder der hohen Festtage, die alle Jahre wiederkehren. Hilfe für den Alltag ist unser tägliches Lesen in der Heiligen Schrift, denn sie ist es, die von Ihm zeuget, von dem Wort, das Fleisch ward um unsertwillen. Wie Er sich einst einhüllte in die Windeln des Kindes im Stall, so ist das helfende Wort unseres Gottes auch in der Bibel eingehüllt von schwachen Menschenworten. Dem Einfältigen aber, der die Knie ehrfürchtig beugt, öffnet sich das Verständnis dafür, daß der Schöpfer aller Dinge hier niedrig und gering wird, um uns zu helfen, stark und reich zu werden. Das Gottesjahr 1940, S. 22-25 © Johannes Stauda-Verlag zu Kassel (1939) |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-03-24 |