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Vom Vernehmen des Wortes
von Otto Heinz von der Gablentz

I.

LeerEs fällt uns heute schwer, ein Wort wirklich zu vernehmen. Wir hören zu viel Worte - nacheinander und durcheinander. Eins jagt das andre. Eins überschreit das andre, wir lesen noch mehr Worte als wir hören, wir lesen Briese und Denkschriften, wir lesen Zeitungen und Bücher, wenn wir durch eine große Stadt gehen, lesen wir Worte in jedem Augenblick: Geschäftsschilder und Reklamen, Aufschriften der Bahnen und Omnibusse und Straßennamen, wir drängen die Worte, die wir selbst sprechen, zwischen alle die Worte, die wir hören und die wir lesen. Wir sprechen, um anderen zu antworten, wenn sie etwas von uns hören wollen. Wir sprechen von uns aus, um anderen zu sagen, was wir meinen und was wir wollen, auch wenn es keiner hören will.

LeerAlle diese Worte hören wir selber auch noch zu denen, die andre sprechen und die wir lesen. Und dazwischen sprechen wir mit uns selber in unseren Gedanken. Sind es auch keine durchgeformten Worte, so sind es mindestens Wortfetzen, die wir sprechen mit inneren Lippen, die aufklingen vor dem inneren Ohr und sich mit den anderen mischen.

LeerWenn man versucht, festzuhalten, was einen Menschen in einem Augenblick an Worten von außen und innen umschwirrt, kann man an die Grenzen des Wahnsinns oder der Taubheit kommen. (Es gibt moderne Dichtungen, die diesen schauerlichen Versuch mutig machen, so etwa aufzuzeichnen, was in einem Augenblick in Berlin am „Alexanderplatz” aufklingt.) Was dabei völlig verloren geht, ist das Verständnis für das einzelne Wort. Man liest eine Zeitung von links oben nach rechts unten, um aus herausgegriffenen Wörtern einen Sinn herauszufinden. Man fragt bei einer Rede, bei einem Brief, bei einem Buch nach der Sache, die damit gemeint ist, die sich hinter der Fülle der Worte versteckt, und man sieht im Wort nicht viel mehr als den Umweg zum Sinn oder zur Sache, die man beide möglichst unmittelbar erfahren möchte und - wenn sie einem deutlich geworden sind - ohne Vermittlung des Wortes zu besitzen meint.

LeerDaneben machen wir allerdings immer stärker die Erfahrung, daß kein unmittelbares Erleben den Menschen so packt wie das zur richtigen Stunde gesprochene Wort, im Gespräch von Mensch zu Mensch, in der Rede des Führers vor den Massen. Hier ist nicht nur Übermittlung einer Tatsache, sondern Mit-teilung. Dem Hörenden teilt sich mit, was vom Redenden ausgeht, wird ein Teil seiner selbst, er wird ein andrer, wird gewandelt unter der Kraft des Wortes. Das Zeugnis des anderen zeugt in ihm neue Kraft.

LeerWir stellen mit Erschütterung fest: je mehr das Wort dort versagt, wo wir es zuerst suchten und brauchten, auf dem Gebiet der Erkenntnis, um so gewaltiger wirkt es auf dem Gebiete, das ihm verschlossen schien, im Bereich des unmittelbaren Lebens. Das verständliche Wort droht uns zu entschwinden und das magische Wort zieht uns in seinen Bann. Wohl wird uns in dieser Lage deutlich, daß etwas höchst wichtiges gesagt ist, wenn die Rede ist vom „Wort Gottes”, vom „Wort, das am Anfang war”. Aber es droht dabei aus der Gewalt des irrationalen Erlebens her ein magisches Mißverständnis, das mindestens so gefährlich ist wie das rationalistische Mißverständnis, in dem das Wort Gottes mit den Büchern der Bibel oder gar mit den wohlformulierten Sätzen einer Predigt gleichgesetzt wurde.


II.

