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„Quiet time”
von Rudolf Stählin

LeerEs war in einem Theologen-College in Oxford. Samstag abend. In der Kapelle wird das Abendgebet gesungen. Am Schluß gibt der Leiter jedem die Hand. Schweigend gehen wir auseinander. Bis zum nächsten Morgen nach der Feier des Herrenmahls wird Schweigen gehalten, daß die Nacht erfüllt sei von der Ruhe in Gott, die nur dem geschenkt wird, dessen Herz und Lippen stille sind zu Gott. Zwei Tage später erlebe ich, wie man die Tagesarbeit beginnt: Vor dem Frühstück das Morgengebet. Und dann vor den Vorlesungen eine halbe Stunde des Schweigens. Das sonst von Fröhlichkeit erfüllte Haus wird still. Jeder hält seine „quiet time” in Bibel-Lesen und Gebet. Ich durfte später für ein halbes Jahr in Colleges leben, die diese Ordnung täglich halten. Ohne daß je ein Wort der Ermahnung darüber gesprochen wurde, hielt man als eine Selbstverständlichkeit die täglichen Schweigezeiten ein: morgens vor der Arbeit und durch die ganze Nacht.

LeerDann war es auf einer großen Studenten-Tagung in Derbyshire. Studenten und Studentinnen aller Fakultäten, die wenigsten davon Theologen, wollten sich in dieser Woche üben und weiterführen lassen im Christ-Sein. Feste Sitte unter den Teilnehmern war die tägliche Morgen-Wache, die stille Stunde am frühen Morgen, die ausschließlich Gott gehört. Sie waren Glieder verschiedener Kirchen, waren getrennt durch Unterschiede des Volkstums, des Berufs, des Bekenntnisses. Aber sie waren eins in dem Willen, ihr Leben als Christen zu führen und Gott die Herrschaft in allem Tun des Tages einzuräumen. Dem sollte auch die „quiet time” dienen, für die praktische Hilfen und grundsätzliche Besinnung zu geben eine der Hauptaufgaben der Woche war.

Leer„Sei nur stille zu Gott, meine Seele, denn er ist meine Hoffnung” (Ps. 62, 6). Um dies Stille-Sein der Seele zu Gott, die gläubige Hingabe des ganzen Menschen in seiner Lebensmitte, geht es denen, die sich täglich in Einsamkeit und Schweigen zu Gott nahen. Alle Beschäftigung, alle Gedanken, die guten wie die bösen, alles Vielerlei der Seele sollen einmal den Platz räumen und Gott allein das Recht geben, über die Seele zu verfügen. Die Fensterläden des Herzens sollen aufgetan werden, daß Gottes Sonne hineinscheine, die Kälte des Herzens erwärme und das Ungeziefer vertreibe. Das geschieht nur, wenn andere Mächte, die herrschen wollen, verdrängt sind. Gott läßt sein Wort vernehmen in der Stille. Er zieht nur die zu sich, die willig sich ihm geben. „Darum harret der Herr, daß er euch gnädig sei, und hat sich aufgemacht,ö daß er sich eurer erbarme. Wohl allen, die sein harren” (Jes. 30, 18). Dieses Harren auf Gott will ganz wirklich verstanden sein. „Täglich harre ich dein” (Ps. 25, 5). „Der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt und der Seele, die nach ihm fragt” (Klgl. 3, 25). Gott will, daß wir Zeit haben für ihn, daß wir auf ihn „harren”. Im Englischen gibt es neben der Form to wait for: auf jemanden warten, noch die andere to wait upon: jemands warten, nicht von ihm lassen; so wie man bei einem Kinde bleibt, es zu „warten”. Solches Zeit-Haben für Gott wird zu einem lebensnotwendigen Stück eines jeden Tages. Quiet time ist der freie Raum im Tagwerk, der ausschließlich Gott gehören soll.

LeerVerschieden und mannigfaltig sind die äußeren Anleitungen und Methoden, die helfen sollen, die quiet time fruchtbar zu gestalten. Sie werden angeboten; mag jeder selber finden, welcher Weg für ihn der beste ist. Im geistlichen Leben gibt es kein Gesetz. Als die geeignetste Zeit hat sich meist der frühe Morgen bewährt. Für manche mag es der Abend sein. Auch wielange die quiet time dauern soll, wird man nicht allgemein bestimmen können. Reife Erfahrung in der Übung der Stillen Zeit lehrt, daß sie mehr Zeit nötig hat als der Anfang. Aber wichtiger als die Entscheidung über wann und wielange ist, daß eine Ordnung gilt und in treuer Regelmäßigkeit durchgeführt wird. Gottes Geist ist ein Geist der Ordnung und nicht der Willkür. Täglich die gleiche Stunde und täglich ein Plan, wie man sie verbringen will und zu welchem Ziel sie führen soll, sind der feste Schutz gegen Laxheit und Schwärmerei.

