|
von Wilhelm Thomas |
Die altrömische Heldensage erzählt zu wiederholten Malen von Männern, die für ihr Volk in den Tod gegangen sind, indem sie sich den erzürnten Göttern als Opfergabe weihten. Am bekanntesten ist die Tat des Curtius Rufus, der in voller Rüstung zu Pferde in den Erdschlund sprang, der sich mitten in der Stadt aufgetan hatte und sich nach einem Orakel der Priester nur schließen sollte, wenn die Römer ihr Kostbarstes hineingäben. Nach der Meinung der Erzähler handelt es sich in diesen Geschichten darum, daß ein Mensch sich selbst aufopfert, seine ganze Person, daß er sich selbst als Opfer darbringt für die große Sache seines Volkes. Nach dem heidnischen Glauben dieser Erzähler bleibt von ihm nichts zurück als der Nachruhm, den er vielleicht vorahnend in der Stunde des Opfers genießt. Nach christlicher Erkenntnis wird gerade der sein Leben gewinnen, der es verliert: sein Opfer wird, wenn es einer gerechten Sache geweiht ist, nicht nur seinem Volke dienen, sondern auch seiner eigenen Seele zum ewigen Segen gereichen. Der Aufopferung der ganzen Existenz gegenüber, auch wenn sie Ruhm und ewiges Leben jenseits aller irdischen Schwachheit schenkt, erscheint alles, was die Menschheit sonst je und je an Opfergaben dargebracht, gering und wie eine Verfälschung: statt sich selbst hinzuopfern, bringt der Mensch Gaben dar, vielleicht Gaben von seinem Überfluß, jedenfalls Gaben, die sein Leben und seine Gesundheit nicht antasten; will er doch gerade die Frucht seines Opfers, die Huld der durch das Opfer versöhnten Götter, genießen. Er könnte das nicht, wenn er über dem Opfer zu Grunde ginge. Wie viel größer sieht demgegenüber das Opfer des Lebens aus! Aber so gewiß es immer und immer wieder geschieht, daß die irdische Gemeinschaft des Volkes von ihren Gliedern das Opfer der irdischen Existenz fordert, kann man doch dies Lebensopfer nicht einfach in Gegensatz stellen zu den Opfern an Gaben und Gütern, die Menschen darbringen, um selbst den Segen davon zu empfangen. Denn auch das Opfer des Lebens hat eben den Sinn, daß es Segen bringen soll, sei es dem einzelnen, sei es der Gemeinschaft. Das ist das Gesetz des Opfers, das überall in der Welt gilt: daß das Leben des einzelnen wie das der Gesamtheit nicht sein kann ohne den Segen, der nur durch das Opfer, sei es das Gabenopfer, sei es das Lebensopfer, gewonnen werden kann. Weil aber nun jedes Opfer solch eine Innenseite hat, ein geistiges oder, weil es sich um ein Opfer an die Gottheit handelt, geistliches Geschehen ist, darum gibt es auch geistliche Opfer, in denen weder das irdische Dasein eines Menschen noch irgend ein irdisches Gut dem Untergang geweiht wird, und die doch wahrhaft echte Opfer sind. Der ganze christliche Gottesdienst, das heilige Priestertum der Christusgläubigen, besteht in solchen geistlichen Opfern. So spricht es schon der Petrusbrief aus (Kap. 2, 5). Dieses geistliche Opfern schließt freilich, wie alles geistliche Leben, das leibliche nicht aus, sondern ein. Im Sakrament des Altars werden die größten irdischen Gaben Gottes Ihm dargebracht. Ja, der Apostel Paulus spricht es im 12. Kap. des Römerbriefes aus, daß das lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfer, der vernünftige Gottesdienst der Christen, in der Darbringung der Leiber bestehe. Das schließt die Aufopferung des Leibes im Martyrium ein, bezieht sich aber ebensowohl auch auf das Werk der Lippen im täglichen Gebet und Lobpreis des Erlösers wie auf das Werk der Hände im Dienst an den Brüdern. Solch geistliches Opfer ist unabhängig von der äußeren Lage, etwa von dem wirtschaftlichen Vermögen des Opfernden. Auch