LeerWelches ist denn nun das wirkliche Wort? Welche der Schichten in uns ist eigentlich gemeint in ihm? Wollen wir das wissen, dann müssen wir erst einmal hören lernen. Das kann man nun auf verschiedene Weise. Es gibt Gott sei Dank noch unter uns Menschen, die es nicht verlernt haben. Die brauchen keine Anweisung - oder vielleicht doch, nämlich diejenige, sich ihrer gesunden Einfalt nicht zu überheben und die Menschen, die einen methodischen Weg brauchen, nicht deshalb für unfromme Rationalisten oder unklare Schwärmer zu halten. Es gibt Menschen, die lernen es vor dem Schweigen der Natur. Es gibt andre, die lernen es an einem weisen Wort eines Lehrers, an einem mahnenden Wort eines Freundes, an einem lieben Wort einer Frau. Anderen geht es auf am Wort eines Dichters. Anderen am Wort der Bibel, das vor ihren Ohren verlesen wird oder in das sie sich still versenken. Keinem aber kann es schaden, wenn er sich mit Hilfe einer einfachen Konzentrationstechnik wieder vergegenwärtigt, was er einmal erfahren hat. Manchem wird diese Erfahrung erst hierbei fruchtbar werden.

LeerAn anderen Stellen dieses Buches ist davon die Rede, wie der Mensch sich zum Schweigen bringen kann. Erst wenn wir wirklich schweigen, wenn wir auch das Selbstgespräch des Denkens zur Ruhe gebracht haben, können wir hören. Diese Sammlung darf nicht verwechselt werden mit der hemmungslosen Hingabe an die Suggestion eines Redners, eines schönen Klanges, eines einschmeichelnden Gedankens. Es ist nicht herabgesetzte, es ist gesteigerte Wachheit, von jeder Suggestion zu unterscheiden, wie man eine wahrhafte Liebe, die den ganzen Geliebten trotz seiner Schwächen umfaßt, von blindem Rausch unterscheiden kann.

LeerWenn man nun von der Konzentration zur Meditation übergeht, dann kann diese sich auf ein Bild oder auf ein Wort richten. Richtet sich die Meditation auf ein Bild und bleibt es wirklich beherrschte Meditation - im Gegensatz zum schweifenden Traum und zur hereinbrechenden Vision - dann drängt es den Meditierenden zum Wort. Schaue ich z. B. einen Baum und betrachte ich ihn nicht bloß als einen Ausschnitt meiner Umgebung, wie ich gewöhnlich sehe, sondern als eine Gestalt für sich, dann muß ich ihn benennen. Erst wenn ich ihn nenne, ist er mir nämlich deutlich, deut-bar als eine Sache für sich, als eine Gestalt mit einem Sinn. Das Wort, das sich mir dabei formt, empfinde ich, als ob ich es zum ersten Mal ausspreche. Es entspricht dem Bilde; es ist ein Name, der nicht zufällig ist. Diese Erfahrung hat Friedrich Hebbel in einem seiner letzten Gedichte wiedergegeben:
Ich schritt vorbei an manchem Baum
Im Spiel der Morgenwinde,
Ich schwankte hin in wachem Traum
Und sah nicht, wie der Blinde.

Doch plötzlich fuhr ich auf im Traum
Und rief „O Gott, wie linde!”
Ich fand mich unterm Lindenbaum,
Er hauchte Duft im Winde.

Ich aber sprach: „Du süßer Baum,
Dich grüßt wohl auch der Blinde,
Der deinen Namen selbst im Traum
Noch nie gehört, als Linde”.
LeerWenn die Sprachen unsrer Zeit auch nur selten so durchsichtig sind, wie in diesem Beispiel, das Sache, Sinn und Wort in so eindeutiger Entsprechung zeigt, so sind ähnliche Erfahrungen in jedem Fall zu machen. Gibt es mehrere Namen für dieselbe Sache, dann wird einem hier deutlich, daß sie verschiedene Ansichten treffen. Darum kann man nie ganz genau übersetzen. Der deutsche Baum entspricht als botanischer Begriff dem englischen tree und dem lateinischen arbor, aber das Sinnerlebnis, das sich mit den verschiedenen Namen verbindet, ist ein verschiedenes. Dabei kann man beim Meditieren des Baumes als Deutscher durchaus das englische und lateinische Erlebnis haben, wie dies ja auch die Fülle der Synonymen in den alten Sprachen bestätigt (z. B. bôm und treo nebeneinander im Heliand).