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LeerWenn du zu Gott kommst, dann komm nicht unbereitet. Man kann nicht zwischen allerlei Geschäften, die Gedanken schon auf das nächste vorgreifend, schnell auch die Stille Zeit erledigen wollen. Wer mit der Unruhe des Herzens und der Sinne Gott sucht, wird in der Stille nur sich selber, seine Unruhe vernehmen. Gott will, daß du Zeit für ihn hast. Er will dich ganz, mit allen Kräften Leibes und der Seele. Die schweifenden Gedanken rufe zurück. Und richte dein ganzes Wesen auf Gott. Laß dich ihm. „Rede Herr, dein Knecht hört”. Die Vorbereitung auf die quiet time hört überhaupt nie auf. Vergegenwärtige dir oft untertags die Gegenwart Gottes. Laß auch in der Arbeit des Tages dich nie gefangennehmen von Dingen und Menschen. Du gehörst Gott. Und erst recht am Morgen bei der Stillen Zeit: Sei stille zu Gott. Komm nicht in der Eile. Sammle alle Kräfte des Herzens und der Gedanken, daß sie sich ausrichten auf Gott, Erwarte, daß Gott zu dir redet. Er wird zu dir reden, wenn du selber nicht kommst, um etwas zu nehmen, sondern als ein Gebender, der sich selber in Gottes Gehorsam gibt.

LeerDen mannigfachen Anweisungen für die Gestaltung der quiet time liegt meistens ein Weg zu Grunde, auf dem man etwa so geführt wird: Nimm die äußere Haltung an, die dir am meisten zu rechter Andacht verhilft. Sitze, stehe oder kniee. Letzteres empfiehlt sich am meisten als die Haltung des Beters. Vergegenwärtige dir die Gegenwart Gottes. Er wartet auf dich. Sei stille zum Herrn. Bitte um den Beistand des Heiligen Geistes, daß er dich erleuchte und führe. Lies einen kurzen Abschnitt der Bibel; 3 bis 5 Verse. Lies ihn wiederholt, langsam, Wort für Wort, Stelle das Bild dessen, der so spricht oder das Bild, in dem das Wort redet, vor dein inneres Auge. Nimm es in dich auf. Höre das Wort wiederholt. Es will Wurzel fassen in dir. Betrachte es langsam, besinnlich, geduldig. Hier ist Gottes Botschaft. Was will er dir sagen? Sei wie eine Biene, die aus der Blüte den Honig saugt. Brüte über dem Wort. Setze dich seiner Gewalt aus. Wenn du keinen spürbaren Gewinn hast, meine nicht, es sei vergebens. Deine Bereitschaft zu hören, deine Hingabe an Gott ist entscheidend. - Und nimm etwas mit in den Alltag von der Stillen Zeit. Laß einen Gedanken, ein Wort dich begleiten. Prüfe, wie es dich zu neuem Gehorsam, zum Ablegen eines Fehlers, zu einer Tat der Liebe führen kann. Schließe mit Dank und Lobpreis.

LeerDas alles könnte auch beschrieben werden als ein Weg des Gebets. Der Sinn der Stillen Zeit ist nicht, daß man neues aus der Bibel erfährt, sondern daß man sie beten lernt. In der Stillen Zeit will Gott sein Wort zu uns heimbringen (bring home to us) daß es in uns sein Werk tue und in uns zu unserm Gebet werde.

LeerDie Stille Zeit ist bestimmt durch die Spannung von äußerster Konzentration und vollkommener Ruhe. Das „Heute so ihr meine Stimme höret”, steht neben dem „Es ist noch eine Ruhe vorhanden”. Dem Hören auf die Stimme Gottes, das verzichtet auf den Gehorsam gegen andere Stimmen, das hier und jetzt sich diesem Wort Gottes ausliefert, ist verheißen, daß in ihm Gott die Ruhe schenkt, mit der er die Schöpfung der Welt vollendete. In der Stille vollendet sich der Sinn der Schöpfung.

Das Gottesjahr 1938, S. 107-109
© Johannes Stauda-Verlag Kassel

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-15
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