wer keinerlei „Weihrauch und Widder” besitzt, kann „Gebet und Lieder” zum Opfer bringen: „die wirst Du nicht verschmähen,Aller Gottesdienst des Gebetes und der Andacht, alle geistliche Übung ist ein Opfer, das nicht an der äußeren Leistung, an dem Aufwand an Kraft und Mitteln gemessen werden darf, sondern seinen ausschließlichen Maßstab an der Reinheit des Opferwillens findet, der hinter ihm steht. Der Sinn alles geistlichen Opferns, aller einzelnen Werke des Gotteslobes und der Bruderliebe erfüllt sich da, wo ein Mensch sich selbst geistlicherweise Gott darbringt. Das ist das größte Opfer, das er von sich aus zu bringen vermag, d. h. bei dem er nicht von äußeren Umständen abhängig ist. Ganz gewiß gibt es kein Opfer, auch kein geistliches Opfer, das der Mensch in dem Sinne von sich aus bringen könnte, daß er nicht alles, was er hergibt, zuerst von Gott nehmen müßte. Selbst der Wille und die Freudigkeit, vorhandene Gaben darzubringen, sind restlos ein Geschenk Gottes. Aber von der äußeren Lage des Opfernden ist die Selbstaufopferung völlig unabhängig. Und sie hat die Verheißung, daß, der sie darbringt, den Segen vorwegnehmen darf, der sonst nur auf der Aufopferung der irdischen Existenz ruht. Darin besteht die Erfüllung alles geistlichen Opferns: in der Selbsthingabe des Herzens, in der weder äußere Gaben noch irgend eine äußere Tätigkeit des Menschen eine Rolle spielt und in der doch - gerade hier! - der ganze Mensch gemeint ist. „Gib Mir, Mein Sohn, dein Herz”, das ist das eigentliche Opfergebot Gottes. Wir antworten darauf mit dem Gebet, das die Sonntagsmorgenstunde auszeichnet: Herr, unser Gott, Du König der Welt,Wir achten in diesem Gebet auf das Wörtlein „aufs neue”. Preisgabe der leiblichen Existenz, Selbstaufopferung in diesem Sinne, ist Sache eines großen einmaligen Augenblicks. Selbstaufopferung als Akt der inneren Hingabe des Herzens will immer von neuem geübt sein, ja, es gibt eine „Einübung des Christentums” in diesem Stück wie in jedem anderen Stück christlichen Handelns. Alle Stunden des Lebens, in denen ein Mensch dies oder das hat opfern müssen, in denen er hat lernen müssen, sich von liebgewordenen Gütern des Lebens zu trennen und bereit zu werden, sie dem zurückzugeben, von dem er sie genommen hat, - alles dies erscheint als Vorübung des einen Opfers, auf das es allein ankommt und das immer wieder erneuert sein will. Man könnte im Anklang an ein Wort Christi sagen: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die größten Opfer brächte, und brächte sich selbst nicht zum Opfer? Paulus sagt: „. . . Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe . . . und hätte der Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze.” Vielleicht könnte man sagen: das Schicksal sorgt bei vielen Menschen von sich aus dafür, daß sie lernen, sich und ihr Leben zum Opfer zu bringen, wir brauchen uns nicht erst noch darum zu bemühen. In kleinen täglichen Fügungen oder in großen schweren Erschütterungen werden sie hinausgeführt über selbstisches Haften an den Gütern des Daseins, am eigenen Vorteil, an eitler Ehre und wertlosem Genuß. Aber es gibt keinen, der sich darauf verlassen könnte, oder darauf warten dürfte. „Gib Mir, Mein Sohn, dein Herz” - dies Wort gilt bedingungslos für jeden, zu jeder Stunde. Überdies liegt es nicht an den Schickungen und Erschütterungen des Lebens allein, ob ein Mensch reif wird zum Opfer. Wie oft will Gott einen Menschen heimsuchen - zu seinem Besten - und er bringt das schuldige Opfer nicht, sondern widerstrebt und erleidet nur Schaden an seiner Seele! Darum gilt es den inwendigen Menschen rüsten und bereiten, daß