LeerRichtet sich die Meditation auf ein Wort, dann drängt sie eben so deutlich zur Vorstellung. Den Lauten entsprechen Gebärden, entsprechen Bilder - es gibt etwas wie einen Sprachleib. Durch den Nebel der Empfindungen fährt das Wort wie eine Schneide, die trennt zwischen dem, was zusammengehört und dem, was fremd ist. Oder es liegt da wie ein Samenkorn im formlosen Erdreich, und aus der Spitze des Korns bricht der Keim auf und entfaltet sich zur vollen Gestalt der Pflanze. Wieder ist Namengebung und Wortbildung eins. Sachen mit verwandten Namen gehören zusammen. Was die verschiedenen Formen des Reimes bedeuten, wird hier klar. Stabreim und Endreim sind nicht ein Schmuck der Rede, sondern sie bedeuten unmittelbar einen inneren Zusammenhang. Der Dichter verdichtet wirklich die Dinge, von denen er singt; selbst wenn in der historischen Entwicklung die beiden Worte dicht und Dichter aus verschiedenen Stämmen zum selben Klangbild gekommen sein sollten, sind sie nun tatsächlich ein Wort.

LeerJetzt wird uns deutlich, was das Bibelwort vom Namen meint: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun” Joh. 14, 14). „Wer einen Gerechten aufnimmt in eines Gerechten Namen, der wird eines Gerechten Lohn empfangen” (Matth, 10, 46). Wer den Namen ausspricht, in der Fülle des Wissens um dieses Wort, der ist der Sache nahe. Indem der Mensch „jedem Vieh und Vogel unter dem Himmel und jedem Tier auf dem Felde seinen Namen” gab (1. Mos. 2, 20), hatte er sie erkannt und in seine Gewalt gebracht. Daher bitten wir als erstes „Geheiliget werde Dein Name”, d. h. Wir bitten, daß Gott sich uns offenbaren möge, wenn wir ihm nahen. Wir bitten um die Gnade, daß wir wirklich Gott meinen und dieses Ziel nicht verfehlen, wenn wir „Gott”, wenn wir „Vater unser” sagen. Wenn Gott diese Gnade gewährt und die Welt spürt es, dann „verklärt er seinen Namen” (Joh. 12, 28).

III.

LeerIst es nun das magische Wort oder das verständliche Wort, was sich uns hier erschlossen hat? Die Frage erweist sich als falsch gestellt. Das Wort, wenn es richtig vernommen wird, erschließt eben beide Schichten, es durchleuchtet beide, es befreit den Menschen von beiden Gefahren, vom Zauber und von der Vernünftelei. Denn es führt durch den dumpfen Schwall der Stimmung zur klaren Vorstellung hindurch und es zieht aus dem luftleeren Raum der begrifflichen Abstraktion herab zur handfesten Wirklichkeit, der es entspricht.

LeerSo wichtig ist das richtige Hören. So wichtig und verantwortlich ist aber auch der richtige Gebrauch des Wortes. Man kann mit dem Wort eine widergöttliche Wirklichkeit herbeizaubern, wenn man die Menschen dazu bringt, auf den Sprecher zu hören, anstatt auf das Wort, wenn der Sprecher, statt dem Wort zu dienen, es sich dienstbar macht. Und man kann umgekehrt mit dem Wort eine gottgeschaffene Wirklichkeit zersetzen, wenn man die Begriffe vom Wort löst, wenn man Namen willkürlich zuteilt und wenn die Menschen meinen, sie könnten einen „Sinn” haben, abstrahiert, abgezogen von dem einen, dafür richtigen Worte. In den Worten der Philosophie ausgedrückt: Man kann die Sache und den Sinn nur haben im Wort. (1) In den Worten der Bibel: Es gibt keinen Zugang zum Vater und zum Geist als durch den Sohn, das fleischgewordene Wort.

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LeerEs kann hier nur angedeutet werden, welche Folgerungen sich hieraus für Leben und Wissenschaft ergeben. Zunächst die ungeheure Verantwortung für jedes Wort, das wir sprachen, schreiben oder uns denken. Die drei Bilder, die wir eben - rein aus der Erfahrung her - entwickelten: die zeugende Kraft des Wortes, das Wort als Schwert, das Wort als Samen, sind ja der Bibel sehr geläufig (vgl. z. B. Luk. 8, 11. Hebr. 4, 12. Jak. 1, 18). Sie entsprechen einfach der Wirklichkeit: zeugen und bezeugen sind eins („erkennen” der Lutherschen Übersetzung des alten Testaments).

LeerDie Biologen haben jetzt einen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Gehirns und der Zeugungsorgane festgestellt - den wir ja alle aus den schauerlichen Erscheinungen der Paralyse kennen. (2) Wir verstehen diesen Zusammenhang vom Wort her: die biologische Zeugung hat geistige, die geistige hat biologische Wirksamkeit. Durch unser Sprechen und Denken wandeln wir etwas in der Welt zum Guten oder zum Bösen und können nur Gott bitten, daß er in uns seinen Namen heiligen möge.

