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Das Gebet
von Walter Uhsadel

LeerNichts beleuchtet so scharf die Lage unserer Kirche, wie die Tatsache, daß unzählige ihrer Glieder nicht mehr beten können. Wir wollen gar nicht von denen reden, die darin keinen Mangel finden. Wir denken vielmehr an die, denen es Not bereitet, daß sie das nicht mehr ehrlichen und frohen Herzens tun können, was doch nach dem Zeugnis des Neuen Testaments und der Geschichte der Kirche jedem Christen eine Lebensnotwendigkeit ist.

LeerSie können sich nicht dabei beruhigen, daß das eben in früheren Zeiten anders war, daß heute an die Stelle des Gebetes ein paar schweifende religiöse Ideen getreten seien, die man gelegentlich in sich bewegt. Sie können sich auch nicht mit der Meinung trösten, daß selbst die, die heute noch ernstlich und zu festen Zeiten beten, nur noch eine leere Form bewahrten. Vielleicht daß sie doch hier und da einmal etwas von der Macht des Gebetes an einem Beter gespürt haben.

LeerAber was ist es, das dem heutigen Menschen den Zugang zum Gebet so schwer macht?

LeerEr meint, er müsse da etwas  l e i s t e n . Das ganze Leben um ihn her schreit nach seiner Leistung. Wenn er abends die Hände sinken läßt, dann hat er genug getan. Und wenn er sich morgens erhebt, dann zerren sogleich die Geschäfte an seiner Seele. Und nun soll er, ehe er sich müde sinken läßt und ehe der Alltag ihn packt, noch etwas Besonderes vollbringen? Ein Werk, das schwerer ist als jedes andere?

LeerUnd er fürchtet, daß ein neues Joch auf seinen Hals gelegt werden solle. Er ist zur Genüge eingespannt. Sein Tag steht unter einer langen Reihe von Verpflichtungen. Nun soll noch eine als Gesetz hinzukommen?

LeerDarum tut es not, ihm zu zeigen, was Beten in Wahrheit ist.

LeerWen wollte es einfallen, von unserm täglichen Essen und Trinken zu meinen, es sei eine Leistung, die zu all den andern hinzukommt? Ist es nicht einem jeden ganz selbstverständlich, daß er sich dieser Notwendigkeit dankbar beugt? Wir wissen, daß wir das andere nicht bewältigen, wenn wir dieses nicht tun. Wir müssen uns immer wieder zur Mutter Erde neigen, um uns zu nehmen, was sie uns gibt. Sie hält uns Kräfte bereit, die aus ihrem dunkeln Schoße den Weg in unser Dasein suchen, daß sie uns bereiten und stärken zu unserm Werk.

LeerUnd wer wollte es als ein Joch empfinden, daß wir uns morgens, mittags und abends zu Tische setzen? Fügt sich nicht jeder dankbaren Herzens in diese Ordnung ein, weil er weiß, daß er nur in gesunder Ordnung die Kräfte der nährenden Erde recht empfängt?

LeerHier haben wir ein Gleichnis für das Gebet! Jene schwebenden religiösen Ideen sind nur wie ein Rauschmittel, das den Hunger vergessen macht, wie ein Holzspan, auf dem der Hungernde kaut, um sich ein Essen vorzutäuschen.

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LeerWahres Gebet ist wie leibliches Essen und Trinken.

Leer„Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist” (Psalm 34, 9).

LeerWie Essen und Trinken ein Weg zur Mutter Erde sind, so ist auch das Gebet ein Weg - der Weg zu Gott, daß wir „schmecken das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt” (Hebr. 6, 5).

LeerAber wie es ein weiter Weg ist von der Mutter Erde bis zu dem bereiteten Mahl, das vor uns auf dem Tisch steht, so ist auch das Gebet ein weiter Weg.

LeerEs mag zunächst sein wie das Händeringen eines Hungrigen, der vor einem Acker steht, der noch nicht Frucht gebracht hat. Aber wenn es das nur ist, so ist es schon der Anfang zum Gebet. Für wie viele heutige Menschen würde es schon eine Hilfe sein, dies wenigstens zu wissen. Ja. weiß der, der dieses stumme Händefalten nicht kennt, überhaupt um rechtes Beten? Er ist anfänglich noch ganz ungelöst. Die Hände bedrängen einander hart. Es steckt unser ganzes Ich darin, das sich in sich selber verkrampft. Es will sich nicht loslassen. Wirkliches Beten hebt bei diesem Ich und seiner Bedrängnis an, nicht irgendwo in einer unwirtlichen Höhe, in die eine leere Phantasie sich schwingt.

LeerAber wenn es wirkliches Beten ist, kann es auch nicht beim Ich bleiben wollen, wie doch auch der, der die Hände ringt, sich nicht an sich selber festhalten will, sondern nach etwas sucht, das ihm Hilfe bringt. Das Gebet ist ein Weg - vom Ich fort zu dem in hin, in dessen Händen alles Leben geborgen ist.