die Stunde der Entscheidung ihn opferbereit finde. Wir können ja nichts von uns aus dazutun, als daß wir im regelmäßigen Gebet darum ringen, Menschen der Hingabe, Menschen des Opfers, priesterliche Menschen zu werden. Letztlich erfahren wir nirgends unsere Ohnmacht erschütternder als in solchem Ringen. Davon hat jener alte Beter gewußt, der in ein Morgengebet schrieb: „Gib Du selbst, o Herr, mir in meine Hand, was ich bin und habe,Das ist das Geheimnis des Opfernkönnens: daß wir uns selbst in die Hand gegeben werden. Ein doppeltes Wunder muß dazu geschehen: daß wir uns selbst aus Gottes Hand nehmen, und daß wir uns dabei nicht als einen Raub nehmen, sondern als anvertrautes Gut, das bestimmt ist, wieder verschenkt zu werden. Wirklichkeit kann das alles in unserm Leben erst werden, wenn wir das große göttliche Opfer der heiligen Selbsthingabe Christi vor Augen haben. Wo sollten wir Hingabe lernen, wenn wir es noch so fleißig übten, wenn nicht einer sich für alle geopfert hätte - nicht so, daß sie sich nun nicht mehr zu opfern brauchen, sondern so, daß sie nun alle frei und stark werden können zur gleichen Hingabe ihres Lebens. Die christliche Kirche lebt von dem Opfer Christi, das heißt: so viel Leben ist in ihr, als Menschen in ihr Kraft haben, den Christusweg des Opfers Ihm nachzuwandeln - in aller Schwachheit und Unvollkommenheit aber in dem Vertrauen, mit hineingenommen zu sein in Sein Opfer und in Seinen Sieg. Haben wir so erkannt, wie hinter allem Opfernmüssen und Opferndürfen in einem Christenleben das Ganzopfer der Hingabe unseres Wesens steht, dann erkennen wir, daß ein Stücklein von solcher Selbsthingäbe in allem stecken muß, was wir als Christen tun und treiben. ,Es gibt keinen Dienst am Nächsten, der nicht aus diesem Opfer seine Kraft und seinen Segen zöge. Es gibt keine Übung in der Selbstzucht, keine Askese, die uns vorwärts helfen könnte, wenn nicht das Loskommen von uns selbst, die Hingabe an den Herrn unseres Lebens darinnen spürbar wird. Es gibt keinen Gottesdienst, kein Gebet, das irgend etwas bedeutete auf dem Weg unserer Heiligung, in dem nicht unser Herz sich selbst darbrächte dem zu Ehren, der sich für uns am Kreuz geopfert hat. „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit” - wie wirs im Vaterunser gelehrt werden, wo erst die vierte Bitte uns zu uns selbst zurückkehren läßt, - das ist das Geheimnis alles Betens „im Geist und in der Wahrheit”. Was vom Gebet gilt, gilt vom Hören des Wortes Gottes, gilt erst recht vom Sakrament. Nur der hört Gottes Stimme, der im Hören sich selbst drangibt, - nur er kann dafür eintauschen, daß er aus Gott leben darf. Die heilige Taufe stellt an den Anfang des Lebens die Preisgabe alles, was wir haben, - nackt und wehrlos steigt der Täufling in die Fluten und läßt sich untertauchen, als der sein Leben dransetzt, an das neue Ufer zu kommen. Am Tisch des Herrn aber bringt die Gemeinde Brot und Wein dar und mit den Gaben wieder sich selbst: „Nimm an das Opfer unseres Dankes. Nimm, was wir haben und sind, wir bringen Dir dar unsern Leib und unsere Seele und alle Kräfte unsers Gemüts. Herr Christe, nimm uns auf in Dein Kreuzesleiden, nimm uns auf in Deinen sieghaften Tod.” Wehe der Christenheit, wenn sie eine Stunde darauf verzichten wollte, opfernd vor ihrem Herrn zu stehen! Wehe der Christenheit, wenn einer aus ihr vergäße, daß er sich selbst opfern muß! Wehe der Christenheit, wenn sie nicht mehr wüßte, daß Gott allein das Opfer und alle Kraft des Opferns geben kann! Das Gottesjahr 1938, S. 121-125 © Johannes Stauda-Verlag Kassel 1938 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-24 |