LeerWenn wir im Wort und nur im Wort Zugang zum Sinn der Dinge haben, ergibt sich daraus für die Wissenschaft die Folgerung, daß es nicht gleichgültig ist, welche Terminologie man für seine Begriffe verwendet. Was man richtig sieht, muß man auch eindeutig richtig bezeichnen. Wir kommen also zu einem Begriffsrealismus, der mit jedem Relativismus heilsam aufräumt.

LeerDie Erfahrung, die wir mit unserem Gebrauch des Wortes machen, verhilft uns auch zu einer historischen Einsicht: es gibt nur eine Sprache. Sprache haben und Mensch sein ist eines (Hamann, Herder, Humboldt). Die Ursprache, an die uns z. B. die Fülle der Synonyme in altertümlichen Sprachen erinnert, die sich in saubrer philologischer Arbeit in allen Sprachstämmen der Erde nachweisen läßt, (3) ist in unzählige Splitter geborsten. Aber es sind alles Dialekte eines Stammes. So wie sich Menschen aller Rassen unbeschränkt fruchtbar vermischen, so können sie alle Sprachen nicht nur übersetzend, sondern wirklich umdenkend lernen. In abgeschwächter Form kennt jeder, dem dies einmal gelungen ist, etwas vom Pfingstwunder. Die Wirklichkeit des heiligen Geistes wird uns damit nahe gebracht. Die Verheißung, daß eine Herde und ein Hirte sein wird, ist dadurch unterbaut, daß von Ursprung an die Menschheit eine reale, nicht nur eine abstrahierte Einheit ist, die Völker wirklich ihre Glieder mit verschiedenem Dienst an der gemeinsamen Aufgabe sind.


IV.

LeerDas menschliche Wort ist also nicht ein bloßes Instrument zur Verständigung, zur gemeinsamen Ausbeutung der Dinge. Sondern es ist selbst eine Seite der Wirklichkeit, es gehört von Ursprung an mit den Dingen zusammen, es entspricht ihnen. Nun wird uns auch deutlich werden können, was „Wort Gottes” ist. Gott schuf Himmel und Erde, indem er sprach. Sein Wort ist Schaffenstat. „Daß Gott sprach, das an und für sich war schon das Licht” (Ebner). So war „am Anfang das Wort”. Und so ist in der Mitte das Wort. Gott gewährt der Menschheit, die das ihr anvertraute Wort in Eitelkeit verdorben hat, die Gnade, daß er ihr wiederum zeigt, welches der Sinn der Schöpfung, der Sinn ihrer Berufung ist. Er spricht in Menschengestalt, in Menschensprache „Worte des ewigen Lebens”. Jesus Christus ist selbst der Sinn der Schöpfung. Es ist ein und dasselbe, wenn wir ihn nennen „von Gott gezeugt” oder „von Gott ausgesprochen”, „Sohn Gottes” oder „Wort Gottes”.

LeerWenn Jesus Christus das „Wort Gottes” ist, dann kommt diese Bezeichnung keinem anderen Wort zu. Es ist ein bedenkliches Mißverständnis, die Kunde vom Gotteswort als das Gotteswort selbst zu bezeichnen. Das Evangelium ist nicht der Heiland selbst, die Bibel ist nicht das „Wort Gottes alten und neuen Testamentes”. Aber sie ist die eine der Offenbarungen des Gotteswortes. Und so ist sie am ersten der Ort, an dem uns deutlich werden kann, wie mit jedem Menschenwort das Wort Gottes, d. h. Christus, gemeint ist. Darum ist eine Betrachtung der Bibel der richtige Ort, um unsere Überlegung abzuschließen, um klarzulegen, wie wir vom Verständnis der einzelnen Worte, der Namen, zum Verständnis der Wortfolgen, der Erzählung fortschreiten.

LeerWir lesen einen Satz der Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde”. Wir müssen ihn hören. Damit er uns lebendig wird, zur eigenen Erfahrung, damit er nicht ein bloßer Bericht bleibt,  l e s e n  wir ihn  l a u t . Wir sammeln uns auf jedes einzelne Wort: „Anfang” - „schaffen” - „Gott” - „Himmel” - „Erde”. Wir  l e r n e n  Sätze  a u s w e n d i g , lassen sie untertauchen in unser Unbewußtes und holen sie nach-denkend und sprechend wieder hervor an das Bewußtsein, wenn sie dann wieder auftauchen als Worte, die wir selbst sprechen, gelöst aus dem Zusammenhang des historischen Bewußtseins, das sie nach Vers und Kapitel, nach Entstehungszeit und Geschichtsquelle registriert hatte, dann offenbaren sie uns plötzlich ganz neue Züge. Ähnlich wie wir meinen, das Wort „Baum” zum ersten Mal zu hören, wenn wir einen Baum, in dessen Gestalt wir uns versenkt haben, benennen.

