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von Kurt Meschke |
In jeder Übung, auch einer „geistlichen Übung”, wird ein Weg beschritten. Die Bibel weiß von solchen Wegen zu sagen bei Gott und bei den Menschen. Wenn Jesus sich „den Weg” nennt, dann ist das kein leerer Begriff und keine bloße allegorische Redeweise; es gehört dazu, daß er den Heilsweg mit menschlichen Füßen und zu irdischen Orten wirklich gegangen ist: „Des Morgens stand er frühe auf und ging an einen einsamen Ort um zu beten” und „des Abends ging er nach seiner Gewohnheit auf den Ölberg”. Auch für diese durch ihn erfüllte Ordnung der Wege und Stätten unserer Erde gilt sein Wort: „Folge mir nach -” und „Suchet, so werdet Ihr finden.” - Es gibt ein geheiligtes Schreiten in dieser Welt: Menschliche Füße des Vor-läufers Mose dürfen die Zeichen der Gegenwart Gottes an besonderer Stätte erfahren: Ziehe deine Schuhe aus... In der Mitte „des Weges”, wieder auf einem Berge, bezeichnen die durchbohrten Füße des Gottessohnes den Ort, an dem aller Weltlauf durchkreuzt wird, und schließlich gibt der Herrschafts- und Zukunftswille des Herrn allen menschlichen Wegen Ziel und Ende: Gehet hin in alle Welt... bis des Menschen Sohn kommen wird. - Wenn ein irdischer Weg in Ziel und Bewegung, Abbild und Erfahrung dieses Gottesweges ist, dann nennen mir ihn eine Wallfahrt. Wir sollten körperliche Bewegung aller Art nicht mißachten; durch sie erwachen die einfachen Sinne, und zu diesen vornehmlich redet die Bibel. Sie weiß manches vom Tanz und Reigen zu sagen und gibt weiten Raum allen Bewegungen, Wanderungen und Wallfahrten. Ihre Wallfahrtslieder sind nicht von Theoretikern gedichtet, sondern den Pilgern ergab sich aus ihrem Tun die geistige Deutung, und der leibliche Weg wurde den Wandernden so zum gültigen Gleichnis für den Weg der Seele. So kann der 121. Psalm, indem er eine wirkliche Wallfahrt begleitet, zugleich den Weg beschreiben, auf dem eine kranke Seele zur Heilung kommt, sodaß heutige Seelenärzte hier wohl in die Schule gehen möchten. Die rechte biblische Wallfahrt ist ein leider verlorenes, aber eigentümliches Stück kirchlicher Ordnung, eine hilfreiche Übung und darum auch eine bedeutsame Form der Verkündigung. Dreierlei besagt der 121. Psalm für die Wallfahrt als Gestalt des Glaubens und bildhafte Erfahrung des Heilsweges. 2. Diese enthält deshalb zwei Stücke, das Ziel des Weges sowie die Gefahren und ihre Überwindung. Man kann sich nicht „gehen lassen”, sondern durch den Ort, zu dem man sich begibt, ist der Weg gewiesen und sind die Stationen bestimmt. Je näher ich dem Ziele komme, umso stärker spüre ich seine Macht. Die Wallfahrt soll dem Glaubenden Bild und Verkündigung des wahren Weges sein. Der wahre Weg ist der Weg Gottes, den er in Christus gegangen ist. Nicht die Bewegung als solche, nicht der selbstmächtige Bios hat also die Verheißung. Im Anfang war nicht der Rhythmus, sondern der Logos. Der rechte Weg wird erkannt am rechten Ziel. So bestimmt das Ziel den Weg von Anfang an: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen von welchen mir Hilfe kommt”, damit beginnt die Wallfahrt. Der Berg ist dem Pilger die Stätte, an der er Gott anbetet und erfährt. Denn immer will Gott an bestimmten Orten aufgesucht werden. Die Orte der Welt haben Sinn und Ordnung von Christus her, und es gibt Stätten außerhalb seines Kraftfeldes, die verderblich, und andere, die heilsam sind für alle, die sich zu ihnen begeben. Theater, Wirtshaus, politischer Versammlungsraum, Kirche, haben jeder seine eigentümliche und wirksame Bestimmung und ihren Einfluß auf die, welche zu