LeerDas ist nun der Punkt, wo viele der Mut verläßt. sie wollen, wenn sie beten, eben doch etwas mit sich machen, eine seelische Leistung an sich selber vollbringen. Sie wollen sich selber in der Hand behalten oder sich besser in die Gewalt bekommen. Sie trauen sich das Wagnis, sich aus der Hand zu lassen, nicht zu.

LeerSo not es tut, daß der Beter zu sich selber kommt, daß er nicht an sich selber vorübergeht, sondern mit seinem Beten bei seinem wirklichen Ich anhebt, so not tut es auch, daß er von sich fort findet zu Gott. Flüchtet er mit seinem Händeringen aus der Ebene der Welt zu sich selbst, so wendet er sich auf dem Wege des Gebetes empor zu dem, der alle Gewalt hat über Himmel und Erde.

LeerEs ist der Grundfehler moderner Seelenpflege, daß sie den Menschen wohl zu sich selber führt, aber ihn dann, nachdem er sich vielleicht mühsam auf die Kräfte besonnen hat, die er noch in sich findet, mit dem Aufruf zur Tat wieder hinaustreibt. Sie führt einen Hungrigen mit verbundenen Augen an einen gedeckten Tisch; dann schickt sie ihn leer an die Arbeit.

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LeerDie krampfhaft erhobenen Hände sind der Anfang zum Gebet. Dann aber sinken die Hände und werden ganz gelassen. Wie ganz anders sieht es in dem Menschen aus, dessen Hände sich gelöst in der Nähe des Herzens begegnen! Er hat sich nicht aus seinem Händeringen mit dumpfer Verzweiflung in ein unheimliches Schicksal gestürzt. Er hat sich in die Hände Gottes gegeben. Aus dem Machtbereich des Ich ist er hinübergeglitten in den Bereich der Liebe Gottes. So spricht er nun nicht mehr: Ich will nicht. Auch nicht: Ja, ich will. Sondern: Nicht wie ich will, sondern wie du willst.

LeerUnd ganz am Ende dieses Weges steht eine dritte Gebärde des Gebetes. Die Hände sind ausgebreitet wie eine geöffnete Schale. Wir kenne diese Gebärde freilich kaum noch in unserer Kirche. Aber sie ist alter christlicher Brauch in der Feier des Sakraments, wenn der Geistliche den Geist herabfleht auf die irdischen Gaben von Brot und Wein. Es ist die geheime Gebärde unserer Seele, wenn wir wirklich zuende beten. Wir beten dann nur noch um Gott selber: Geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden. Und dann gehen wir den Weg zurück - wieder in all die irdischen Dinge hinein, von denen wir herkamen, nun aber gefüllt mit Kräften der Überwindung: Unser täglich Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.

LeerOb es nicht einen tiefen Sinn hat, daß alles Beten der Kirche seinen Abschluß und seine Vollendung in Gebete des Herrn findet?

LeerWir sollten das Gebet nicht „Gespräch der Seele mit Gott” nennen. Wir werden dadurch verleitet, in ihm eine „Unterhaltung” zu sehen, die sich im Bereiche des „Geistigen” abspielt. Oder wir meinen, es ginge nur um die Seele und all das andere, das auch zu unserem Leben gehört, sei dabei gleichgültig. Das Gebet ist der Weg des Menschen zu Gott, daß er „schmeckt, wie freundlich der Herr ist”. Wir brauchen das Wort „Weg” hier nicht zu scheuen, als handle es sich darum, daß der Mensch mit seiner Kraft emporsteigt. Es ist der Weg des verlorenen Sohnes zum Hause des Vaters, am Tisch des Lebens die Güte des Vaters zu schmecken.

LeerDas Gebet ist die Wendung des Menschen zu Gott, daß er Seinen Willen empfange: „Meine Speise ist, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat” (Joh 4, 34).

LeerWeil das Gebet ein Essen und Trinken des Willens Gottes ist, in dem uns die „Kräfte der zukünftigen Welt” geschenkt werden, darum bedürfen wir seiner wie des täglichen Brotes. Darum aber braucht es auch der rechten Ordnung und kann nicht abhängig sein von unserer Laune und Stimmung.

LeerUnd wie wir im Mahle einander verbunden werden und eben deshalb uns feste Zeiten verordnet sind, so kann auch das wahre Beten uns nicht selbstgenügsam „für sich” lassen, sondern fügt uns ein in die Bruderschaft vor Gott, die sich um den schart, der das Brot des Lebens ist. Darum auch betet die Kirche: durch Jesus Christus, unsern Herrn, - und darum ist das Heilige Mahl, in dem wir Leib und Blut des Herrn als Speise zum ewigen Leben empfangen, das Hochgebet der Christenheit.

Das Gottesjahr 1938, S. 126-129
© Johannes Stauda-Verlag Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-15
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