LeerAuch hier sind wir noch immer in der Gefahr, solche Worte zu überhören, die uns von unserer überlieferten Vorstellung her keinen besonderen Sinn zu enthalten scheinen. Jetzt  s c h r e i b e n  wir uns die Bibelworte ab. Das sorgfältige Schreiben zwingt uns, jedem Wort seine Zeit zu widmen. Mit einem Mal gibt es keine toten Stellen, keine Füllsilben mehr. Alles ist wichtig an seiner Stelle. Dann finden wir in der Schöpfungsgeschichte die einzelnen Wendungen, die - in der Ursprache wie in der Übersetzung - die Sonderstellung des Menschen vom ersten Ton aus andeuten, z. B., daß es nur beim Menschen nicht heißt: „es werde” oder dgl., sondern in der ersten Person: „lasset uns machen”. Nicht nur, daß wir solche Feinheiten finden, sondern vor allem, daß wir uns in tätiger Geduld in die Worte vertiefen, das macht den Wert des Abschreiben aus. (Dazu kommt auch, daß dies Schriftbild - jedenfalls der aus alter Überlieferung entwickelten Schriften - nichts Zufälliges ist, sondern dem Wort in ähnlicher Weise entspricht, wie dieses der Sache.)

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LeerAn dieser Stelle kann sich auch philologische Arbeit rechtmäßig in die Meditation einfügen, ein Vergleich von Urtext und Übersetzung, eine Untersuchung der Wortstämme, eine historische Betrachtung der Textentstehung und dergleichen. Alle diese Dinge sollen sehr nüchtern und sorgfältig angegriffen werden. Eine richtig begonnene geistliche Übung im Bibelwort wird durch sie nicht gestört, sondern nur vertieft. Aber sie haben ihren Platz in der Mitte der Betrachtung und sind weder das Erste noch das Letzte.

LeerWenn wir nach dieser Vorbereitung den Text im Zusammenhang neu lesen, dann wird sich uns ein tieferes Verständnis erschließen, das nun gleichmäßig der Sache gilt, von der die Rede ist, und dem Buch, in dem wir von ihr lesen.

LeerSelbstverständlich gilt für diese Methode der Bibelarbeit dasselbe wie für die Meditation der Worte: sie darf nie Gesetz werden und sie gibt niemals Sicherheit des Erfolges. Sie erzieht zur Bereitschaft. Ob und wann Gott den Bereiteten sein Wort offenbaren will, steht niemals bei uns. Aber auch wo wir nicht zu einem unmittelbaren Ergebnis kommen, bietet sich uns hier eine unschätzbare Übung des Hörens überhaupt. Wir lernen uns zurechtzufinden in dem Gewirr der Worte um uns herum, wir lernen zu unterscheiden zwischen Worten, die etwas aussprechen und Worten, die dahergeredet werden und haben doch keinen wahllosen und verständnislosen Überdruß am Wort. Und indem wir hören lernen, achten wir auf unser eigenes Wort. Wir nehmen Gedanken und Lippen in Zucht. Wir bemühen uns, so zu sprechen, daß unser tägliches Wort zur Botschaft vom Wort Gottes wird, daß es wird ein Wort der Wahrheit und der Liebe.

Anmerkungen:

 1:  Hierzu vergleiche die höchst bedeutsamen Ausführungen des Katholiken Ferdinand Ebner „Das Wort und die geistigen Realitäten” und „Wort und Liebe”, beide erschienen bei Friedrich Pustet, Regensburg.
 2:  vergl. Arnim Müller in „Deutsche Naturanschauung als Deutung des Lebendigen”, herausgegeben von Hans André, München-Berlin, R. Oldenburg 1933. Prophetisch vorausgenommen von Franz Baader (vgl. den Auszug aus seinen Schriften im Insel-Verlag).
 3:  Ein verheißungsvoller Ansatz dazu ist das Buch von Arnold Wadler „Der Turm zu Babel”, Rudolf Geering (Basel 1933).

Das Gottesjahr 1938, S. 95-102
© Johannes Stauda-Verlag Kassel 1938

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-24
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