ihnen kommen. Nur wer in der dünnen Luft der Theorien lebt, kann sagen, es komme auf den Ort nicht an, er finde seinen Gott genau so hier wie da. Wer wirklich geheilt werden will, geht nicht mehr zum Zauberer, als ob der es ebenso gut könnte, sondern zum rechten Arzt. Ist das Reich Gottes das Ziel meines Lebensweges, so begebe ich mich auf Erden zu den Orten, an denen Seine Herrschaft mir erscheint. Diese heiligen Stätten bestimmen dann auch meine Tageswege. Dadurch grenze ich mich ab von den Irrwegen, die zu falschen Zielen führen; es gibt keine größere Trennung unter Menschen, als wenn die Ziele nicht mehr die gleichen sind. Denn die Wege prägen Gestalt und Wesen des Menschen. Wer auf dem Lande lebt, erfährt Sinn und Segen, der auf den noch vorhandenen Resten einer Wallfahrt ruht. Der Gang zur Kirche ist noch ein Gang zur Höhe und zur Mitte des Ortes. Dorthin bringen Eltern und Paten das kleine Kind zur Taufe, dorthin zieht das junge Paar im großen Zuge, dorthin trägt man den Toten. Aber niemals ist ein menschlicher Weg vollendet. Jede Wallfahrt ist Aufbruch zur ewigen Heimat. Sie ist nicht damit erfüllt, daß ich an einem irdischen Ort angelangt bin, sondern jede rechte Wallfahrt führt mich an einen Ort, der über sich hinaus weist. Wallfahrt führt zur neuen Sendung. Jede Stunde des Weges ist zugleich Ausgang und Eingang, an jedem Abschnitt des Weges ertönt das „Jetzt” der Verantwortung, stehen Gericht und Verheißung des Ursprunges und des Zieles, bis im letzten Ausgang die Wallfahrt des Lebens an ihren Ort kommt: „Der Herr segne deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit ... ” Der Tod, das Zeichen aller Irrwege, ist entmächtigt. Das Ende des Weges wird zum neuen Beginn. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn für das, was in der heutigen Tiefenpsychologie als Krankheit erkannt wird, vor mehreren tausend Jahren auf einer Wallfahrt die Hilfe erfahren wurde. Die Gefahr für den Lebensweg des Menschen besteht darin, daß zwei Strebungen seiner Seele ihn dem rechten Wege entfremden, die Richtung nach innen, die völlige Zuwendung zu sich selbst, und die nach außen, das gänzliche Verlorensein an die äußere Welt („Introversion” und „Extraversion”). Beide Gefahren kennt die Wallfahrt; der 121. Psalm beschreibt sie mit Begebnissen des Weges; der Fuß gleitet, wenn der Wandernde innerlich verkrampft nur sich selbst kennt und also haltlos und verfangen in sich selber ist, und Mond und Sonne stechen den, der das Maß verliert und den von außen kommenden Einflüssen wehrlos unterworfen ist. Das ganze Wallfahrtslied ist Wechselgespräch zwischen Weggenossen über die alten einfachen Mittel der Heilung: „Meine Hilfe kommt von dem Herrn der Himmel und Erde gemacht hat.” Darum betet der Fromme: „Führe mich auf rechter Straße um Deines Namens willen.” Darum aber auch sind auf Erden bestimmte Orte gegeben, an denen Gottes Sieg und Hilfe sichtbare Zeichen trägt, die Orte der Anbetung und Verkündigung. Zu ihnen soll man sich begeben, wie Jesus es immer tat, dann wird Wallfahrt wieder eine hilfreiche Form christlicher Seelsorge und Übung. Dann wird auch wieder heilsam empfunden werden, daß jeder Gottesdienst ein Abschreiten dieses Weges ist, wie es heute noch am meisten zu spüren ist in der Ostkirche. Dann wird der alte Klagegesang der Menschheit: „Es war inmitten unseres Wegs im Leben,seine Antwort finden in dem Ruf des jungen Wallfahrers: „Wisset ihr nicht, daß Ich sein muß in dem, das Meines Vaters ist.” Das Gottesjahr 1938, S. 67-70 © Johannes Stauda-Verlag Kassel 1938 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-02-24 |