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von Friedrich Schauer |
„Es gibt Menschen, die keine Andacht haben. Sie fürchten sich, andächtig zu sein. Sie müssen an so vieles denken. Das nimmt ihnen die Andacht. Deshalb hassen sie auch das Schweigen der Nächte und schreien es tot. Muttermörder! Ihre Nächte haben aufgehört, Mütter zu sein, und es werden ihnen keine Tage mehr geboren. Aber in den Klöstern sind die Nächte Mütter geblieben, stille und starke Gebärerinnnen von jungen Tagen. Denn das Schweigen andächtiger Mönche ist groß in der Nacht.” (1) Wir müssen wohl zu den Mönchen gehen, damit wir merken, wie laut es um uns und in uns ist, und wie ruhelos wir sind. Über dem hastigen Tempo unsrer Tage kommen wir nicht mehr zu uns selber. Wir dringen nicht mehr in die geheimnisvollen ewigen Tiefen ein, in denen unser Sein und Leben wurzelt. So finden wir um unsrer lauten Ruhelosigkeit willen nicht mehr heim zu Gott, auch wenn wir vielleicht viel von Ihm reden und Seine treusten Bekenner zu sein glauben. Denn nur dem stille Harrenden neigt Gott sich zu. Wohl kommt Gott auch in Sturm und Wetter zu uns. Aber nur der wird Seine gnadenreiche Gegenwart dann festhalten können, dessen innere Aufnahmefähigkeit zuvor in andächtiger Stille geboren und in langsamer Entfaltung behütet wurde. Darum ist die stete Übung in andächtigem Schweigen die unerläßliche Voraussetzung für das Entstehen und das Wachstum empfangenden Glaubens. Wieviel seelische Leiden, die nicht selten ernste körperliche Schäden bewirken, haben ihren Grund im Mangel an innerer Stille. Gewiß ist daran mitschuld eine allgemeine innere und äußere Überforderung. Aber viele Menschen könnten bei richtiger Zeit- und Kraftverteilung noch genügend Muße haben; sie können nur mit ihr nichts anfangen, weil sie sich vor ihr fürchten müssen. Kommen diese Menschen erst zur Ruhe, so wird ihnen ja die verworrene Lage ihres Herzens und Lebens offenbar und treibt sie zur Verzweiflung. Darum fliehen sie lieber in ihrer arbeitsfreien Zeit vor sich selbst in atemlose Betriebsamkeit oder in den Rausch erregender Genüsse und Erlebnisse. Man kann es auf scheinbar ganz ungeistliche Weise vorbereiten. Am wenigsten Gefahr setzt man sich dabei aus, wenn man es zu zweien begeht. Man versichert sich dazu der Hilfe eines Menschen, dem man vertraut, und der einen nicht irgendwie erregt. Man bitte ihn etwa so: „Ich suche die Stille. Aber ich fürchte mich davor, allein zu sein. Laß uns eine Strecke Weges gehen und uns irgendwo niedersetzen. Und laß uns während des ganzen Weges schweigen. Vielleicht hilft mir das.” Wenn der andere nicht selber ganz zerrissen ist, wird uns seine Gegenwart eine Hilfe vor den bösen Mächten in ins sein. Jeder Mensch strahlt unsichtbar sein Wesen aus. Je geläuterter dieses Wesen ist, je ruhiger wir uns seiner Wirkung hingeben, je weniger wir sie zerreden, desto stärker ist sie. Die schweigende Gegenwart eines Reiferen kann so das ruhelose Flackern unerlöster Gestalten in uns beschwichtigen. Der Leidende verliert sich nicht mehr in der Wirrnis seiner Gedanken, seiner aus der Tiefe aufsteigenden unüberwundenen Erlebnisse oder der auf seine Sinne wirkenden Eindrücke der Umwelt. Er wird an seinen Ort gebannt und kann zu sich selber kommen, doch so, daß die Gegenwart des anderen ihn hält und vor dem Versinken in Verzweiflung, Hölle und Tod bewahrt. Der andere soll dabei nicht vor dem Leidenden hergehen oder ihm gegenüber sitzen, sondern ihm zur Seite sein so, daß die beiden einander nicht unmittelbar ansehen, sondern nur mehr unbewußt einander neben sich spüren. Der gemeinsame Anblick einer schlichten Landschaft bei stillem Wetter abseits des lauten Getriebes kann den inneren Krampf lockern und die Fähigkeit zur Stille entwickeln. Denn das Verschließen des Mundes bewirkt ja noch nicht ohne weiteres, daß auch das Herz stille wird. Das Schweigen darf deshalb nicht leer bleiben. Es bedarf eines Inhaltes außer uns, der uns füllt mit heilsamer Kraft. Es kann uns zu solchem Inhalt Gott-Vater selber werden, wie Er sich uns in der Schöpfung offenbart, und wie Er durch die Schönheit einer Landschaft, des blauen oder bewölkten Himmels oder am reinsten des gestirnten Nachthimmels zu uns redet. Aber alle Schöpfung steht unter dem Gericht der Sünde und Vergänglichkeit. Darum kommen wir auf die Dauer nicht weiter, wenn wir nicht einen tieferen Inhalt für unser Schweigen suchen. Jeder Gang ins Gotteshaus und zum Gottesdienst könnte zu solch schweigender Wallfahrt werden, die uns für die Offenbarung des Geheimnisses des dritten Artikels bereiten hilft, bei der uns der Heilige Geist durch Wort und Sakrament in und mit der Kirche Anteil an Gottes Heil in Christo gewährt. Es müßten dann aber auch unsre Gotteshäuser bei aller Schlichtheit würdiger und unsre Gottesdienste gehaltener und geheiligter und die Predigten geboren aus dem ehrfürchtigen Schweigen vor Gott sein. Nicht jeder wird die Hilfe gemeinsamen Schweigens finden. Dann soll er einsam die Mittel sorgsam benützen, die ihm die Gemeinschaft der Kirche vergegenwärtigen und ihn in ihren geheiligten Raum einbeziehen helfen. Das schweigende Verweilen im geweihten Raum, das innerlich sammelnde Anschauen christlicher Zeichen, vor allem des Kreuzes Christi selbst, der Schein still zu beiden Seiten des Kreuzes leuchtender Kerzen, das Nachsprechen bewährter Gebete der Kirche, das Hören auf das Gotteswort, auch wenn er es ohne menschliche Vermittlung zu sich reden läßt, kann ihm dazu verhelfen. Ist der Magen in Tätigkeit, so wird der Geist träge. Aber diese innere Trägheit ist der größte Feind jenes wachen Schweigens, in dem der Andächtige sich selbst und Gott erkennt zum Tode und zur Genesung. Mit innerer Wachsamkeit schweigen ist nur dem Fastenden möglich. Darum ist das Fasten gleich dem Beten und Hören und der Treue im Gebrauch des heiligen Mahles ein unentbehrliches Gnadenmittel, uns für das Kommen des Herrn zu bereiten. Schweigend sich bereiten lassen zum Hören, schweigend das Gehörte in die Tiefe seines Wesens eingehen zu lassen, schweigend das Keimen und Wachsen des göttlichen Samens umhüten: Das bringt Frucht heilsamer Buße und glaubensstarken Friedens, aus dessen Fülle die Liebe und das Leben Christi willig opfernd quillt. Wer so im andächtigen Schweigen vor Gott zunimmt, lernt schweigen auch den anderen Menschen gegenüber. Er schweigt von seinen Anliegen und Nöten, wenn er nicht beichtend von einem Hilfe sucht, der fähig und von Gott dazu bereitet ist. Er schweigt und hört, wenn andere sich ihm anvertrauen, mit der Bitte zu Gott, ihm aus der Stille Erleuchtung zu geben für die rechte helfende Weisung. Er schweigt, wo Nachrede, Erregung und Haß die gegenseitige Verantwortung gefährden und die Gemeinschaft bedrohen. Die evangelische Michaelsbruderschaft legt in ihrer Regel den Brüdern folgendes über das Schweigen auf, das auch für andere Kreise zur helfenden Weisung werden könnte: „Der Bruder übt sich in der Verschwiegenheit. Er ist zum Türhüter bestellt an dem inneren Heiligtum. Er schweigt über alles, was nicht durch bloße Mitteilung weitergegeben werden kann und soll. Er bedenkt, zu wem er spricht. Er schweigt vor Ohren, die nicht geöffnet sind für das Wort und die Erkenntnis, die ihm anvertraut sind. Er schweigt in Liebe, wo seine Rede dem anderen nicht dient und ihn nicht fördern kann; wo er nur zu eigenen Erleichterung und Entlastung reden würde, oder wo er durch sein Reden seiner Eitelkeit dienen würde. Er schweigt, wo nicht Reden, sondern Tun gefordert ist. Er schweigt, um nicht zu zerreden, was in der Stille wachsen soll.” Als wir Soldaten aus dem Grauen der Feldschlacht kamen, schwiegen wir. Und es währte Jahre, bis wir reden konnten von dem, was in der Gegenwart des Todes uns widerfuhr. Doch mit der Zeit ward einer nach dem andern von uns geschwätzig. Man redete so viel in unsrer Nähe von eigner Not und eignen großen Taten, da redeten wir mit und verloren uns und unsern Auftrag, den einst das Geheimnis des großen grauenvollen Sterbens uns auferlegte. Nun sind wir wieder voller Sehnsucht nach dem großen Schweigen. Und unsre Sehnsucht macht uns müde und heimwehkrank. Doch nicht der Tod wird diese Sehnsucht uns erfüllen, sondern die Nähe Gottes, der in der Stille Seines Heiligtums zu uns kommt, wenn - in uns selber schweigend, Ihm ergeben - wir in und mit der Kirche betend Seiner harren. Anmerkungen:
Das Gottesjahr 1938, S. 102-106 © Johannes Stauda-Verlag Kassel |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-15 |